Die kinderlose Frau steht unter strenger Beobachtung - spätestens seit in Europa die Angst vor der vergreisenden Gesellschaft umgeht, seit besorgte Demographen vor kollabierenden Sozialsystemen warnen. Die Frau wird dafür verantwortlich gemacht. Dass die Kinderfrage in Partnerschaften entschieden wird, ist in der Öffentlichkeit kein Thema. Der kinderlose Mann ist in den Diskussionen um die sinkende Geburtenrate bislang eine unbekannte Grösse.

«Landesweit gilt die Überzeugung: Wer die Gebärmutter hat, hat die Verantwortung.» So erklärt sich die Hamburger Journalistin Meike Dinklage das Desinteresse der Forschung daran, wie Männer mit der Kinderfrage umgehen. In ihrem Buch «Der Zeugungsstreik» kommt sie zum Schluss: «Es sind die kinderlosen Frauen, die für den Geburtenrückgang verantwortlich gemacht werden. Gebärstreik, das Wort kursiert ewig, Zeugungsstreik, davon hat man noch nie etwas gehört. Man nimmt an, die Frauen streiken, weil sie Kinder und Beruf nicht vereinbaren könnten. Dabei gibt es ein zweites Vereinbarkeitsproblem, es liegt in der Psyche des Mannes und lautet: Will ich jetzt ein Kind oder doch lieber später bis nie?»

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Männliche Schreckensszenarien
Konzentriert man sich nur auf die wenigen Zahlen, die in den letzten Jahren rund um den Mann ohne Kind gesammelt wurden, hat Dinklage recht: Viel mehr Männer als Frauen haben keine Kinder, sie schieben eine Elternschaft länger auf als Frauen und entscheiden sich immer häufiger zur dauerhaften Kinderlosigkeit als eine Art Lebensentwurf. Ein Viertel der Männer im Alter zwischen 45 und 50 Jahren ist kinderlos - bei den Frauen im selben Alter sind es nur halb so viele. Und es ist nicht etwa so, dass diese Männer allesamt potentielle Spätväter sind. Die erstmalige Vaterschaft ist, statistisch gesehen, ab Mitte 40 ein äusserst seltenes Ereignis.

Warum Männer auf Kinder verzichten, ist nicht erforscht. Und wo klare, differenzierte Antworten fehlen, sind Klischees nicht weit: Die einen sehen im kinderlosen Mann den Egoisten, der lieber Cabrio fährt, als Kinderwagen zu schieben. Oder den Zauderer, der nicht den Mumm hat, sich festzulegen (beides «Frankfurter Allgemeine online»). Für einige ist der Kinderlose ein in seiner Rolle zutiefst erschütterter Mann, dem der «Zeugungsstreik» als letztes Mittel bleibt, seine emanzipierte Frau im Zaum zu halten («Spiegel»). Andere wiederum erkennen in ihm einen Typen mit simplem Männlichkeitsideal, für den nur der Marlboro-Mann ein echter Kerl ist («Zeit online»).

Eine schöne Typologie, nur leider unbrauchbar, weil die Realität viel komplexer ist. Beat Hürzeler, 44, Geograph aus Bern, ohne Kind, ohne feste Partnerin, dafür der festen Überzeugung, er sei «noch nicht fertig», er sei «noch am Suchen», könnte man leicht als einen dieser Egoisten abstempeln. Er sagt, er habe schon immer gewusst, dass er keine Kinder wolle, er spüre einfach keinerlei Bedürfnis danach. Hürzeler war einige Male als Hilfsleiter bei Schullagern dabei und arbeitete zeitweise als Lehrer. Obwohl er sagt, dass Kinder ihn glücklich machen, «weil es super ist, sie zu unterstützen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie immer willkommen sind», sieht er sich nicht als Vater. «Ich kann kein Vater sein, weil ich nicht linear und stabil leben kann und möchte», meint er. Das habe nichts mit Egoismus oder Zeugungsstreik zu tun. «Es ist mein Charakter.»

