Schon die Begrüssung bei meinem ersten Männerarztbesuch verblüffte mich. «Guten Tag, stimmt das Geburtsdatum hier wirklich?», fragte mich der Arzt und zeigte auf meine neu angelegte Krankenakte. «Sie sehen so viel jünger aus.» Ich nickte verlegen.

Mit so viel Charme war ich noch nirgendwo empfangen worden, schon gar nicht beim Arzt. Ich fühlte mich also gut, als ich die Hosen runterliess. Als es um intime Details ging, merkte ich, dass diese freundliche Art beim Männerarzt zum Konzept gehört.

«Man entwickelt Strategien, um das Eis zu brechen», sagt Julian Cornelius, bis 2022 Männerarzt am Inselspital Bern, nun Urologe im Uroviva-Netzwerk in Sursee LU. «Es braucht ein Vertrauensverhältnis, um sensible Themen anzusprechen.»

«Alles in Ordnung mit den Sexualfunktionen?»

Bei meinem ersten Männerarztbesuch ging es schnell ans Eingemachte. Ich nahm auf der Liege Platz, der Arzt tastete meine Hoden ab. Beiläufig fragte er: «Mit der Manneskraft alles okay?» Ich nickte erschrocken. Wenig später beim Ultraschall der Blase: «Alles in Ordnung mit den Sexualfunktionen?» Ich überlegte, ob meine körperliche Verfassung oder meine Genitalien Zweifel aufkommen lassen könnten.

Doch der Männerarzt hatte mir einfach eine zweite Chance geben wollen, mögliche Erektionsstörungen zu bekennen, falls es mir beim ersten Mal zu peinlich gewesen sein sollte. Ich bejahte seine Frage abermals, weil mir keine Fehlfunktionen einfielen. Aber ich spürte, dass ich diesem Arzt sofort ein solch heikles Thema anvertrauen würde.

Ein mitfühlenderer Mediziner war mir noch nie begegnet. Nur einer sollte ihm gleichkommen – der Männerarzt, zu dem ich nach einem Umzug bis heute gehe.

Alarmierende Schlagzeilen

«Wenn die Männer erst mal in der Praxis sind, reden sie meistens sehr offen auch über intime Probleme», sagt Julian Cornelius. Auch er wirkt im Videotelefonat so, als ob man ihm alles anvertrauen könnte. Ich kam einst zu meiner ersten Männerarztsprechstunde, weil häufig Sportler, Prototypen vitaler Männer also, mit Hodenkrebs in den Schlagzeilen waren (und es immer noch sind).

Als ich von ihnen las, bekam ich es mit der Angst zu tun: Schliesslich hatte noch nie ein Arzt meine Hoden untersucht! Verhielt ich mich nicht unglaublich fahrlässig? Frauen in meinem Alter gehen regelmässig zur Brust- und Gebärmutterhalskrebs-Vorsorge.

Abtasten empfohlen

«Eine generelle Empfehlung zur Früherkennung von Hodenkrebs gibt es nicht», heisst es bei der Schweizer Krebsliga. Mit jährlich etwa 470 Fällen sei der Tumor in der Schweiz zu selten. Experten raten jedoch dazu, die Hoden regelmässig abzutasten.

«Den Hoden auf eine Hand legen und mit Daumen und Zeigfinger der anderen Hand von oben nach unten die gesamte Fläche, Vorder- und Rückseite, abtasten», sagt Julian Cornelius. Falls dabei eine Wölbung auftritt, solle man einen Arzt konsultieren.

Hodenkrebs ist zwar der häufigste Krebs bei Männern unter 40. Zwischen dem 25. und 45. Lebensjahr ist das Risiko, daran zu erkranken, am grössten.

Bei mir war das zum Glück nie der Fall. Mittlerweile sind fast 20 Jahre vergangen seit meinem ersten Männerarztbesuch. Hodenkrebs ist zwar der häufigste Krebs bei Männern unter 40. Zwischen dem 25. und 45. Lebensjahr ist das Risiko, daran zu erkranken, am grössten.

Diese Zeitspanne habe ich mit 48 bereits hinter mir. Bei meinem letzten Besuch beim Männerarzt untersuchte mich dieser nun auf einen Tumor, der eher bei älteren Männern auftritt: Prostatakrebs. Dabei führt der Arzt einen Finger in den Enddarm ein und tastet von dort die Prostata ab. Das empfinden viele als unangenehm, aber da die Mediziner dafür Handschuhe und Gleitgel benutzen, ist es auch nicht mehr als eine kurze Missempfindung.

Ich habe jedenfalls keinerlei Angst vor der nächsten Prostatakrebs-Vorsorgeuntersuchung. Das Problem ist eher, einen Termin zu bekommen. Männer schätzen es anscheinend so sehr, mitfühlend behandelt zu werden, dass mein Androloge auf ein halbes Jahr ausgebucht ist.

Krebs-Früherkennung

Eine Hodenkrebsvorsorge wird Männern empfohlen, die einen Hodenhochstand haben oder hatten, bei denen Hodenkrebs in der Familie vorgekommen ist, die unfruchtbar sind oder eine Unterfunktion des Hodens haben. Weit über 90 Prozent der Erkrankten werden geheilt.

Zur Prostatakrebs-Vorsorgeuntersuchung gehören das rektale Abtasten des Organs und ein Bluttest auf das prostataspezifische Antigen (PSA). Die Früherkennung ist nicht für alle Männer empfohlen. Zwar entsteht im Alter häufig Prostatakrebs, eine Behandlung ist aber oft nicht nötig. Bei besonders aggressiven Tumoren aber ist sie lebenswichtig. Deshalb sollten Männer, in deren Familie es Prostatakrebs gab, zur Untersuchung.