In den Augen des französischen Finanzministers Bruno Le Maire gleicht das Geschäftsgebaren von Influencern im Internet bisher einer Spielwiese ohne Schranken. Wer raffinierter trickst, gewinnt, und die Behörde kommt meistens zu spät.

Damit soll Schluss sein. Frankreich will als erstes Land der Welt definieren, was ein Influencer ist und damit einem weitgehend unregulierten, schnell wachsenden Business die Zügel anlegen. «Das Internet ist nicht mehr der Wilde Westen», sagt Le Maire. 

Das neue Gesetz sieht vor, dass Influencer oder sogenannte Content Creator bezahlte Inhalte auf der Bildebene selbst erkenntlich machen müssen. Mit Wasserzeichen, Filtern oder Bannern. Und nicht nur, wie bisher, in der beigefügten Beschreibung oder als Hashtag.

Weiter soll Influencern verboten werden, für Schönheitsoperationen, Finanzdienstleistungen, Kryptowährungen oder gefälschte Produkte zu werben. Inhalte wie Glücksspiele müssten zusätzliche Informationen zu den Risiken enthalten. 

Gewisse Massnahmen zur Kenntlichmachung bezahlter Inhalte sind zwar bereits in Kraft. Doch gemäss dem französischen Konsumentenschutz hielten sich sechs von zehn Influencern nicht an die Regeln. Der geschätzte Marktwert der französischen Influencer-Branche liegt bei 100 Millionen, die Gruppe aktiver Influencer wird auf 150’000 Personen geschätzt. Neben den neuen Regeln ist mit der Verschärfung auch der Aufbau einer Spezialeinheit aus Ermittlern geplant. Diese soll Betrügereien und Gesetzesbrüche der Influencer bei der Justiz anzeigen.

Die geplante Verschärfung steht vor dem Hintergrund mehrerer Sammelklagen gegen irreführende Werbung durch Influencer. Die Klägerinnen und Kläger hatten ihr Geld in Kryptowährungen oder NFT investiert und «Hunderttausende Euro verloren», sagte der französische Abgeordnete Stéphane Vojetta. «Und manche Opfer leiden unter erheblichen körperlichen Schäden, verursacht durch falsche medizinische Behandlungen.»

Und wie werden Influencer in der Schweiz reguliert?

In der Schweiz werden Verstösse gegen Werbeauflagen, zum Beispiel durch irreführende Versprechen, durch das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geregelt. Das Wort Influencer kommt in diesem Gesetz allerdings gar nicht vor. Die Branche agiert im Graubereich, Regulierungen gibt es keine. Aktiv werden die Behörden selten, etwa 2019, als die Influencerin Sylwina Spiess ein Bild mit einem mit Gin Tonic gefüllten Glas postete – und damit gegen das Alkoholgesetz verstiess. Das zuständige Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit intervenierte, Spiess musste das Bild löschen. Zu einem Verfahren kam es nicht.

Eine weitere Rolle in der Überwachung der Spielregeln hat die Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK). Sie ist eine Institution der Kommunikationsbranche und besteht aus drei Kammern, in der Konsumentinnen, Medienschaffende und Werbende paritätisch vertreten sind. Wer glaubt, dass eine Werbeanzeige täuschend, anstössig oder aggressiv ist, kann sich bei der Kommission melden. Diese untersucht den Einzelfall und publiziert einen Bericht. 

Die SLK kann allerdings keine staatlich durchsetzbaren Bussen oder Verbote, sondern lediglich Empfehlungen aussprechen. Sie weist aber darauf hin, dass Gerichte und sogar der Bundesrat auf ihre publizierten Entscheide rekurrieren.
 

«Entscheidend ist, dass die wertvollste Währung der Influencer – Nähe, Vertrauen, Authentizität – nicht durch Schleichwerbung kaputtgeht.»

Anja Lapčević, Influencer-Expertin

Die SLK hat in ihren Entscheiden zuletzt einen dezidiert Influencer-freundlichen Kurs eingeschlagen und verneinte in einem sogenannten Leitentscheid Roger Federer eine allgemeine Kennzeichnungspflicht kommerzieller Kommunikation. Die Begründung: Die Nutzerinnen und Nutzer von Social-Media-Plattformen könnten selbst erkennen, ob es sich im Einzelfall um Werbung und damit um bezahlte Einflussnahme handelt. Oder ob ein Foto privat und ohne Entgelt durch einen Werbepartner gepostet wurde. Wenn zum Beispiel auf einem Instagram-Post von Roger Federer das Logo seines Ausrüsters zu sehen sei, dann sei klar, dass zwischen dem Ex-Sportler und dem Ausrüster eine Geschäftsbeziehung bestehe. 

