Beobachter: Es ist Sommer, überall wird grilliert – und auf neun von zehn Grills liegt Fleisch…
Holger Stromberg: Ich vermute sogar auf zehn von zehn.


Ist das nach Ihrem Geschmack?
Keinesfalls. Ich habe früher auch gern grilliert, heute aber kaum noch, weil ich nicht weiss, was ich auflegen soll. Schade, denn Grillieren ist ein schönes gemeinschaftliches Erlebnis. Aber wenn wir das weiter haben wollen, brauchen wir eine starke Alternative zum Fleisch.

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Nämlich?
Ich will ein rein pflanzliches Grillpaket entwickeln. Es soll schmecken und zugleich gesund sein. Damit wäre es qualitativ besser als das, was bald jeder Discounter hat. Hauptsache, sie können draufschreiben: «Wir haben auch vegan!»


Sie machen sich für pflanzliche Ernährung stark. Der Vegan-Trend muss Sie doch freuen.
Tut es auf der einen Seite auch. Anderseits gibt es in diesen Produkten häufig exotische Inhaltsstoffe. Es kann ja nicht die Zukunft sein, alles auf Kokosbasis herzustellen. Oder in Fleischersatzprodukte nur noch Weizeneiweiss reinzupumpen, bloss weil es gerade günstig verfügbar ist – denn damit schädigt man den Darm.


Heisst also: Vegan ist nicht automatisch gut?
Momentan herrscht auf dem veganen Markt Goldgräberstimmung. Alle schiessen Produkte raus, machen aber Fehler in den Verarbeitungsprozessen. Da muss man mit hohem Sachverstand herangehen. Sonst besteht die Gefahr, dass es nach einer gewissen Zeit heisst: Das ist ja gar nicht so gesund, wie es immer geheissen hat – und dann essen die Leute wieder ihren Schweinenacken aus Massentierhaltung.


Worauf kommt es an, damit vegan gut ist?
Wichtig sind möglichst regionale Proteinquellen. Eine nachhaltige Lösung könnte die Erbse sein oder die Sonnenblume. Beide sind sehr eiweissreich.


Sie sagen: «Es ist Zeit, clever zu essen!» Wie meinen Sie das?
In den letzten 30, 40 Jahren gab es kaum Entwicklungen, nur noch Gewohnheiten. Jetzt sollten sich alle einmal Gedanken über ihren Warenkorb machen. Gewissermassen jedes einzelne Produkt auf die Waagschale legen und sich fragen, ob es das wirklich braucht. Es geht darum, die Menschen rasant umzubegeistern, was ihre Essgewohnheiten angeht.


Wie geht das: umbegeistern?
Entscheidend sind drei Faktoren: Geschmack, Sensorik und die «healthy benefits», also die Auswirkungen auf die Gesundheit. Das muss alles auf der positiven Seite sein. Bei diesen Punkten muss man andocken, wenn man jemanden vom konventionellen Fleisch-Milch-Konsum wegbringen will.


Ich gebe es zu: Auf meinem Grill liegt auch eine Bratwurst. Eine solche Aussage ist heutzutage moralisch schon ziemlich aufgeladen.
Das hat leider etwas. Ich sage meinen Veganerfreunden immer: Hey, je fundamentalistischer ihr auftretet, umso mehr treibt ihr die Menschen zu noch mehr Fleisch. Bevormundung funktioniert gar nicht. Darum: umbegeistern.


Wie stellen Sie das bei mir an?
Ich versuche, Sie aus der Reserve zu locken, um Ihre Gewohnheiten zu durchbrechen: «Versuchen Sie, 14 Tage nur pflanzlich zu essen! In 14 Tagen werden Sie daran nicht sterben. Machen Sie eine Wette mit sich selbst. Wenn Sie an Ihrem Körper keine Veränderung spüren, dann machen Sie weiter wie bisher. Aber glauben Sie mir: Sie werden etwas spüren!» Es geht darum, die Menschen auf eine positive Art dazu zu bringen, ein Experiment durchzuführen. Am Ende des Tages ist es doch so: Ich höre viel, aber ich glaube nicht alles. Ich glaube nur meinem allerbesten Freund – meinem eigenen Körper. Wenn der sagt, das ist gut für mich, dann lasse ich mich darauf ein.
 

«Ich hoffe, das beste Essen meines Lebens steht mir noch bevor.»

Holger Stromberg, Sternekoch

In unserem Beitrag Lebensmittel der Zukunft Im Labor wird gerade das Essen neu erfunden geht es um Fisch aus dem Labor, um gezüchtete Algen: Werden sich solche Konzepte in Zukunft durchsetzen?
Ja, ich glaube daran. Gerade die Mikroalge hat enormes Potenzial als Proteinlieferantin. Ich kann mir vorstellen, dass Algen und Mikroorganismen irgendwann einen Anteil von 25 Prozent am Gesamtvolumen unserer Nahrungsquellen haben werden. Dass dahinter laborähnliche Produktionen stehen, sollte uns nicht abschrecken.