Kinderlosigkeit als reflektierter, emotionsloser Entscheid. Wie andere sich entscheiden, aufs Land zu ziehen, weil sie nichts mit dem Leben in der Stadt anfangen können. Kinderlosigkeit als Desinteresse an der Vaterschaft. Glücklich ohne, so einfach ist das.

Manchmal ist das Desinteresse auch nur vordergründig, und dahinter steckt ein abschreckendes Bild von Vaterschaft, ein Bild voller Gefahren und Pflichten. «Es sind eher Männer aus der älteren Generation, die so denken. Einige dieser Männer haben sich sogar unterbinden lassen, weil sie sich Schreckensszenarien ausmalen von sich als Familienernährer, mit Kindern und Reihenhaus im Vorstadtmilieu», sagt Diana Baumgarten, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Gender Studies der Universität Basel. Sie arbeitet an einem Forschungsprojekt mit dem Titel «Warum werden manche Männer Väter, andere nicht? Bedingungen von Vaterschaft heute». Baumgarten sagt: «Jüngere Männer sind oft freier in ihren Bildern vom Vatersein als ältere, sie suchen eher nach Gestaltungsmöglichkeiten, probieren mehr aus.»

Wie eine alte, verwitterte Mauer bröckeln die starren Rollenmuster und damit auch das Bild des Mannes als Alleinernährer. «Die Geschlechterverhältnisse sind auch für Männer in Bewegung geraten. Manche sind verunsichert, viele erleben es als Befreiung», sagt die Wissenschaftlerin. Trotzdem wird diese traditionelle Rolle des Ernährers immer noch herangezogen, um die sinkende Lust der Männer auf Nachwuchs zu erklären: Für das Selbstverständnis der Männer sei es nach wie vor von eminenter Bedeutung, dass sie es sich leisten können, eine Familie zu ernähren. Und weil das angesichts der schwierigen Arbeitsmarktlage der letzten Jahre nicht einfacher wurde, hätten die Männer das Kinderkriegen ewig vor sich hergeschoben.

Bis zum Nimmerleinstag aufschieben
Sicher denken einige kinderlose Männer so. Aber da sind inzwischen eben auch die anderen, die das Kinderkriegen zwar ebenfalls vor sich herschieben, bis ihre berufliche Situation stabil ist - aber genau aus dem gegenteiligen Grund: Weil sie abwarten, bis sie genug verdienen, um nur noch Teilzeit zu arbeiten. Weil sie sich Zeit für die Familie nehmen wollen. Stefan Marcec ist so einer, der «im Job unbedingt runterschrauben» will, um sich um den Nachwuchs zu kümmern, wenn der erst einmal da ist. Der Gymnasiallehrer ist 37, kinderlos und Single. «Familie ist für mich etwas Heiliges, ich möchte mich intensiv daran beteiligen», sagt er. Bis vor kurzem sei das nicht möglich gewesen, er habe studiert, verschiedene Berufswege ausprobiert, kurze Partnerschaften gehabt, insgesamt eine stürmische Zeit. Jetzt fühle er sich reif: «Ich habe im Leben Klarheit erreicht, nun kann ich mir vorstellen, Kinder in diese Welt zu setzen.»

Es gibt Männer, die - wie Stefan Marcec sagt - «irgendwie, irgendwo, latent» einen Kinderwunsch in sich tragen und im richtigen Moment sagen: Jetzt will ich! Doch was, wenn der richtige Moment nie kommt? Liegt das wirklich an der «Entscheidungsschwäche» der Männer, die aus «Unsicherheit sich selbst und dem Leben gegenüber» das Kinderkriegen bis zum Nimmerleinstag aufschieben, wie Dinklage in ihrem Buch behauptet?

