Sexualstrafrecht

Fakten

Der heutige Artikel 190 des Strafgesetzbuchs ist klar: Nur Frauen können vergewaltigt werden, Männer nicht. Damit Sex gegen den Willen der Frau als Vergewaltigung gilt, muss der Täter Zwang angewandt haben. Doch die natürliche körperliche Reaktion bei sexualisierter Gewalt ist häufig eine Art Schockstarre (Freezing) – deshalb können Opfer vor Gericht oft nicht beweisen, dass sie sich gewehrt haben. Und so kommen Täter häufig straffrei davon.

Das läuft politisch

Das Sexualstrafrecht – und damit auch Artikel 190 – wird derzeit revidiert. Doch was soll in Zukunft als Vergewaltigung gelten? Das sehen Stände- und Nationalrat unterschiedlich. Der Ständerat will eine Widerspruchslösung. Das heisst: Damit eine sexuelle Handlung als Vergewaltigung gilt, muss das Opfer seinen ablehnenden Willen mit Worten oder ohne Worte geäussert haben. Fast schon revolutionär hatte Ende 2022 der Nationalrat entschieden. Er sprach sich für eine «Nur ein Ja ist ein Ja»-Lösung aus. Bloss wenn alle Beteiligten dem Geschlechtsverkehr zugestimmt haben, liegt keine Vergewaltigung vor.

Im Differenzbereinigungsverfahren beharrte der Ständerat auf seinem Standpunkt, erweiterte den Vorschlag aber um das Phänomen des Freezings. Ein Kompromiss also. Anfang Juni ist der Nationalrat diesem Kompromiss gefolgt. In der Schlussabstimmung – voraussichtlich am 16. Juni – könnten sich die beiden Räte auf eine «Nein heisst nein»-Lösung mit Freezing einigen.

Das können Betroffene tun

Selbst mit einem neuen Gesetz ist nicht garantiert, dass künftig mehr Täter verurteilt werden. Sexualdelikte bleiben Vier-Augen-Delikte und sind damit schwer nachzuweisen. Wer sexualisierte Gewalt erlebt, wendet sich am besten an eine Opferhilfestelle (www.opferhilfe-schweiz.ch).

Häusliche Gewalt

Fakten

Alle zwei Wochen stirbt in der Schweiz jemand durch häusliche Gewalt; rund 20'000 Delikte werden jährlich registriert. Gemäss Statistik sind die Opfer in über 70 Prozent der Fälle Frauen.

Das läuft politisch

Im Frühling 2021 formulierten Bund und Kantone ein Massnahmenpaket. Ab 2025 soll es eine Notrufnummer für Opfer von Gewalt geben, die durchgehend erreichbar ist. Zudem muss der Bundesrat regelmässig Präventionskampagnen gegen häusliche und sexuelle Gewalt durchführen.

Das können Betroffene tun

Wer häusliche Gewalt erlebt hat, findet Beratungsstellen über www.opferhilfe-schweiz.ch. In akuten Situationen sollte man die Polizei rufen (Telefon 117). Eine gewalttätige Person kann für 14 Tage aus der gemeinsamen Wohnung weggewiesen und mit einem Kontakt- oder Rayonverbot belegt werden.

Lohngleichheit

Fakten

Auf den Lohnabrechnungen von Frauen stehen durchschnittlich jeden Monat 1500 Franken weniger als bei Männern. 52.2 Prozent dieser Differenz können durch objektive Faktoren wie Dienstjahre oder Ausbildung erklärt werden. Der Rest hingegen nicht – das ist ein Hinweis auf mögliche Diskriminierung.

Das läuft politisch

Seit Juli 2020 ist das revidierte Gleichstellungsgesetz in Kraft. So müssen Firmen mit mehr als 100 Angestellten zum Beispiel eine Lohnanalyse durchführen. Der Haken: Wer den Verfassungsgrundsatz «Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit» verletzt, muss nichts befürchten. Das soll sich ändern. Der Nationalrat will, dass das Gleichstellungsgesetz mit Sanktionen gegen Geschlechter- oder Lohndiskriminierungen ergänzt wird. Der Vorstoss wird als Nächstes im Ständerat beraten.

Das können Betroffene tun

Wer eine Lohndiskriminierung vermutet, spricht am besten mit Arbeitskolleginnen und -kollegen, sammelt Belege und konfrontiert die Vorgesetzten damit. Falls es keine Einigung gibt, können sich Betroffene an die kantonale Schlichtungsstelle für Diskriminierungen im Erwerbsleben oder ans Gericht wenden.

