Muskeln aus Stahl und Körper wie griechische Gottheiten: Bodybuilding ist im Trend. Damit die Muskeln schneller wachsen, helfen manche mit rezeptpflichtigen Hilfsmitteln nach – etwa anabolen androgenen Steroiden, kurz AAS. Nun hat das Drogeninformationszentrum Zürich erstmals anonyme Tests durchgeführt – mit dem Ziel, das Konsumverhalten von Sporttreibenden zu untersuchen und Erkenntnisse über die Qualität der Substanzen zu gewinnen.

Eine Erkenntnis: Drei Viertel der AAS sind verunreinigt oder gestreckt. Anabole androgene Steroide sind synthetisch hergestellte Wirkstoffe mit anabolen, also muskelaufbauenden, und androgenen (vermännlichenden) Eigenschaften. Das Drug Checking ist ein Angebot des Drogeninformationszentrums DIZ der Stadt Zürich und damit Teil des Viersäulenprinzips in der Schweizer Drogenpolitik: Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression. Das Drug Checking ist Teil der Schadensminderung. Nach Vereinbarung eines Termins beim DIZ können dort anonym Substanzen auf ihren Reinheitsgrad getestet werden, also Kokain, THC oder Ecstasy – und im Rahmen des Pilotprojekts erstmals auch anabole androgene Steroide. 

Michel Käppeli

«Der Konsum von Anabolika ist zwar weit verbreitet, aber er ist auch schambehaftet»: Michel Käppeli vom Drogeninformationszentrum in Zürich

Quelle: ZVG/Bearbeitung: Beobachter

«In der Schweiz rechnen wir mit rund 200’000 Personen, die mit anabolen Steroiden in Berührung kamen oder sie aktuell zu sich nehmen.»

Das Drug Checking prüft normalerweise Kokain, Amphetamin oder LSD. Nun haben Sie in Zürich erstmals Hobbysportler ihre anabolen androgenen Steroide testen lassen. Warum?
Michel Käppeli:
Zum einen ist der Konsum relativ weitverbreitet. In der Schweiz rechnen wir mit rund 200000 Personen, die AAS konsumiert haben oder sie aktuell zu sich nehmen. Zum Vergleich: Das sind mehr Leute, als regelmässig Kokain konsumieren. Diese Menschen sind fit, sehen gesund aus. Sie sind gesellschaftlich unauffällig. Ihr Konsum ist aber vielfach problematisch.


Inwiefern?
Anabolika, zum Beispiel Testosteron, sind in der Schweiz rezeptpflichtig. Sie werden im medizinischen Bereich unter anderem gegen Wachstumsstörungen bei Jugendlichen oder bei Knochenschwund verabreicht. Anabole Steroide dienen aber auch dem Muskelaufbau. Sie sind darum unter Hobbysportlerinnen und -sportlern verbreitet, vor allem beim Bodybuilding. Sie werden per Injektion in den Muskel oder als Tabletten konsumiert. Drei Viertel der von uns getesteten anabolen Steroide enthalten falsch deklarierte Wirkstoffe oder eine falsche Konzentration.


Mit welchen Folgen?
Gefälschte Wirkstoffe und eine falsche Anwendung können zu Abszessen am Körper führen oder zu bakteriellen und viralen Infekten. Bei falscher Dosierung können weitere Nebenwirkungen auftreten.
 

Welche?
Schäden an Herzmuskeln, Leber oder Nieren. Die Hoden können schrumpfen, die Brust wächst. Man schwitzt stärker als vor dem Konsum. Pickel oder Haarausfall gehören zu den bekannten körperlich sichtbaren Folgen. Bei Frauen kann es zu einer Vergrösserung der Klitoris und einer Veränderung des Menstruationszyklus kommen. Manche Konsumierende berichten von Stimmungsschwankungen oder aggressiver Lust auf Sex. Problematisch ist auch der Mischkonsum mit anderen Substanzen.

«Regelmässiger und langfristiger Konsum kann zu körperlicher Abhängigkeit führen.»