Die Partnerin stellt ein Ultimatum
Baumgarten widerspricht: «Natürlich gibt es Männer, die Kinder wollen und diese dann auch kriegen. Bei anderen ist der Kinderwunsch dagegen ähnlich abstrakt wie der Wunsch, irgendwann einmal Klavierstunden zu nehmen. Im Gegensatz zu vielen Frauen spüren sie keine Dringlichkeit oder Notwendigkeit, den Wunsch zu konkretisieren. Das hat aber weniger mit Entscheidungsschwäche zu tun als mit der Idee, dass sie auch in zehn Jahren noch Kinder kriegen können.» Diese Männer werden häufig Vater, weil ihnen die Partnerin ein Ultimatum stellt, sagt Baumgarten. Daniel Perret hatte das Gefühl, selbst «noch ein Kind zu sein», als seine Partnerin ein Kind wollte. Damals war er 23, heute ist er 25 und Vater einer bald anderthalbjährigen Tochter. Seine Frau habe ein «junges Mami» sein wollen. «Ihr Kinderwunsch war so ausgeprägt, dass ihr Unterleib zu schmerzen begann. Entschied ich mich gegen ein Kind, entschied ich mich für die Schmerzen meiner Frau - was ich auch zu hören bekam. Über ein Jahr war die Kinderfrage der Knackpunkt unserer Beziehung.» Irgendwann gab Daniel Perret nach. «Als wir nicht mehr verhüteten, spürte auch ich plötzlich einen konkreten Kinderwunsch.»

Frauen sind einmal im Monat mit ihrer Fruchtbarkeit konfrontiert, Mutterschaft ist für sie etwas sehr Reales, Körperliches. Vielleicht erleben deshalb viele Frauen den Kinderwunsch wie ein tiefes, sicheres Gefühl. Markus Theunert, Präsident von Männer.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen, ist der Ansicht, dass kein Mann von sich aus einen Kinderwunsch äussere: «Die Frage, Familienvater zu werden, hat in der Realität der Männer kaum einen Stellenwert. Im Normalfall entscheidet die Frau.»

Kein Normalfall sind demnach Bänz Friedli und Martin Lengwiler. Sie sind die Ausnahme, die Einzelfälle, um die es in der Familiendebatte eigentlich gehen sollte. Weil sie demonstrieren, wie die schönen Theorien über «Zeugungspflicht» und «Zeugungsstreik» scheitern, sobald man sie an der Realität misst. Martin Lengwiler, 41, seit acht Jahren verheiratet und seit anderthalb Jahren Vater eines Sohnes, machte das, was normalerweise die Frauen tun: Der Historiker suchte lange nach Wegen, wie er seine akademische Karriere mit einer Familie vereinbaren könnte. Als sich ihm endlich die Chance bot, an einem Forschungsprojekt mit flexiblen Arbeitszeiten teilzunehmen, überzeugte er seine Frau. «Sie wollte gar nicht zwingend ein Kind.» Noch bevor das Kind da war, machte er mit seiner Frau einen Deal: Er arbeitet Teilzeit, sie 100 Prozent. «Ich übernahm mehr Mutterpflichten und sie mehr Einkommenspflichten.» Bänz Friedli, 43, wollte schon als Teenager Kindergärtner werden und wusste mit absoluter Sicherheit, dass sein Sohn mal Luca heissen soll. Inzwischen hat der Journalist und Kolumnist eine neunjährige Tochter und einen siebenjährigen Sohn, der nicht Luca heisst, sondern Hans. «Ein Softie, der gerne mit Puppen spielt und rosa Pullis trägt.» Das freue ihn, er selbst sei auch ein Softie, ein Frauenversteher, sagt Friedli. Er und seine Frau teilen sich die Haushalts- und Familienarbeit, mal macht er alles, mal ist sie daheim. «Ich finde es total sexy und männlich, eine Hausfrau zu sein, Socken zu stopfen und das Frühstück für die Familie vorzubereiten.»

Lengwiler und Friedli sagen von sich, sie seien «totale Kinderfans». Sie sehen das Kind nicht nur als Problem, das Geld, Karriere und Nerven kostet, sondern als «das Beste, was einem passieren kann», so Friedli. Soll man jetzt alle kinderlosen Männer auffordern, es den beiden gleichzutun, damit das Land endlich seinen Kindersegen bekommt? Besser nicht - diese Leier mussten sich schon die kinderlosen Frauen jahrzehntelang anhören. Das reicht.