Soziale Sicherheit

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Frauen verlieren durch Schwangerschaft, Mutterschaftsurlaub und den oft schwierigen Wiedereinstieg ins Berufsleben sowie durch Teilzeitarbeit enorm viel Lebenseinkommen. Die Folge: Sie erhalten im Alter ein Drittel weniger Rente als Männer. Frauen sind darum besonders häufig von Altersarmut betroffen. Hinzu kommt: Das Bundesgericht hat in den letzten Jahren seine Rechtsprechung verschärft. Wer sich scheiden lässt, hat nur noch ausnahmsweise einen nachehelichen Unterhalt zugut.

Das läuft politisch

Derzeit arbeitet das Parlament erneut an einer BVG-Revision. Es will den fixen Koordinationsabzug abschaffen und die Eintrittsschwelle um einen Fünftel senken. Davon profitieren alle, die Teilzeit arbeiten und wenig verdienen – also überdurchschnittlich viele Frauen. Weiter will der Bundesrat ein neues Splittingmodell in der zweiten Säule prüfen. Dabei würden die ab Geburt eines Kindes erworbenen Altersguthaben zwischen den Eltern geteilt.

Das können Betroffene tun

Wer seine Erwerbstätigkeit unterbricht, sollte das nur kurz tun. Fachleute empfehlen, auf ein Leben gerechnet, rund 70 Prozent zu arbeiten. Fehlende AHV-Beiträge können fünf Jahre rückwirkend eingezahlt werden. Vorsorgelücken lassen sich auch durch eine freiwillige Säule 3a schliessen. Einzahlen lohnt sich – auch wenn es nur kleine Beträge sind.

Kinderbetreuung und unbezahlte Care-Arbeit

Fakten

Im Schnitt müssen Eltern einen Viertel des Einkommens für einen Kitaplatz ausgeben. Wenn sich das eine Familie nicht leisten will oder kann, ist es oft die Frau, die die Arbeit reduziert oder aufgibt. Der Wiedereinstieg ins Berufsleben ist häufig harzig. Es drohen Vorsorgelücken.

Das läuft politisch

Der Nationalrat will, dass der Bund externe Kinderbetreuung mitfinanziert. Ein Kitaplatz würde so 20 Prozent günstiger. «Das hilft gegen Fachkräftemangel, verbessert die Chancengleichheit bei den Kindern und ermöglicht Frauen, in einem existenzsichernden Pensum berufstätig zu sein», so der Frauendachverband Alliance F. Ein anderes Geschäft betrifft die Erwerbsersatzordnung. Bei Mutterschaft ist der maximale Tagessatz geringer als bei Militärdienst (220 Franken im Vergleich zu 275 Franken pro Tag). National- und Ständerat wollen das ändern und die Beträge einander angleichen. Zudem will man die Betreuungs- und Erziehungsgutschriften ausbauen. Mit diesen Gutschriften bekommen Betroffene eine Rente für unbezahlte Care-Arbeit – etwa für die Betreuung ihrer Kinder oder von pflegebedürftigen Verwandten.

Das können Betroffene tun

Bei der Gemeinde kann man abklären, wie die externe Kinderbetreuung subventioniert wird. Die Ausgleichskasse weiss, ob man Anspruch auf Betreuungs- oder Erziehungsgutschriften hat. Wer unbezahlte Care-Arbeit leistet und überfordert ist, holt sich Unterstützung. Informationen findet man auf www.info-workcare.ch.

Hier können Männer profitieren

Von Chancengleichheit und der Diskussion über gesellschaftliche Rollenbilder können auch Männer profitieren. Seit dem 1. Januar 2021 haben Väter nach der Geburt eines Kindes Anspruch auf zwei Wochen bezahlte Ferien.

Die Revision des Sexualstrafrechts schützt auch Männer besser. Heute gilt der Tatbestand der Vergewaltigung nur gegenüber Frauen. Das neue Recht wird es möglich machen, dass er auch für orales oder anales Eindringen angewandt werden kann. Bis anhin können solche Übergriffe nur als sexuelle Nötigung bestraft und damit weniger hart sanktioniert werden.

Wenn das jüngste Kind volljährig wird, verliert ein Witwer den Anspruch auf eine Rente – eine Witwe nicht. Zu Unrecht, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2022. Die Schweiz muss ihre Gesetze anpassen.

Nach der Scheidung soll jeder Ehegatte für sich selbst sorgen, sagt das Bundesgericht. Es geht mittlerweile davon aus, dass sich beide Elternteile gleichermassen um die Kinder kümmern und die Frauen finanziell unabhängig bleiben. Über Jahre zu zahlende Unterhaltsbeiträge sind deshalb die Ausnahme.