Leserfrage: «Viele würden mich wohl als ganz normale junge Frau einschätzen. Wenn ich mich aber mit anderen vergleiche, fühle ich mich minderwertig und bin neid- und hasserfüllt.»

Was Sie beschreiben, ist ein Gefühl, das so alt ist wie die Menschheit. Schon im Alten Testament wird es als Zehntes Gebot angeführt: der quälende Vergleich mit anderen, bei dem man scheinbar immer verliert. Man fühlt sich weniger wert, schlechter und kleiner als das Gegenüber. Und wäre gern so und hätte gern das, was der oder die andere in unseren Augen ist und hat.

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Dieser Vergleich macht vor kaum etwas halt: Ob Geld, Status, Freundeskreis oder Body-Mass-Index – grundsätzlich bietet sich alles an, sich und andere zu bewerten und im Zweifelsfall den Kürzeren zu ziehen. Doch damit nicht genug. Es geht uns nicht nur schlecht, weil wir weniger sind und haben. Und gern mehr wären und hätten. Wir schämen uns noch zusätzlich für unseren Neid Psychologie Neid ist nützlich : Er ist gesellschaftlich geächtet.

Schon im althochdeutschen Ursprung des Wortes nîd ist der feindselige Unterton dieses Gefühls angelegt. Nîd bedeutete Missgunst, Hass und Groll. So sind und zeigen wir uns nicht gern und behalten diese Verstimmungen oft für uns. Sie gären aber weiter und kommen dann zum Beispiel als moralische Empörung zum Vorschein. Da heisst es dann: «Wie der sich wieder wichtig machen muss mit seinem neuen Auto» oder «Die möchte doch nur die Männer aufreizen mit ihrem Aussehen».

Der britische Autor H. G. Wells hat es so ausgedrückt: «Moralische Entrüstung ist Neid mit einem Heiligenschein.» So können wir uns unbeschadet darüber echauffieren, was wir doch vielleicht selbst gern hätten. Wir entwerten andere, um unser Selbstwertdefizit auszugleichen.

«Neid kann ein Hinweis darauf sein, wo Sie unsicher sind und etwas verändern möchten.»

Christine Harzheim, Psychologin FSP und systemische Familientherapeutin
Neidlose Menschen akzeptieren sich eher

Was steckt aber beim Einzelnen dahinter, wenn er oder sie in diesen quälenden Gefühlen von «Schlecht-weggekommen-Sein» stecken bleibt? Der Philosoph Arthur Schopenhauer hat darauf hingewiesen, dass «der Neid der Menschen anzeigt, wie unglücklich sie sich fühlen». Unglück und der Zweifel am eigenen Wert machen uns anfällig dafür, uns selber aus dem Blick zu verlieren und stattdessen beim anderen zu suchen. Mit einem brüchigen Selbstwertgefühl lassen wir uns gern blenden von den Oberflächen jener Leute, mit denen wir uns vergleichen.

Und was macht Menschen aus, die wenig Neid entwickeln, obwohl sie nicht vom Schicksal begünstigt sind? Sie haben Folgendes gemeinsam: Sie wissen, wer sie sind, akzeptieren das, was nicht veränderbar ist, und empfinden ihren existenziellen Wert für sich und in Beziehungen. Ihr Wert ist unabhängig von Leistung, Schönheit und Besitz.

Ein kleines Gedicht des deutschen Schriftstellers Robert Gernhardt beschreibt das sehr treffend:

Herr Herbert Hefel ist ein Mann,
der nicht viel weiss, der nicht viel kann,
der nicht viel sucht, der nicht viel findt,

vergänglich wie ein Blatt im Wind –
jedoch er liebt und wird geliebt:
Wie schön, dass es Herrn Hefel gibt!

Was können wir tun, um dem Teufelskreis von Selbstzweifel–Vergleich–Minderwertigkeitsgefühl–Kompensation–Scham–Selbstzweifel zu entkommen? Ein wichtiger Schritt ist, dem Neid die «Hässlichkeit» zu nehmen. Verdrängen Sie ihn nicht, sondern akzeptieren Sie ihn als Teil menschlichen Erlebens. Nehmen Sie ihn achtsam und ohne Urteil wahr, wie andere Regungen auch.

Ein Motor für positive Entwicklung

Wenn der Neid dazugehört, muss er nicht mehr im Geheimen wüten. Er kann Hinweise darauf geben, wie Sie zu sich stehen, wo Sie unsicher sind und wo Sie gern etwas verändern würden. Finden Sie Zugang zu den Themen und Menschen, bei denen Sie keinen Neid verspüren, wo Sie sich Ihres Werts als Mensch sicher sind. Lernen Sie sich kennen, bevor Sie sich bewerten. Was sind Eigenheiten, die existenziell zu Ihnen gehören und Sie ausmachen? Und wenn Sie wollen: Was sind Bereiche, die brachliegen und/oder verbesserungswürdig sind? Wofür wollen Sie Energie und Anstrengung einsetzen, um dem näher zu kommen, was Ihnen wichtig ist? So kann massvoller Neid durchaus Motor werden für positive Entwicklung und Zufriedenheit.

Buchtipp

Joseph Epstein: «Neid. Die böseste Todsünde»; Verlag Klaus Wagenbach, 2010, 128 Seiten, CHF 14.90

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Chantal Hebeisen, Redaktorin
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