Für die Packung Paracetamol-Schmerztabletten sollen die Konsumenten 72 Prozent mehr hinblättern. Für den Anti-Heuschnupfen-Spray Avamys 43 Prozent mehr. Das geht aus einem Dokument des Bundesamts für Gesundheit hervor, das dem Beobachter vorliegt. 

Die staatlich verordnete Preissteigerung betrifft über die Hälfte aller verkauften rezeptpflichtigen Medikamente. Die höheren Preise gelten in jeder Apotheke der Schweiz, bei jeder Ärztin und in jedem Spital. In Kraft treten soll sie möglicherweise bereits am 1. Januar 2024. 

Margen steigen bei allen Tiefpreismedikamenten

Gesundheitsminister Alain Berset will das neue Preismodell bis Ende Jahr dem Bundesrat vorschlagen. Sagt der Bundesrat ja, steigt der schweizweite Monopolpreis für tiefpreisige Arzneimittel. 20 Mepha-Paracetamol-Tabletten à 1000 Milligramm kosten dann beispielsweise Fr. 11.95 statt Fr. 6.95. Die Mehreinnahmen darf die Apotheke oder das Spital als Marge für sich behalten. 

So was schenkt ein: Das Schmerz- und Fiebermittel Paracetamol ist das mit Abstand meistverkaufte Arzneimittel der Schweiz. Das Mittel ist im vergangenen Jahr 4,59 Millionen Mal bezogen worden, gemäss Helsana-Arzneimittelreport. 

Kostenüberwälzung auf Konsumentinnen und Konsumenten

Das Bundesamt für Gesundheit findet die Preisreform trotzdem unproblematisch. Tiefpreismedikamente würden zwar teurer, doch Hochpreismedikamente würden umgekehrt günstiger. Die Reform bringe unter dem Strich Einsparungen von rund 50 Millionen Franken zugunsten der Grundversicherung. Zudem werde es neu für Apotheken oder Ärzte finanziell attraktiver, ein günstigeres Arzneimittel wie ein Generikum Medikamente Das müssen Sie über Generika wissen zu verkaufen anstelle eines teuren Arzneimittels. 

Was das Amt nicht sagt: Der Preisanstieg bei günstigen Medikamenten geht einseitig zulasten der Konsumentinnen und Konsumenten. «Die Verteuerung der Tiefpreismedikamente ist eine Verlagerung der Kosten auf die Versicherten», sagt Yannis Papadaniel von der Westschweizer Konsumentenorganisation FRC. «Kranke mit hoher Franchise müssen diese Medikamente in der Regel vollständig selbst bezahlen.» Die Folge: Wer eine hohe Krankenkassen-Franchise gewählt hat, wird mit der Reform besonders stark zur Kasse gebeten. 

Öffentlichkeit nicht über finanzielle Auswirkungen informiert

Dazu kommt: Obwohl das Ausmass der Preisreform gross ist, hat der Bund kein Dokument dazu veröffentlicht. Zur konkreten Ausgestaltung der Preisreform hat das Bundesamt für Gesundheit nicht einmal eine Vernehmlassung durchgeführt. Lediglich zu übergeordneten Fragen der Reform gab es das. 

Das Bundesamt für Gesundheit hat das Öffentlichkeitsprinzip mit einem Trick ausgehebelt: Zuerst bestimmte es die Details der Preisanpassungen in fünf Sitzungen in kleinem Kreis. Die «Arbeitsgruppe Vertriebsanteil» bestimmte, wie viel Ärztinnen und Apotheker verdienen, wenn sie Medikamente Medikamente Abgelaufen, aber immer noch gut verkaufen.

Verkäufer dürfen ihre eigene Marge mitbestimmen

Zu den Sitzungen eingeladen waren der Ärzteverband, der Apothekerverband, der Spitalverband und die Krankenkassenverbände. Die Konsumentenverbände waren bei den Gesprächen nicht zugelassen. Sie durften nach beendeten Verhandlungen lediglich das Ergebnis kommentieren. Weil sie somit formell angehört worden sind, konnte das Bundesamt auf eine Vernehmlassung verzichten. 

Dieses Vorgehen weckt Kritik: «Das BAG hat die Diskussion über die Margen in einem geschlossenen Zirkel geführt», sagt Yannis Papadaniel von der Konsumentenorganisation FRC. Er spricht von einem schlechten «Hinterzimmer-Deal», den die Konsumentenverbände ablehnten. 

Krankenkassenverband spricht von Übergewinnen

Der Krankenkassenverband Santésuisse ist ebenfalls unzufrieden: «Wir lehnen den übermässigen Aufschlag ab, den zahlreiche Medikamente erleiden», sagt Chefökonom Christoph Kilchenmann. «Angesichts der ohnehin stark steigenden Gesundheitskosten steht eine Regelung quer in der Landschaft, die über die Hälfte der Medikamente zum Teil drastisch verteuert.» Die Vertriebsmargen seien auch mit der Neuregelung zu hoch und ermöglichten Übergewinne.

Apotheken ignorieren offenbar gesetzliche Vorgaben

Das Bundesamt für Gesundheit sagt, die Einsparungen in der Grundversicherung von rund 50 Millionen pro Jahr würden langfristig allen Prämienzahlenden zugutekommen. Die Margenreform lässt allerdings tief blicken: Apotheken und Ärzte geben offenbar nur dann vermehrt günstige Generika ab, wenn sie eine hohe Marge erhalten. Dabei verlangt das Gesetz bereits heute faktisch eine Generikaabgabe. So hielt das Bundesgericht in Sachen Medikamentenabgabe fest: «Bei vergleichbarem medizinischem Nutzen ist die kostengünstigste Variante bzw. diejenige mit dem besten Kosten/Nutzen-Verhältnis zu wählen.»