«Du bist genau wie dein Vater» war einer der Sätze, die ich als junge Frau nie hören wollte. Denn es gab vieles, was ich von meinem Vater nicht vererbt haben wollte. Seine Sturheit etwa. Seine penible Art, alles zu kontrollieren. Und dass Papa immer alles besser wusste. Ich hatte mir geschworen, nie so zu werden wie er. Ich wäre geduldiger, einfühlsamer und würde den Menschen den Freiraum bieten, Fehler zu begehen. Ja, ich würde es als Erwachsene besser machen als er.

Doch irgendwann sah ich meinen Vater mit anderen Augen, wie er die verschiedensten Lebensphasen durchlief. Ich erlebte ihn in voller Blüte, als er nach der anstrengenden Arbeit noch aufs Velo stieg und die 15 Kilometer nach Hause fuhr. Nicht weil er das als sportlichen Ausgleich betrachtete, sondern weil er sparte, wo er konnte. Ich erlebte ihn, als er älter wurde und immer weniger Lust auf unsere lauten Diskussionen hatte. Nicht weil ihm die Geduld fehlte, sondern weil ihm abends noch der Lärm der Strassenmaschinen in den Ohren lag. Und ich erlebte ihn, wie er sich zunehmend in unsere Leben einmischte, nachdem er pensioniert worden war. Nicht weil er alles besser wusste. Sondern weil seine eigenen Lebenspläne zeitlebens von Sorgen und Verantwortungsbewusstsein geprägt waren. Und weil nun ein Teil seiner eigenen Träume in uns weiterleben konnte.

Starker Wille, nicht Sturheit

Mein Vater sagte immer: «Ich kann dir nicht viel mit auf den Weg geben, das du in der Schule brauchen kannst. Doch Mensch sein lernt man nicht nur in der Schule.» Er lehrte mich, dass ich für meine Rechte einstehen muss – und dass das nicht Sturheit, sondern einen starken Willen bedeutet. Er lehrte mich, dass das Leben voller Überraschungen steckt – und dass die uns manchmal aus der Bahn werfen können. Doch mit kluger Voraussicht komme man schneller wieder auf die Beine. Das sei seine Art gewesen, die Kontrolle zu behalten in einem Leben, das so anders war als das Leben, das er von seiner alten Heimat her kannte.

Und Papa lehrte mich, niemals aufzuhören zu lernen. Denn das Leben könne von einem Tag auf den anderen alles auf den Kopf stellen. Dann müsse man bereit sein, eine neue Kultur, eine neue Sprache, ja, eine ganz neue Welt zu erfassen und zu verinnerlichen. Ich lernte noch so vieles mehr von meinem Papa, dafür reichen all die Zeilen hier nicht. Und so ist heute das Sprichwort «Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm» das allerschönste Kompliment, das ich mir vorstellen kann.

Zur Person
Shqipe Sylejmani