Irgend etwas stört mich in dieser Kita. Es ist ein Gefühl, das ich im ersten Moment nicht benennen kann: Die Räume sind sauber, die Spielecken aufgeräumt – vielleicht zu aufgeräumt. Nur ein Punkt ist offensichtlich etwas seltsam. Als die Leiterin sagt, sie könne über das Betreuungskonzept nur wenig sagen, bin ich irritiert. Sie sei erst seit zwei Wochen da, und es habe sie niemand mehr einführen können. 

Als ich mich später mit einer Sozialpädagogin über die Eindrücke austausche, erfahre ich, dass mich mein Gefühl nicht täuschte. Es war richtig, mein Kind nicht dorthin zu schicken: Obwohl sich die Kita um eine gute Betreuung der Kinder bemüht, fehlt ein pädagogisches Konzept, das Personal wechselt häufig. Oft absolvieren die jungen Mitarbeiterinnen ein Praktikum und ziehen nachher beruflich weiter. Ich beobachte, wie sie mit einer grossen Kinderschar allein durchs Dorf spazieren.

Gutes Kita-Personal ist schwer zu finden

Die Beobachtungen, die ich als Mutter gemacht habe, liegen sieben Jahre zurück und sind zum Schutz der Institution leicht verfremdet. Denn es geht hier nicht um den Einzelfall. Die Probleme sind Ausdruck eines strukturellen Problems Kitasubventionen «Müttern steht mehr im Weg als fehlende Betreuungsplätze» , wie eine neue Studie der Hochschule Luzern zeigt.

Die Mitarbeiterinnen in Kitas, Spielgruppen und Hausbesuchsprogrammen arbeiten in einer sehr lärmigen und stressigen Umgebung. Die Löhne sind tief, gut qualifiziertes Personal ist schwer zu finden. Aus Geld- und Fachkräftemangel stellen die Institutionen häufig Personen ein, die keine fachlichen Qualifikationen haben. So kommt es, dass Praktikantinnen, Lernende und Ungelernte wegen Engpässen teilweise über mehrere Stunden alleine für eine Gruppe von Kindern verantwortlich sind. Stress und Überforderung sind programmiert.

Teils fehlten Richtlinien komplett

Das hat Folgen. Wenn die fachlichen Kompetenzen fehlen, reagieren die Betreuungspersonen nicht angemessen auf die Bedürfnisse der Kleinen. Eine qualitativ gute frühkindliche Betreuung trägt aber gemäss Co-Studienautor Martin Hafen dazu bei, dass die Kinder wichtige Lebenskompetenzen entwickeln. Der Soziologe der Hochschule Luzern führt ins Feld, dass die eigenen Lebenserfahrungen und das Bauchgefühl nicht reichen, um zu beurteilen, was ein Kind braucht. Dazu sei neben einer guten Beobachtungsgabe und Feingefühl auch das Bewusstsein nötig, dass man die eigenen Erlebnisse mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Entwicklungspsychologie, Pädagogik und Neurobiologie abgleichen muss.

Für die Studie füllten Kita-Leiterinnen, Verantwortliche von Spielgruppen und Hausbesuchsprogrammen einen Onlinefragebogen aus. Zudem führten die Autoren Interviews mit 20 formal nicht qualifizierten Mitarbeitenden. Die Ergebnisse zeigten, dass in den Institutionen teils nur ein rudimentäres Qualitätsbewusstsein vorhanden ist. «Wenn Betreuerinnen sagen, dass ein Tag dann gut war, wenn die Kinder nicht zu viel gestritten haben und die Eltern bei der Übergabe zufrieden sind, hat das wenig mit pädagogischer Qualität zu tun», sagt Hafen. Vielerorts fehlt ein Regelwerk, wie die Betreuungspersonen mit schwierigen Situationen umgehen sollen. 

Stress bei Kindern und Mitarbeitern

«Es ist wissenschaftlich breit belegt, dass solche Stresssituationen im Kleinkindalter einen negativen Einfluss auf die weitere Entwicklung haben», sagt Hafen. Bei einer ungünstigen Entwicklung kommt es zu Defiziten beim Spracherwerb, es folgen schlechtere Schulnoten und ein erschwerter Einstieg ins Berufsleben. Die Gefahr steigt, dass es zu einer Abhängigkeit vom Sozialstaat kommt – was sich oft negativ auf die Gesundheit auswirkt. Besonders gefährdet sind Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen. 

Martin Hafen betont, schuld an der Situation in den Kitas und Spielgruppen seien nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. «Sie reiben sich richtiggehend auf und wollen nur das Beste für die Kinder.» Gerade für Leute ohne Fachausbildung ist es schwierig, eine akzeptabel bezahlte Stelle zu finden. Sie halten sich mit Kleinstpensen über Wasser, was dazu führt, dass sie keine Pensionskassenbeiträge einzahlen können. Diese Mitarbeiterinnen laufen Gefahr, im Alter in die Armut abzurutschen. Durch die zerstückelten Arbeitseinsätze ist es ihnen zudem oft nicht möglich, die Ausbildung nachzuholen.

Gleichzeitig könne man auch den Betreuungsinstitutionen nicht die Schuld an der Situation geben, findet Hafen. Gemäss der Studie haben die Kitas aktuell nicht die Möglichkeit Kindertagesstätten Eine Kita ist kein Kinderspiel , den Betrieb so zu organisieren, dass ausreichend Personalressourcen vorhanden sind und eine Qualitätssicherung möglich ist. «Der Staat muss darum dafür sorgen, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Private gute Bildung anbieten können.» 

«Die eigenen Lebenserfahrungen und das Bauchgefühl reichen nicht, um zu beurteilen, was ein Kind braucht.»

Martin Hafen, Soziologe an der Hochschule Luzern

Aktuell verhandelt das Parlament über ein Finanzierungspaket von 700 Millionen Franken für familienergänzende Betreuung. Das Geld ist laut Hafen dringend notwendig – aber nicht nur, um Familien finanziell zu entlasten Kinderbetreuung Eltern sollen weniger zahlen . Das Geld müsse auch in die Ausbildung im frühkindlichen Bereich fliessen. «Erziehung ist Familiensache. Aber wenn ich mein Kind in eine Kita bringe, erwarte ich, dass dort Leute sind, die wissen, warum sie wie handeln.» Die Haltung, dass jeder Kinder erziehen könne und man selbst ja auch gut rausgekommen ist, sei fehl am Platz. 

Um die Rahmenbedingungen zu verbessern, brauche es dringend Weiterbildungsmöglichkeiten für bislang unqualifizierte Mitarbeitende. «Für sie müssen wir niederschwellige Ausbildungsmöglichkeiten anbieten, damit sie die Qualifikationen nachträglich erwerben können», sagt Hafen. Sie sind im aktuellen System wichtige Stützen, da ohne sie vielerorts der Betrieb zum Erliegen käme.

Martin Hafen beobachtet seit Jahren, dass in der Schweiz immer noch die Meinung vorherrscht, dass das Kind erst mit zunehmendem Alter besser ausgebildete Bildungs- und Betreuungspersonen brauche. Im europäischen Ausland dagegen habe sich die wissenschaftlich gestützte Erkenntnis durchgesetzt, dass genau das Gegenteil der Fall sei.

Die Phase von null bis vier Jahren ist gemäss Hafen eine hochsensible, und es gebe keinen Grund, hier weniger zu investieren als in der späteren Schulkarriere. «Wir würden uns auch wundern, wenn am Gymi lauter Pensionäre eingesetzt würden, die als Freiwillige auf der Basis ihrer Lebenserfahrungen ein bisschen unterrichten.»