Anabolika werden mit anderen Substanzen gemischt?
Der Leistungsanspruch mancher Konsumierenden ist gross. Sie nehmen Upper, also klassische Aufputschmittel wie Amphetamine, Speed, Kokain oder Ephedrin, um sich für das Training im Fitnessstudio zusätzlich aufzuputschen. Dann nehmen sie Anabolika, um den Muskelaufbau zu beschleunigen. Wer so hart trainiert, leidet unter Umständen an Schmerzen. Da kommen Schmerzmittel ins Spiel wie Opioide oder Tramadol. Dieser Mischkonsum kann eine enorme Belastung für den Körper darstellen.
 

Es ist schon länger bekannt, dass Anabolika auch im Hobby-Fitnessbereich genutzt werden. Aber dass Aufputschmittel wie Ephedrin oder Kokain im Fitnessstudio benutzt werden – ist das neu?
Es gibt bei Konsumierenden von AAS eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent, dass es zu Mischkonsum kommt. Das zeigt eine Studie des Europäischen Monitoring-Centers für Drogen und Drogenabhängigkeit von 2020. Explizit genannt ist Kokain. Die Studie spricht von «Performance- and image-enhancing Drugs», also von «leistungs- und imageverbessernden Drogen».


Lässt sich die psychische Wirkung von Anabolika mit der von Kokain vergleichen?
Nein, das Belohnungssystem ist ein ganz anderes. Kokain und andere Upper führen zu einer kurzfristigen Leistungssteigerung. AAS wirken längerfristig. Sie werden in intensiven Trainingsphasen über acht bis zwölf Wochen genommen. Regelmässiger und langfristiger Konsum kann aber zu körperlicher Abhängigkeit führen.


Ist der Mischkonsum der Grund, warum das Drug Checking diese Substanzen prüft und nicht eine sportmedizinische Prüfstelle?
Wir haben für dieses Pilotprojekt mit dem Zentrum für Suchtmedizin Arud zusammengearbeitet. Das DIZ ist eine Anlaufstelle für die Analyse illegal erworbener psychoaktiver Substanzen. Auch AAS sind oft illegal erworbene Präparate. Wir haben Erfahrung in der Beratung von Konsumierenden von illegalen Substanzen, Arud hat das medizinische Fachwissen.

«Der jüngste Klient, der seine Steroide testen liess, war 18, der älteste 60. Auch eine Frau kam.»

Wie war die Resonanz auf das Angebot?
Alle Termine, fünf Zeitfenster an fünf Tagen, waren restlos ausgebucht. Das zeigt, dass es ein Bedürfnis gibt, AAS anonym testen zu lassen.


Wer kam ins Drug Checking, um AAS testen zu lassen?
Der jüngste Klient war 18, der älteste 60. Auch eine Frau kam.


Was waren die Hürden für das Projekt?
Ein Problem war: Wie kommen wir an die Zielgruppe heran? Fitnessstudios wollten teilweise unsere Flyer nicht aufhängen, mit denen wir das Projekt bewarben. Auch in einschlägigen Fitnessforen wurden unsere Einträge gelöscht. Wir haben das Angebot auf unserem Instagram-Kanal verbreitet. Fitness-Influencer haben das dann geteilt.


Das bedeutet aber auch: Es gibt ein Misstrauen in der Szene.
Der Konsum von AAS ist zwar weitverbreitet, aber er ist auch schambehaftet. Es gibt dieses Bild: Wer den Muskeln mit Anabolika nachhilft, betrügt. Interessante Parallele: Als das Drug-Checking Anfang der Nullerjahre in den Zürcher Nachtclubs Werbung dafür machte, anonym Drogen zu testen, war die Reaktion häufig dieselbe: «Was, Drogen? Das gibts bei uns nicht.» Heute ist unser Angebot im Nachtleben weitgehend sogar willkommen.


Was geschieht mit den Resultaten der Pilotstudie?
Wir werden das Angebot nun evaluieren und entscheiden, ob und in welcher Form es weitergeführt wird.


Wird es in den Fitnesscentern in Zukunft mobile Drug Checkings geben, die vor Ort Anabolika testen, wie man das von Partys oder aus Nachtklubs kennt?
Das ist eine interessante Idee. Bislang ist das aber nicht geplant. 

Infos und Hilfsangebote bei Konsum von Anabolika