Bei Stress mit dem Partner sind sie zur Stelle. Der Ausgang am Wochenende ist ohne sie kaum denkbar. Sie halten uns gesund – und im Alter sogar geistig länger fit.

Freundschaften haben in der Schweiz einen hohen Stellenwert. Das offenbart die erste grosse Freundschaftsstudie des Gottlieb Duttweiler Instituts. Doch was macht Freundschaft aus? Und warum ist sie für Schweizerinnen und Schweizer so stark mit Verpflichtungen verbunden? Studienleiter Jakub Samochowiec ordnet die Resultate ein – und sagt, was ihn am meisten überrascht hat.

Fünf Ergebnisse aus der Studie

Herr Samochowiec, mit Ihrer Studie liegen erstmals wissenschaftliche Erkenntnisse über Freundschaften in der Schweiz vor. Was hat Sie am meisten überrascht? 
Dass sich ältere Menschen häufiger über das Internet kennenlernen als jüngere. Überraschend ist auch, dass das Einsamkeitsgefühl bei den Jüngeren stärker ausgeprägt ist, obwohl sie sich häufiger mit Freunden treffen. 20- bis 35-Jährige mit vielen Freundinnen fühlen sich etwa so einsam wie über 64-Jährige ganz ohne Freunde. Einsamkeit ist also – entgegen der landläufigen Meinung – eher ein Problem jüngerer Menschen.


Woran liegt das? 
Einsamkeit wird subjektiv empfunden. Sie entsteht aus einem Gegensatz zu den eigenen Erwartungen. Jüngere Menschen brauchen mehr Kontakt, um für sich herauszufinden, wer sie sind und wer sie sein wollen. Ältere haben schon mehr erlebt und wohl weniger Erwartungen. Vielleicht brauchen sie auch einfach weniger Austausch. 
 

Die Studie zeigt, dass Schweizerinnen und Schweizer im Durchschnitt vier enge Freunde haben. Was heisst eng? Ist das nicht bei jeder Person anders?
Wir haben in der Studie Kriterien für enge Freunde eingeführt. Enge Freunde sind Menschen, die man zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen kann, wenn man Hilfe braucht. Menschen, von denen man als Erstes erfährt, wenn in ihrem Leben etwas passiert. So wollten wir das eingrenzen – aber natürlich bleibt eine gewisse Unschärfe.

Nimmt die Zahl der Freundinnen und Freunde mit höherem Alter ab?
Im Schnitt schon. Es gibt eine gewisse Polarisierung. Auf der einen Seite gibt es immer mehr Menschen, die mit zunehmendem Alter keine oder nur wenige Freunde haben. Gleichzeitig gibt es aber unter Pensionärinnen und Pensionären wieder mehr Menschen mit vielen Freundinnen und Freunden.


Die meisten Menschen in der Schweiz sind mit ihren Freundschaften zufrieden. Knapp 10 Prozent der Befragten geben an, gar keine engen Freundinnen und Freunde zu haben. Wächst die Einsamkeit in der Schweiz? 
Unsere Umfrage ist nur eine Momentaufnahme. Laut Bundesamt für Statistik hat die Zahl der Menschen, die sich einsam fühlen, deutlich zugenommen. Warum das so ist, wissen wir nicht. Vielleicht, weil es weniger enge Kontakte gibt. Vielleicht sind auch die Erwartungen an Freundschaften gestiegen. Studien aus den USA zeigen, dass die Zeit, die Jugendliche mit ihren Freundinnen und Freunden verbringen, deutlich abgenommen hat.


Ich bin aus Deutschland zugezogen. In Zürich hat es relativ lange gedauert, bis ich Freunde gefunden habe. Brauchen die meisten Schweizerinnen und Schweizer keine neuen Freunde mehr? 
Die Hälfte der jungen Leute sagt von sich, dass sie keine neuen Freunde mehr braucht. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass in der Schweiz sozialisierte Menschen Freundschaften oft mit Verpflichtungen verbinden. Und vor weiteren Verpflichtungen schreckt man zurück. Hinzu kommt, dass sie oft langjährige Freunde haben. Da kann es ungewohnt sein, sich auf neue Leute einzulassen. 


