Tim L. existiert im realen Leben zwar nicht, seine Geschichte könnte sich aber tatsächlich so zugetragen haben - denn sie wird den Beraterinnen und Beratern beim Beobachter fast täglich so geschildert: Aus heiterem Himmel kriegt Tim L. von einem kantonalen Amt ein Schreiben, das ihn auffordert, seinen hobbymässigen Vertrieb von homöopathischen Heilmitteln übers Internet einzustellen. Das Schreiben ist gespickt mit Auszügen aus Gesetzesartikeln und Verordnungen, mit denen Tim L. nichts anfangen kann. Da in seinem Vertrieb einiges von seinem Ersparten steckt, möchte er die amtliche Aufforderung nicht unwidersprochen stehenlassen. Doch was kann er tun? Tim L. wendet sich ans Beobachter-Beratungszentrum. Dort erhält er eine Schnellbleiche in Staatskunde in fünf Akten.

Erster Akt: Das Gesetz ist Massstab und Schranke
Staatliches Handeln - egal, durch welche Behörde - ist an das Legalitätsprinzip gebunden. Dieses in der Bundesverfassung verankerte Prinzip besagt, dass Verwaltungstätigkeiten nicht gegen das Gesetz verstossen dürfen. Nicht nur das: Jede Verwaltungshandlung muss sich auf ein Gesetz abstützen können.

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Was auf dem Papier recht simpel tönt, hat in der Praxis weitreichende Auswirkungen: Ohne entsprechende gesetzliche Grundlage dürfen die Behörden keine Handlungen vornehmen oder Anordnungen treffen. Ein Beispiel: Ein Bauamt kann ein Gesuch um eine Baubewilligung nur ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen baurechtliche Bestimmungen wie etwa die Abstandsvorschriften verstösst. Ist das Baugesuch dagegen baurechtskonform, hat der Gesuchsteller Anspruch auf Erteilung der Baubewilligung. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben - spätestens auf Verlangen - das Recht, zu erfahren, auf welches Gesetz sich das Amt beruft.

Zweiter Akt: Öffentliches Interesse und Verhältnismässigkeit
Nebst dem Recht ist das öffentliche Interesse Voraussetzung und Massstab staatlichen Handelns. Denn: Der Staat hat das Wohl der Allgemeinheit zu schützen und zu fördern und die Anliegen der staatlichen Gemeinschaft wahrzunehmen. Meistens geht es um den Schutz der sogenannten Polizeigüter, also die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die öffentliche Ruhe, Gesundheit und Sittlichkeit sowie Treu und Glauben im Geschäftsverkehr. Aber auch fiskalische, planerische, soziale und sozialpolitische Interessen können von Bedeutung sein. Im Weiteren kommen andere öffentliche Interessen wie Umwelt- und Gewässerschutz, Natur- und Heimatschutz sowie Tierschutz in Betracht.

Ein öffentliches Interesse allein reicht allerdings nicht aus; staatliches Handeln muss in jedem Fall verhältnismässig sein. Konkret bedeutet dies: Verwaltungsmassnahmen zur Verwirklichung eines im öffentlichen Interesse liegenden Ziels müssen geeignet und notwendig sein. Ausserdem muss der angestrebte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zu den Belastungen stehen, die den Privaten auferlegt werden. Mit anderen Worten: Die Behörden dürfen nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen - und auch nicht mit Kanonen auf Spatzen schiessen.

Zwischenfazit für Tim L.: Das kantonale Amt muss ihm die Anordnung ausreichend begründen. Insbesondere muss es ausführen, in welchem öffentlichen Interesse die angeordnete Einstellung seines Internetvertriebs steht und weshalb nur ein Verbot in Frage kommt. Doch damit nicht genug: Tim L. hat Anspruch auf rechtliches Gehör; er kann zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen und zu den angestrebten Massnahmen Stellung nehmen.