Ein Verhaltenskodex soll es richten

Anja Lapčević, strategische Beraterin bei der grössten Schweizer Influencer-Agentur Kingfluencers sagt, es gebe branchenintern ein grosses Bedürfnis nach Richtlinien. Dass diese vom Staat vorgegeben werden, wie das in Frankreich diskutiert wird, sieht Lapčević nicht als einzig gangbaren Weg. «Entscheidend ist, dass die wertvollste Währung der Influencer-Branche – Nähe, Vertrauen, Authentizität – nicht durch Schleichwerbung oder andere geschäftsschädigende Tricks kaputtgeht.» Abmachungen zum Umgang mit bezahlten Inhalten könnten deshalb auch von innerhalb der Branche kommen.

Für Lapčević ist die Kennzeichnung von Werbung zentral. Sie sehe den digitalen Einfluss jedoch in einem weiteren gesellschaftlichen Kontext, sagt sie. Deshalb hat sie vor zwei Jahren den Verein Conscious Influence Hub mitgegründet. Das Ziel: das verantwortungsbewusste Verhalten aller Interessengruppen in den sozialen und digitalen Medien zu fördern und zu unterstützen. Dafür will der Verein verschiedene Player, darunter Influencer, Auftraggeber und die Agenturen, aber auch Fachexpertinnen und Universitäten an einen Tisch bringen. 

Gerade die Geldgeber hätten in Fragen der Transparenz ebenfalls eine Verantwortung, sagt Lapčević. «Die Auftraggeber müssen sich auch dafür einsetzen, dass Schleichwerbung und unlauteres Verhalten in den sozialen Medien keinen Platz haben». Dieser Aspekt werde von Regulierungen, die nur auf die Seite der Influencer fokussierten, ausser Acht gelassen. 

Der Conscious Influence Hub, dem sich neben der Agentur Kingfluencer auch andere Agenturen wie Collabment, Farner und Webstages oder Unternehmen wie Kinderschutz Schweiz angeschlossen haben, hat zehn Leitlinien verabschiedet. Die Selbstverpflichtung zur «klaren Erkennbarkeit» von bezahlter Werbung ist eine davon. Was genau als klare Erkennbarkeit gilt, wird allerdings nicht weiter präzisiert. Dafür sollen Influencer laut dem Kodex dafür bürgen, ihre Community auf «ehrliche Weise» gewonnen zu haben, sprich, zum Beispiel nicht für Fake Follower zu bezahlen.

Andere Punkte des Kodex betreffen einen sorgfältigen Umgang mit sensiblen Themen wie Religion, Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung. Oder die sachliche Überprüfung der Quellen. Der Verhaltenskodex ist auf der Website des Vereins öffentlich einsehbar.
 

Lapčević sagt, der Staat bewege sich in Fragen der Regulierung langsam. Ausserdem gebe es in der Schweiz bislang offenbar wenig politisches Interesse an Fragen der Regulierung. «Das muss nicht schlecht sein», sagt Lapčević. «Wenn der Staat top-down entscheidet, dann bemüht man sich auf Influencer-Seite vielleicht eher darum, ein Schlupfloch zu finden», sagt sie. «Ich denke, wenn die Regeln im Sinne einer Selbstregulierung von innen kommen, dann ist das nachhaltiger.» 

Aus der SP-Fraktion gelangten 2022 zwei Vorstösse in den Nationalrat, die eine Kennzeichnungspflicht für retuschierte Fotos nach dem Vorbild einer Gesetzesänderung in Norwegen verlangten. Ausserdem sollte das Werbeverbot für Schönheitsoperationen durch Influencer stärker überwacht werden. Der Bundesrat antwortete, er verfolge die Regulierungsansätze anderer Länder im Bereich der digitalen Medien zwar mit Interesse. Gesetzesanpassungen halte er aber für verfrüht.   

Fest steht: Die Debatte um Regulierungen für Influencer-Marketing nimmt Fahrt auf. Die European Advertising Standards Alliance hat im März Empfehlungen für vorbildliches Influencer-Marketing herausgegeben. Darin steht eine Liste von Hashtags, die in verschiedenen Ländern gemäss den nationalen Gesetzgebungen als Hinweis auf Werbung zur Anwendung gelangen wie #publicidad, #advertising, #anúncio. Schweizer Beispiele fehlen bislang auf dieser Liste.