Das mit den Verpflichtungen verstehe ich nicht ganz.  
Vielleicht hilft eine Anekdote: Ich bin in Jordanien getrampt. Da hat mich ein Fremder mitgenommen und mich nach Hause eingeladen. In der Schweiz wäre das unmöglich. Später hat er versprochen, mich am nächsten Tag wieder mitzunehmen. Was er einfach vergessen hat. 
Wenige Tage später habe ich zwei Schweizer getroffen. Sie luden mich ein, in ihrem Minibus mit nach Ägypten zu fahren. Wir haben uns am Busbahnhof verabredet. Am nächsten Tag bin ich mit einem Jordanier in die Stadt gefahren. Er sagte mir jedoch, einen solchen Busbahnhof gebe es gar nicht. Ich solle meine Freunde anrufen. Ihre Nummer hatte ich jedoch nicht. Ich wollte dennoch weitersuchen. Irgendwann kam ein Polizist auf mich zu und fragte mich, ob ich Jakub sei. Schweizer hätten nach mir gefragt. Der verblüffte Jordanier meinte, ich hätte ja tolle Freunde. Ich antwortete: Das sind Schweizer. Wenn man sagt, dass man sich trifft, dann muss man es auch tun. 


Wie können wir unseren Freundeskreis erweitern? 
Eine Möglichkeit ist, alte Freunde Freundschaft Andere Ansichten – und trotzdem Freunde wieder zu aktivieren. Für die Freundschaftsstudie haben wir 61 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, alte Freunde anzurufen, mit denen sie seit mindestens drei Jahren keinen Kontakt mehr hatten – und von denen sie sich nicht im Streit getrennt hatten. Für die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden war dies eine positive Erfahrung. 
Sinnvoll wäre es, sich in Kontexte zu begeben, in denen man sich automatisch regelmässig sieht – im Verein, im Leseklub oder im Improvisationstheaterkurs. Dabei sollte die eigene Persönlichkeit zur Geltung kommen – gemeinsamer Humor ist in Freundschaften besonders wichtig.

Fünf Ergebnisse aus der grossen Freundschaftsstudie

1. Was Freundschaften ausmacht

Eine gute Freundschaft braucht Vertrauen, Offenheit, Unterstützung, Loyalität, Zugehörigkeit und Gegenseitigkeit. Das bedeutet, dass man sich alles erzählen kann, sich gegenseitig hilft, sich zusammen wohl fühlt und dass man gleich viel gibt und nimmt.

2. Die meisten Menschen in der Schweiz haben weniger als vier enge Freunde

Im Durchschnitt haben die in der Schweiz lebenden Personen vier enge Freunde. Dieser Mittelwert wird jedoch durch einige wenige Personen mit sehr vielen Freundinnen nach oben verzerrt. Die Hälfte der Befragten hat hingegen drei oder weniger enge Freunde. Knapp acht Prozent der Befragten geben an, gar keine Freunde zu haben. 

3. Das Internet wird zum wichtigen Begegnungsort 

Die meisten Freundschaften entstehen in der Schule, bei der Ausbildung und im Beruf. Ein Viertel lernt die beste Freundin über gemeinsame Bekannte, Freunde oder die Familie kennen, zehn Prozent über Sport oder Hobbys. Betrachtet man nur die Freundschaften, die in den letzten fünf Jahren entstanden sind, spielt das Internet eine grössere Rolle. Interessanterweise lernen sich Seniorinnen mit 17 Prozent mit Abstand am häufigsten über digitale Kanäle kennen – zum Beispiel über Social Media

4. Freundschaften werden ein Leben lang geschlossen

So haben Rentner fast genauso häufig beste Freundinnen aus ihrer Kindheit wie solche, die sie im Alter kennengelernt haben. 

5. Freunde prägen die Persönlichkeit

Freundschaften prägen vor allem in jungen Jahren die Identität. Sie helfen uns, uns besser zu verstehen und zu wachsen. Den grössten Einfluss haben Freundinnen und Freunde auf die Wahl der Hobbys – und sogar auf die eigene Weltanschauung. Heisst: Wir sehen die Welt mit ähnlichen Augen wie unsere Freunde.

Zur Person

Jakub Samochowiec ist Sozialpsychologe und arbeitet am Gottlieb Duttweiler Institut. Seine Forschungsschwerpunkte sind gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen mit den Schwerpunkten Entscheidung, Alter, Medien und Konsum.

Jakub Samochowiec

Jakub Samochowiec

Quelle: Sandra Blaser/GDI Gottlieb Duttweiler Institute