Die diesjährigen Bundesratswahlen verlaufen eher nach Skript. Kein geheimer Sprengkandidat erscheint auf der Bildfläche. Die Vergangenheit offenbart jedoch, dass der grosse Showdown nur Stunden vor der Wahl auf den Kopf gestellt werden können. 
 

Emil Frey (1890): Er schwört der Schweiz ab – und wird dennoch Bundesrat

Emil Frey ist als US-amerikanischer Staatsbürger gut sechs Jahre lang im Bundesrat.

Emil Frey ist als US-amerikanischer Staatsbürger gut sechs Jahre lang im Bundesrat.

Quelle: Schweizerische Nationalbibliothek, Bern

Als Emil Frey 1890 in den Bundesrat gewählt wird, dürften die meisten etwas ganz Entscheidendes übersehen haben. Der gebürtige Baselbieter ist kein Schweizer Staatsbürger mehr. 

Frey wird 1838 in Arlesheim BL geboren. Mit 22 Jahren wandert er in die USA aus. Er nimmt am Bürgerkrieg teil, gerät in Kriegsgefangenschaft und muss teils Ratten essen, um zu überleben. 1865 entschliesst er sich, US-amerikanischer Staatsbürger zu werden. 

Dumm nur, dass die USA keine doppelte Bürgerschaft erlaubt. Darum verzichtet Frey unter Eid auf die Schweizer Zugehörigkeit. In seinem amerikanischen Bürgerbrief heisst es (übersetzt): «Er verzichtet für immer auf seine Schweizer Bürgerschaft und schwört ihr ab.»

Kurz darauf zieht Frey jedoch wieder in die Schweiz zurück. Er macht Karriere als Redaktor der «Basler Nachrichten», steigt auf im Militär, zuletzt ist er Oberst der Schweizer Armee. Und macht sich als Politiker einen Namen. Das Amt des Bundesrates bekleidet er sogar gute sechs Jahre lang. 

Dass er die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, dürfte zum Wahlzeitpunkt kein Geheimnis sein – und stellt damals auch kein Vergehen dar. Doch anscheinend kommt niemand auf die Idee, vor den Bundesratswahlen zu überprüfen, ob er auf dem Papier noch Schweizer ist. Das hätte ihn wohl die Bundesratswahl gekostet.

Lilian Uchtenhagen (1983): Eine Frau im Bundesrat ist eine zu viel

Lilian Uchtenhagen wäre die erste Frau gewesen, die in den Bundesrat gewählt wird.

Lilian Uchtenhagen wäre die erste Frau gewesen, die in den Bundesrat gewählt wird.

Quelle: Keystone

Als Otto Stich vor fast 40 Jahren für die Sozialdemokraten in den Bundesrat gewählt wird, sagt er in seiner kurzen Antrittsrede, dass «heute eine Frau dem Bundesrat wohl anstehen würde». Ironie? Schliesslich ist er der geheime Sprengkandidat, der Lilian Uchtenhagen, der ersten nominierten Frau überhaupt, den Einzug in den Bundesrat vereitelt.

Lilian Uchtenhagen will die politische Gleichberechtigung von Frauen

Nach dem Tod von Willi Ritschard wird die SP-Nationalrätin Lilian Uchtenhagen für das Amt vorgeschlagen. Als intelligente Frau mit Selbstbewusstsein und einem Hang zum Unbequemen – sie warb schon in jungen Jahren für die politische Gleichberechtigung von Frauen – ist sie den Bürgerlichen ein Dorn im Auge. Allen voran FDP-Nationalrat Felix Auer, der mit Uchtenhagen studiert hat und sie nicht ausstehen kann. 

Kurz vor den Wahlen sucht Auer nach einem geeigneten Gegenkandidaten. Und findet ihn in Otto Stich, einem Nationalrat mit wenig politischem Profil. Stichs Kandidatur wird geheim gehalten. Auer ruft Stich am Vorabend der Wahl an und sagt ihm, dass er das Telefon abstellen soll. Damit will er verhindern, dass jemand von der SP anruft und ihm die Wahl ausredet. 

In der Nacht vor der Wahl beschliessen die bürgerlichen Parteien heimlich – unter der Führung von Strippenzieher Felix Auer – den Sprengkandidaten Otto Stich zu wählen. Der Plan geht auf. Die Bundesversammlung lässt Uchtenhagen ins Messer laufen. Seither heisst die Nacht vor der Bundesratswahl die «Nacht der langen Messer». 

Christiane Brunner (1993): Sie wird von den Parteimännern abgesägt, doch diesmal wehrt sich die Bevölkerung

Rund 8000 Personen unterstuetzen am 6. Maerz 1993 Christiane Brunner, Genfer SP-Nationalraetin und am 3. Maerz gescheiterte Bundesratskandidatin, bei ihrem Auftritt an der Kundgebung auf dem Zuercher Muensterhof in Zuerich.

Die Nichtwahl von Christiane Brunner führt zu schweizweiten Demonstrationen. 

Quelle: Keystone

Das «Komitee für die Rettung der Moral unserer Institutionen» gibt sich 1993 alle Mühe, die Wahl der SP-Kandidatin Christiane Brunner zur Bundesrätin zu vereiteln. In einem anonymen Schreiben behauptet es, Brunner hätte einen Schwangerschaftsabbruch gehabt. Ausserdem besitze das Komitee ein Nacktfoto der Kandidatin, das sie an einer Orgie im Genfer Frauenhaus zeige. Das Foto taucht nie auf. 

