Ich frage mich oft, welche Träume die nächsten Generationen in sich tragen und ob sie ebenfalls diesen Antrieb spüren werden, ihrem Dasein einen besonderen Wert zu geben. Werden sie auch versuchen, Brücken auf ihrem Weg zu bauen, damit jene nach ihnen diese begehen können? Oder werden auch sie an manchen Tagen in Erinnerungen schwelgen, weil nur noch dort die Menschen existieren, die man in seinem Leben zurückgelassen hat?

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Vor ein paar Tagen besuchte ich meine Eltern und kam bei einem Spaziergang an meiner alten Schule vorbei. Es war ein Sonntag, und das Schulgelände sah aus, als wäre seit meinem Abschluss vor 19 Jahren kein Stein verschoben worden: Die Froschfiguren des Brunnens im Hof lachten noch wie damals. Aus dem Boden ragten hier und dort die Wurzeln der gleichen Bäume. Und Stimmen deuteten an, dass sich auch heute noch Schülerinnen und Schüler in ihrer Freizeit auf der Sportanlage austobten.

Es war eine Gruppe Jugendlicher, die auf dem Platz Fussball spielte, wo auch ich im Sommer täglich bis zum Sonnenuntergang als Torhüterin die Schüsse meiner Schulfreunde abgewehrt hatte. Einer der Jungs stürmte in seinem Xhaka-Trikot nach vorn und rief bei jedem Goal «Siu!» aus, als wäre er der nächste aufstrebende Stern am Schweizer Fussballhimmel.

Wie ich ihn beneidete um all das, was das Leben noch für ihn bereithalten würde – den holprigen und doch aufregenden Weg, der noch vor ihm lag. Die Freudentränen beim Erreichen all der kleinen und grossen Ziele. Momente der Herausforderung, die einen weiterbringen im Leben. Und einem die Einsicht bringen, dass nach jeder dunklen Nacht der Tag erwacht. Kurz: Ich beneidete ihn um seine Jugend.

Da musste ich an meine Eltern denken, die nie über die Zeit und die Mittel verfügten, um sich ihre eigenen Träume zu erfüllen. Wenn sie der verflossenen Jahre gedachten, pflegten sie zu sagen: «Shpirti i rinisë mbetët përjetë» – der Geist der Jugend bleibt für immer. Mich erinnert dieses Sprichwort stets daran, dass nicht nur in mir, sondern auch in der Generation meiner Eltern jugendliche Lebendigkeit steckt – und mit ihr auch Zeit und Raum, um noch Ideen, Wünsche und Ziele zu haben.

Zu Hause fragte ich meine Mutter, ob sie noch Träume habe, die wir gemeinsam erfüllen könnten. Sie überlegte kurz und sagte dann: «Träume sind schön. Doch es gibt etwas Besonderes am Älterwerden: Wir können zwar noch immer Zielen nachrennen. Aber wir können uns auch ausruhen und uns an all den Erinnerungen nähren, die wir im Leben gesammelt haben.» Und um ehrlich zu sein – das schien mir fast noch kostbarer.

Zur Person
Shqipe Sylejmani