Sind diese Alternativen erfolgreich, weil sie schmecken? Oder weil es angesichts von Klimaerwärmung oder schlechter Tierhaltung schlicht vernünftig ist, sie zu verwenden?
Sie setzen sich durch, weil es gar nicht anders machbar ist, die Menschheit künftig mit ausreichend gesunder Nahrung zu versorgen. Und es liegt ja in unserer Macht, aus den einzelnen Produkten geschmackvolle und erfüllende Speisen zu kreieren, mit denen unser Körper alles bekommt, was er benötigt.


Welche Rolle kommt den Köchen beim Neudenken des Essens zu?
Sie haben eine Vorbildfunktion. Sie müssen es schaffen, die Lebensmittel, die für uns und unseren Planeten gut sind, so zu übersetzen, dass sie der Allgemeinheit schmecken. Darauf kommt es an. Ich sehe die Zukunft der Köche wissenschaftlicher, es braucht eine kulinarische Intelligenz. Und sie müssten sich der Natur unterordnen.


Sie gebrauchen den Konjunktiv.
Ich kenne nur wenige, die so denken. Wenn ich sehe, wie sich meine Sternekoch-Kollegen auf ihren Social-Media-Kanälen präsentieren: mit Hummer, Steinbutt, Fleisch. Sie definieren sich über das Lebensmittel Tier. Mit dieser Botschaft boykottieren sie eine Methode für die Ernährung der Zukunft.


Sie stammen aus einer Gastronomenfamilie: Was haben Sie als Kind am liebsten gegessen?
Ich habe wahnsinnig gern Möhrengemüse gegessen, das konnte meine Oma am besten. Das zweite Lieblingsgericht war Rheinischer Sauerbraten, gekocht von meinem Vater.


Essen Sie den immer noch?
Ich esse noch Fleisch, ja. Ich will da nicht dogmatisch sein. Meine Lebensmittel sind zu mindestens 85 Prozent rein pflanzlicher Herkunft. Der Rest? Wie es mir gefällt. Wenn ich dann mal Lust auf den Sauerbraten oder eine schön geschmorte Rehkeule habe, dann gibt es das.


Mit gutem Gewissen? Oder dem Gefühl zu sündigen?
Sündigen sowieso nicht, denn ich weiss immer, woher das Fleisch kommt, das ich esse. Wenn mein Körper mir sagt, er möchte das jetzt, und mein Geist das auch sagt, dann lasse ich das mit einem guten Gefühl zu.


Essen kann also einfach pure Lust sein. Auf der anderen Seite setzen Sie sich stark mit den rationalen Aspekten des Essens auseinander. Wie geht das zusammen?
Finden Sie, Vernunft und Genuss ist etwas, was sich ausschliesst?


Manchmal schon.
Ich nicht, im Gegenteil: Ich finde, es bedingt sich. Ich bin ja ein Genussmensch, nicht bloss ein Genussesser. Ich will nach dem Essen in eine intakte Natur gehen können. Sauberes Trinkwasser haben. Ich möchte, dass auch viele Generationen nach mir noch in diesen Genuss eines sicheren Lebens kommen.


Was war das beste Essen Ihres Lebens?
Ich hoffe, das steht mir noch bevor. Aber das beste Essen, das gibt es nicht. Das wechselt auch ständig, mit jeder neuen Entdeckung, die ich mache. Es gehört auch der perfekte Moment dazu. Wenn alles stimmt, wenn man Ruhe hat, wenn man mit tollen Menschen zusammen ist – all das macht ein Lieblingsessen aus.


Diese soziale Funktion des Essens, das gemeinschaftliche Erlebnis: Bleibt das erhalten, wenn das Essen zunehmend kompliziert wird?
Ganz sicher. Wir sind jetzt in einer Entwicklungsphase, in der die Grundsätze unserer Ernährung anders definiert werden. Mag sein, dass das zurzeit etwas kompliziert ist. Aber irgendwann wird das neu erfundene Essen wieder Normalität sein, dann kommt auch diese Kultur zurück. Dann werden wir am Grill gemeinsam mit Freunden ein ganz normales pflanzliches Barbecue geniessen und uns denken: «Meine Güte, was haben unsere Grosseltern einst bloss gegessen?»


«Essen ändert alles» heisst Holger Strombergs neustes Buch (Südwest-Verlag, 2019). Im Ernährungsratgeber mit 35 Rezepten geht es um gesunde Küche und stressfreies Kochen.

Zur Person

Holger Stromberg, 48, bekam mit 23 einen Michelin-Stern und war Koch der deutschen Fussballnationalmannschaft. Er nennt sich «Nutritionist» und propagiert nachhaltig produziertes Essen auf pflanzlicher Basis.

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Dani Benz, Ressortleiter
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