Dritter Akt: Mit der Verfügung beginnen die Justizmühlen zu mahlen
Jeder Verwaltungsakt, also jede hoheitliche Anordnung einer Behörde, ist eine Verfügung - unabhängig davon, ob sie so bezeichnet ist oder nicht. Typische Verfügungen sind zum Beispiel Verbote, die Bewilligung oder Verweigerung von Gesuchen oder die Einforderung von Gebühren und Steuern. Für die Form der Verfügungen bestehen meistens gesetzliche Vorschriften; in der Regel muss die Verfügung in schriftlicher Form ergehen sowie eine Begründung und eine Rechtsmittelbelehrung enthalten. So oder so - die Behörden tragen immer die Beweislast dafür, dass die Verfügung erlassen und den betroffenen Personen eröffnet worden ist.

Für Tim L. bedeutet das: Er kann vom kantonalen Amt eine solche rechtsgenügende Verfügung verlangen, sollte es trotz seiner Stellungnahme am Vertriebsverbot festhalten. Sobald die verlangte Verfügung vorliegt, kann er diese anfechten.


Vierter Akt: Förmliche Rechtsmittel und formlose Rechtsbehelfe
Gegen Verfügungen stehen in der Regel sogenannte förmliche Rechtsmittel und formlose Rechtsbehelfe zur Auswahl:

 

  1. Die Beschwerde (oft auch Rekurs genannt) ist das übliche Rechtsmittel, mit dem ein Behördenentscheid bei einer hierarchisch höheren Behörde oder einer besonderen Beschwerde- beziehungsweise Rekursinstanz angefochten wird. Die Beschwerdeinstanz kann den angefochtenen Entscheid voll überprüfen - insbesondere, ob dieser angemessen ist oder nicht.
  2. Die Einsprache ist das vom Gesetz (zum Beispiel im Bau- oder im Steuerrecht) vorgesehene förmliche Rechtsmittel, mit dem eine Verfügung direkt bei der verfügenden Verwaltungsbehörde zwecks Neuüberprüfung angefochten wird.
  3. Das Revisionsgesuch ist das ausserordentliche förmliche Rechtsmittel, mit dem ein bereits rechtskräftiger Entscheid bei Vorliegen eines Revisionsgrunds angefochten werden kann: etwa wenn neue erhebliche Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die zur Zeit der Erstbeurteilung nicht vorgebracht werden konnten, oder krasse Verfahrensmängel.
  4. Das Wiedererwägungsgesuch ist ein formloser Rechtsbehelf, mit dem die betroffene Person die verfügende Verwaltungsbehörde bittet, auf die Verfügung zurückzukommen und sie abzuändern oder aufzuheben. Da grundsätzlich kein Anspruch auf Prüfung und Beurteilung besteht, ist die Behörde nicht verpflichtet, sich mit dem Gesuch zu befassen.
  5. Die Aufsichtsbeschwerde ist ein formloser Rechtsbehelf, mit dem eine Verfügung oder irgendeine andere Handlung einer Behörde bei deren Aufsichtsbehörde beanstandet wird. Eine Aufsichtsbeschwerde kann jedermann einreichen, allerdings ebenfalls ohne Anspruch auf Erledigung.

Fünfter Akt: Förmliche Rechtsmittel bieten bessere Chancen
Tim L. weiss nun, dass er mit einem förmlichen Rechtsmittel die besten Aussichten auf Erfolg hat. Ihm ist aber auch bewusst, dass er nach Erhalt der Verfügung keine Zeit vergeuden darf - vor allem wenn er noch professionelle Hilfe von einer Anwältin oder einem Anwalt beiziehen will. Denn: Bei den förmlichen Rechtsmitteln müssen bestimmte Fristen - je nach Behörde - von 10, 20 oder 30 Tagen eingehalten werden, da die Verfügungen sonst rechtskräftig werden. Die Frist beginnt in der Regel am Tag nach der Mitteilung zu laufen. Die Beschwerdeschrift muss dann spätestens am letzten Tag der Frist der Post übergeben werden.

Der Berater vom Beobachter hat kaum den Telefonhörer aufgelegt, da macht sich Tim L. auch schon an die Arbeit.