Claudio redet und redet. Die Anweisungen, die er seinen Tiktok-Zuschauern mit fremdsprachig angehauchtem Slang erteilt, wiederholt er so oft, dass man eigentlich nur noch eines will: weg von seinem Kanal. Und doch bleibt man dabei und beobachtet, ob es wohl jemandem gelingt, neun Zähne beim Plastik-Schnappkrokodil herunterzudrücken, ohne dass das Maul zuklappt. Wem das gelingt, gewinnt den Jackpot Geld- und Glücksspiele Was ist erlaubt, was verboten?  – heute angeblich 73’000 Franken. 

Die Livesendung ist ein Gemeinschaftswerk eines jungen Schweizer Ehepaars: Die 30-jährige Elena, die sich «Crypt0blondie» nennt, prüft auf dem Handy, welcher User als Nächstes die zu drückenden Zähne ansagen darf, ihr 31-jähriger Mann Claudio redet und hantiert am Krokodil. «Ihr wisst es, ihr könnt nur mitmachen, wenn ihr uns das Diamantengeschenk sendet», sagt er.

Jackpot kann man nur gegen Geldeinsatz gewinnen

Diamanten sind eine virtuelle Währung auf Tiktok. Mit ihnen können die User den Influencern ihre Sympathie bekunden. Erhält ein Influencer 1000 Diamanten, kann er sich 25 Dollar auszahlen lassen. 

Die Diamanten müssen die User mit echtem Geld kaufen. Wie viel ein Diamant kostet, ist abhängig von der Beliebtheit des Influencers, meist ein paar Franken. Mit anderen Worten: Um am Gewinnspiel um den Jackpot Verdoppelung von problematischem Online-Geldspiel Immer mehr Süchtige – schützt das neue Geldspielgesetz zu wenig? teilnehmen zu können, müssen die Zuschauer etwas bezahlen. Das könnte für die beiden Influencer Elena und Claudio wie auch weitere User aus der Schweiz, die solche Gewinnspiele betreiben, zum Problem werden.

Glücksspiele brauchen eine Bewilligung

Geldspiele unterliegen in der Schweiz strengen Regeln. Wer sie anbieten will, braucht dafür eine Bewilligung der Behörden Neue Schweizer Online-Casinos «Man beutet die Naivität der Leute aus» . Doch die beiden Personen hinter dem Usernamen Crypt0blondie verfügen gemäss Auskunft der Interkantonalen Geldspielaufsicht (Gespa) über keine solche Lizenz. Denn: Nur Firmen können eine solche beantragen. «Natürliche Personen können keine Bewilligungen oder Konzessionen für die Durchführung von Geldspielen erlangen», sagt Patrik Eichenberger, stellvertretender Direktor der Gespa. 

Ein Geldspiel liegt gemäss Eichenberger aber immer dann vor, wenn mit einem Geldeinsatz ein Geldjackpot oder ein anderer geldwerter Vorteil in Aussicht gestellt wird – also auch Gegenstände wie eine Luxusuhr oder Elektronikartikel, die ebenfalls über Tiktok verlost werden.

Polizei klärt Gewinnspielfall ab

Offenbar ist auch nicht allen Zuschauern ganz wohl bei der Sache. Immer wieder äussern sie während der Livesendungen in Kommentaren Bedenken, ob überhaupt jemals ein Gewinn ausbezahlt werde – was Elena mit scharfen Worten aus dem Weg räumt: «Du kommst hier auf unseren Kanal und motzt – dann geh doch einfach zu einem anderen Profil, wir brauchen hier keine Hater.» 

Ein anderer User ging Mitte Dezember noch weiter: Er markierte die Kantonspolizei Aargau, die auf der Plattform sehr aktiv ist. Kurz danach war das Konto des Melders inaktiv. «Uns ist der Fall von Crypt0blondie bekannt», sagt Vanessa Rumpold, Mediensprecherin bei der Kapo Aargau. Man sei auf die mutmasslich illegalen Glücksspiele der beiden Personen aufmerksam gemacht worden und kläre ab, wer für den Fall zuständig ist.

Tiktoker-Paar Crypt0blondie antwortet nicht auf Fragen

Der Beobachter wollte von den beiden Tiktokern wissen, ob ihnen bewusst ist, dass ihre Aktivitäten nicht ganz harmlos sind. Wie häufig wurde der Jackpot schon geknackt? Wurde er jemals ausgezahlt? Und wie viel verdient das Ehepaar an dem Spiel? Doch alle Kontaktversuche über Tiktok, über Claudios Anwalt und über seine Mutter liefen ins Leere. Antworten auf die Fragen gab es keine. Stattdessen blockierten sie den Beobachter auf Tiktok – und machen munter weiter. 

Ob sich das Ehepaar tatsächlich strafbar gemacht hat, ist noch unklar, es gilt die Unschuldsvermutung. Sollte die Untersuchungsbehörde zum Schluss kommen, dass es sich um ein illegales Glücksspiel handelt, drohen den beiden Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Möglich, dass dann der SUV-Lamborghini, den Claudio seiner Elena angeblich kürzlich neu kaufte, wieder aus dem Fuhrpark des Ehepaars verschwindet.