Doch die Attacken wirken. Am Tag der Wahrheit wählt das Parlament den SP-Kandidaten Francis Matthey in den Bundesrat. Nach der denkwürdigen Wahl bittet Matthey jedoch um eine Woche Bedenkzeit, um die Wahl anzunehmen. 

Diesmal regt sich direkt nach dem Ereignis Gegenwehr aus der Gesellschaft. Rund tausend Demonstrantinnen beklagen vor dem Bundeshaus Brunners Nichtwahl. Im ganzen Land mobilisieren sich in den nächsten Tagen Bürgerinnen und Bürger, um gegen das Ergebnis zu demonstrieren – und Brunner zu unterstützen.

Mit Erfolg. Auf massiven Druck der Partei verzichtet Francis Matthey auf das Amt – allerdings solle die SP neben Brunner eine weitere Person vorschlagen. Schliesslich erfolgt die Neuwahl mit der Zweitkandidatin Ruth Dreifuss. Über 10’000 Menschen unterstützen Brunner an diesem Tag vor dem Bundeshaus. Die bürgerlichen Politiker verweigern ihr allerdings erneut das Amt. Sie wählen Ruth Dreifuss in den Bundesrat. Da sich Brunner gegenüber Dreifuss solidarisch zeigt, versiegen die Proteste schnell.

Christoph Blocher (2003): Operation «Hannibal» verändert die Zauberformel

Der neugewaehlte Bundesrat Christoph Blocher, Mitte, lacht umgeben von Ratsmitgliedern am Mittwoch, 10. Dezember 2003, in Bern nach seiner Wahl durch die Sitzung der Vereinigten Bundesversammlung. (KEYSTONE/Lukas Lehmann)

Christoph Blocher wird den anderen Parteien am Wahlabend als Kandidat aufgezwungen. 

Quelle: Keystone

Die Zauberformel ist jahrzehntelang gelebte Tradition. 1959 einigen sich die wählerstärksten Parteien auf eine gemeinsame Regierungsbildung. 44 Jahre lang erhalten FDP, CVP und SP jeweils zwei Sitze im Bundesrat, die SVP einen. Das alles ändert sich 2003.

Der zweite SVP-Kandidat

Die SVP schickt Samuel Schmid ins Rennen um den Bundesrat. Bereits im Vorfeld trifft sich jedoch eine kleine, informelle Gruppe unter dem Decknamen «Hannibal». Das Ziel: einen zweiten SVP-Kandidaten stellen. 

Bei den eidgenössischen Parlamentswahlen vom Oktober wird die SVP erstmals die stärkste Kraft im Land. Noch am Abend der Wahl lässt der damaliger Parteipräsident Ueli Maurer die Bombe schliesslich platzen. In der öffentlich ausgestrahlten Elefantenrunde fordert er einen zweiten SVP-Sitz. Neben Schmid soll Christoph Blocher in den Bundesrat einkehren. Das Ultimatum Maurers trifft die anderen Parteien völlig unvorbereitet. 

Der Geheimplan gelingt. Am 10. Dezember 2003 gewinnt Blocher die Wahl – und verdrängt somit die offizielle Kandidatin Ruth Metzler aus dem Amt. Ausserdem wird erstmals die traditionelle Besetzung Zauberformel gesprengt. Denn die SVP ist neu mit zwei Sitzen im Bundesrat vertreten. 

Eveline Widmer-Schlumpf (2007): Geheimplan «Scipio» drängt Blocher aus dem Amt

Die neugewaehlte Buendner Bundesraetin Eveline Widmer-Schlumpf, Mitte, schreitet zur Mitte des Saales, nachdem sie ihre Wahl zur Bundesraetin angenommen hat, kurz bevor sie vereidigt wird, am Donnerstag, 13. Dezember 2007, im Bundeshaus in Bern an der Sitzung der Vereinigten Bundesversammlung. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Eveline Widmer-Schlumpf vereitelt Christoph Blocher die Wiederwahl. In den Augen der SVP ist sie fortan eine Verräterin. 

Quelle: Keystone

Christoph Blocher ist vier Jahre lang im Amt. Seine Regierungsführung bleibt derweil nicht von Kritik verschont. Gleich mehrmals verletzte er das Kollegialitätsprinzip. Ihm wird zudem vorgeworfen, sich ständig in die Geschäfte der übrigen Bundesräte einzumischen. Dennoch schickt ihn die SVP als klaren Favoriten für die Bundesratswahlen 2007 ins Rennen. 

Die SP will jedoch die Wiederwahl verhindern. Ihre Parteispitze tüftelt am Geheimplan «Scipio». Sie sucht nach einer Sprengkandidatin – und wird fündig in der damaligen Bündner SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf. 

Zuerst wird die CVP-Spitze eingeweiht, die dann am Abend vor der Wahl die Fraktion auf Kurs bringt. Erst Stunden vor der Wahl erfährt die Öffentlichkeit von der Sprengkandidatin. Die SVP einschliesslich Blocher tappen bis zuletzt im Dunkeln. 

Der Coup glückt. Christoph Blocher wird im zweiten Wahlgang abgewählt – und verlässt den Bundesrat nach nur einer Legislaturperiode. Widmer-Schlumpf gewinnt mit einer knappen Mehrheit und nimmt nach 24 Stunden Bedenkzeit an. 

In den Augen der SVP ist sie fortan eine Verräterin. Die gesamte Bündner Kantonalpartei schliesst sie aus der SVP aus. Daraufhin gründet Widmer-Schlumpf kurzerhand die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP).
 

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