Bruno Ziauddins Rücken führt ein unberechenbares Eigenleben. In stressreichen Zeiten – also dann, wenn am ehesten mit Schmerzen zu rechnen wäre – tut er kaum weh. Umgekehrt kommen Beschwerden, wenn es keinerlei Grund dafür gibt: «Ich fühle mich ausgeruht und entspannt und habe nichts Schweres getragen, dennoch tut es weh», sagt der 44-jährige Journalist und Buchautor.

Wenn er über seinen Rücken spricht, ist es, als beschreibe er das Zusammenleben mit einem zuweilen garstigen Partner: Mit den Jahren kennt man dessen Empfindlichkeiten und Launen. Aber man hasst ihn nicht dafür. Man hat gelernt, mit den Marotten umzugehen und sich von ihnen nicht das Leben verderben zu lassen. Doch manchmal schleiche es sich noch ein, dieses Gefühl, mit einem beeinträchtigten Körperteil gestraft zu sein. Das sei der Fall, wenn der Schmerz wochenlang anhält. Wenn sich die Laune verdüstere und er allmählich wehleidig werde – nach der x-ten Physiotherapiestunde.

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«Unspezifische Kreuzschmerzen»

Dennoch habe sich das Verhältnis zu seinem Rücken mit den Jahren entdramatisiert. Kommt eine seiner «schlechten Rückenphasen», nimmt es Bruno Ziauddin meist nüchtern zur Kenntnis: Aha, er tut wieder weh. Das wird zwar unangenehm werden, aber du wirst es aushalten. Und wenn es nicht anders geht, nimmst du halt Schmerztabletten. «Ich habe mich darauf eingestellt», sagt er. Dazu gehöre die simple Erkenntnis, dass ihn die «unspezifischen Kreuzschmerzen» aller Wahrscheinlichkeit nach bis ans Lebensende begleiten werden. Und er sich damit abfinden muss, dass sie auch dann auftreten können, wenn er sie am wenigsten erwartet, geschweige denn brauchen kann.

Es sei ein Glück, dass er zu diesem Schluss gekommen sei, denn seither fühle er sich von grossem Druck befreit: «Früher habe ich mir immer gesagt: Wenn ich fleissig trainiere und auf meine Haltung achte, wird mein Rücken wieder gesund.» Doch oft genug folgte darauf bittere Enttäuschung. Und zu allem Überfluss nagte dann auch noch das schlechte Gewissen: Hätte ich besser aufgepasst, ginge es meinem Rücken jetzt besser.

Verschiedenste Diagnosen

Nicht immer betrachtete Bruno Ziauddin sein Leiden so abgeklärt. Ausgebrochen sind die Rückenschmerzen vor 13 Jahren nach einem Fussballspiel. Der Arzt diagnostizierte eine Blockade des Gelenks zwischen Kreuz- und Darmbein (Iliosakralgelenk). Es war der Anfang einer langen Krankengeschichte mit vielen Tiefschlägen. Und fast so vielen Konsultationen bei Spezialisten, von denen jeder eine andere Diagnose stellte, andere Therapien empfahl, andere Prognosen abgab. Sie reichten von «hoffnungsloser Fall» bis hin zu «Sie werden wieder vollständig gesund».

Beim ersten Mal glaubte Ziauddin noch, Verrenkungen oder Zerrungen gehörten bei einem Hobbysportler dazu und seien schnell kuriert. Einmal sollte er recht behalten. Doch dann kamen die Schmerzen immer wieder und machten ihn mit der Zeit mürbe. Dieses «stumpfe Brennen oberhalb des Beckens» quälte ihn wochenlang und traktierte ihn tagein, tagaus. 2001, nach einigen bis anhin nicht gekannten Schmerzattacken, fand Ziauddin Hilfe im Sakralblock – einer «grauenvoll schmerzhaften Behandlung», bei der man mit einer langen Kanüle Kortison in den Wirbelsäulenkanal gespritzt bekommt. Danach habe er weitgehend beschwerdefreie Monate erlebt. Das nährte die Illusion, doch noch gesund zu werden. Dass er sich mit dieser Annahme irrte, lehrten ihn weitere Schmerzphasen.

Bruno Ziauddin beschrieb seine «Rückenschmerz-Karriere» vor fünf Jahren in der «Weltwoche» – offenbar mit lindernder Wirkung. «Danach war ich drei Jahre lang beschwerdefrei.» Dann seien die Schmerzen zurückgekommen, wenn auch nicht in dem verheerenden Ausmass wie vor dem Sakralblock.

Bruno Ziauddin, Journalist

Zu jung für Nordic Walking

Wenn er heute Beschwerden hat, verspüre er meist einen dumpfen, nicht allzu starken Schmerz. «Der ist diffus und nicht genau lokalisierbar»: Manchmal hockt er in der Mitte der Wirbelsäule, manchmal am Beckenkamm, am nächsten Tag ist er Richtung Gesäss gewandert oder setzt sich in der Leistengegend fest. Ziauddin bezeichnet sich als «Mittelding» – weder krank noch gesund. «Mein Kreuz ist keineswegs perfekt.» Und es sei nicht wegzudiskutieren, dass er Abnutzungen an der Wirbelsäule habe. Damit muss er leben, hat ihm ein Rheumatologe bescheinigt. Und das versucht er.

Im Moment geht es seinem Rücken «ganz okay». Lebensqualität büsst er nicht ein. Zumindest empfindet er es nicht mehr so. Auf Anraten eines Arztes hatte er vor Jahren das Fussballspielen sowie langes und schnelles Joggen aufgegeben. Das sei ihm anfangs schwergefallen. Immer wieder rät man ihm zu sanften Sportarten wie Nordic Walking. Doch der 44-Jährige winkt ab. «Ich habe gehört, dass es gut sein soll, aber dafür fühle ich mich zu jung – für Aqua-Gymnastik auch.»

Ein salonfähiges Leiden

Man müsse aufpassen, welches Image man sich selbst verpasst. Sehe man sich nur noch als Leidenden, der Schonung brauche, sei man irgendwann tatsächlich krank und therapiebedürftig. Dennoch achtet er auf sich. Er sorgt für Ausgleich zu seinem Schreibtischjob, macht ein- bis zweimal die Woche mässiges Krafttraining, fährt Velo. Nach Bedarf konsultiert er seinen Physiotherapeuten: «Ich vertraue ihm, ich kenne ihn schon lange, und er kennt meinen Rücken.»

Acht geben auf den Rücken, dazu gehören auch Vermeidungsstrategien. In einem Punkt nämlich seien die Schmerzen vorhersehbar, sagt Ziauddin. «Wenn ich lange stehe, kommen sie, da kann ich Gift darauf nehmen.» Einmal, in einer Schmerzphase, habe er in München ein Fussballspiel im Stehen verfolgt – im vollen Bewusstsein, dass er sich damit wochenlanges Leiden einhandeln würde. Derlei riskiert er nicht mehr. Ist er zum Stehempfang geladen, schnappt er sich einen Stuhl und setzt sich hin – zwischen all den stehenden Gästen. Erhebend sei das nicht, und zuweilen fühlt er sich in solchen Momenten invalid. Aber meist stösst er auf Verständnis, denn Rückenschmerzen sind ein weit verbreitetes Leiden – und daher sozusagen salonfähig.