Meine Freundin und ich lagen am Boden. Sie vor Schmerzen, ich aus Solidarität. «Ich habe keine Ahnung, warum das Ding ‹Regel› heisst», flüsterte sie. «Wenn Männer menstruieren würden, wäre die Bezeichnung bestimmt ‹Blutsturm› oder sonst etwas Heroisches.» Wir begannen zu lachen. Sie gekrümmt wie ein Shrimp, ich entspannt ausgestreckt. Auf ihrem Bauch rieselte und kieselte ein Kirschsteinkissen Mens-Schmerzen Mit der Regel statt dagegen wie das zweckentfremdete Regenrohr eines südamerikanischen Medizinmannes, in meinem Kopf begann das Gehirn zu rattern.

Gespräche über die Menstruation gehören für mich als Sexologin zum Alltag. Wenn ich die sexuelle Biografie einer Frau während einer Beratung erforsche, frage ich stets nach der Menarche, also ihrer ersten Menstruation. Die meisten Frauen sind dann ein bisschen perplex, weil nur wenige ihre Menstruation, Pardon, den Blutsturm mit ihrer Sexualität in Verbindung bringen. Dabei ist der Zyklus ein essenzieller Bestandteil des ganzen gesellschaftlichen Lebens. Das Wort «gesellschaftlich» ist ganz bewusst gewählt: Wenn ein Phänomen täglich über 300 Millionen Personen betrifft, sollte es doch wichtig genug sein, um alle etwas anzugehen.

Ich mag Menschen, die die Menstruation spannend und relevant finden. Besonders wenn sie selbst nicht menstruieren. Diese Haltung zeigt jene Art von Interesse, die anderen fundamental guttut. Wer sich interessiert, muss weder abwerten noch glorifizieren, sondern es einfach bedeutsam finden. Das führt zu Präsenz, einem der schönsten Geschenke, die wir einem anderen Menschen machen können. Gerade in harten Zeiten sollten wir bei Dingen, die kein Geld kosten, alle ein bisschen freigebiger sein.

«Der Zyklus lehrt uns, dass sich vieles wiederholt, alles ändert und schliesslich das meiste vorbeigeht.»

Caroline Fux, Psychologin

Mir geht immer das Herz auf, wenn Menschen öffentlich über ihren Umgang mit ihrem Zyklus sprechen. Sportlerinnen, die ihr Training anpassen. Künstlerinnen, die damit ihre Schaffenskraft verbunden sehen. Berufsfrauen, die erzählen, wie hart es manchmal ist, blutend und präsent gleichzeitig zu sein. Diese Geschichten sind hervorragende Steilvorlagen, um sich selbst zu fragen, ob man vielleicht immer noch der komplett idiotischen Forderung huldigt, ständig auf ein Maximum oder Optimum geeicht zu sein.

Der Zyklus lehrt uns, dass das Leben ein ständiges Werden und Vergehen ist. Dass es Zwischenphasen, Wartezeiten und Höhepunkte gibt, vor allem aber, dass sich vieles wiederholt, alles ständig irgendwie ändert und schliesslich das meiste vorbeigeht. Und wenn dieses Lehrstück nicht für alle Menschen wichtig und gewinnbringend sein soll, dann weiss ich nicht, was sonst.

Ich bin oft mit Männern konfrontiert, die von sich ein absolutes Dauerhoch erwarten. Im Job, in der Familie, in der Sexualität. Es wäre illusorisch, davon auszugehen, dass diese Erwartungshaltung anders wäre, wenn sie menstruieren würden Fakten rund um Testosteron Auch Männer haben ihre Tage . Denn auch viele Frauen sehen die Zusammenhänge und vor allem auch das emotionale und psychologische Potenzial ihres Zyklus nicht. Ein spannendes Experiment wäre es trotzdem.

Ich erlebe immer wieder, wie gut es Menschen tut, wenn sie anfangen, ihren Körper zu spüren, zu schätzen und zu bewohnen. Aber das geht nur, wenn wir ihm mit all seinen Prozessen im Alltag Wert geben – im Innern und im Äussern, im Wohl und im Weh, bei uns selbst und bei anderen.

«Ich bin eigentlich ganz froh, dass ich das Ding noch habe», flüsterte meine Freundin auf dem Teppich. «Ich auch», flüsterte ich zurück. Beide wohl wissend, dass das Ganze über kurz oder lang ein Ende haben wird. «Aber wenn es dann vorbei ist, ist es auch okay», sagte sie. «Versprochen?» – «Versprochen», bekräftigte ich und wärmte das Kirschsteinkissen nochmals in der Mikrowelle auf.

Zur Person

Caroline Fux

Caroline Fux schreibt für den Beobachter über ihre Arbeit als Psychologin und die tägliche Konfrontation mit sich selbst. Ausserdem ist sie Co-Autorin der Beobachter-Bücher «Was Paare stark macht», «Guter Sex» und «Das Paar-Date».

Quelle: Paul Seewer

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