«Verfassungswidrig», «Verschlechterung einer bestehenden Rechtsnorm», «Wettlauf nach unten» – mit diesen harten Worten äussert sich eine breite Allianz von Trinkwasser- und Umweltverbänden zur erneuerten Pflanzenschutzmittelverordnung. Ende März haben sie ihre Stellungnahme zum Vorschlag des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) veröffentlicht. 

Mit der Verordnung will das BLV die Details für Zulassung und Anwendung von Pestiziden neu regeln:

  • Die bisherige komplizierte Regel zur Übernahme von EU-Bewilligungen für Wirkstoffe soll einfacher werden. Wirkstoffe, die in der EU zugelassen sind, sollen das automatisch und sofort auch in der Schweiz sein (mit wenigen Ausnahmen). 
  • Bei der Bewilligung von Pestizidprodukten mit diesen Wirkstoffen soll die aufwendige Überprüfung durch das BLV mit einem fast 50-seitigen Regelwerk einfacher werden oder gar wegfallen. Zumindest dann, wenn dasselbe Produkt für den gleichen Zweck schon in einem EU-Land mit ähnlichen Bedingungen wie in der Schweiz zugelassen ist. 

Die Kritik am neuen System

Für die Umwelt- und Trinkwasserverbände ist vor allem der zweite Punkt stossend. Sie beantragen, die Bestimmung ersatzlos zu streichen.

Die Schweiz werde sonst zum «Sammelbecken der Problempestizide», argumentieren sie. Denn: Wirkstoffe werden zwar für alle Mitgliedstaaten auf Ebene der EU geprüft und zugelassen. Die Staaten prüfen dann aber individuell, welche Pestizide mit den zugelassenen Wirkstoffen sie in ihrem Land für welchen Zweck und mit welchen Auflagen erlauben. Es sind darum in keinem Land alle Pestizide erlaubt, die aus den genehmigten Wirkstoffen hergestellt wurden.

Genau das könnte nun aber in der Schweiz passieren. Wenn viele oder sogar alle Pestizide, die in einzelnen EU-Ländern erlaubt sind, in Zukunft ohne Überprüfung auch in der Schweiz zugelassen würden, wären hier plötzlich mehr Pestizide im Einsatz als in jedem anderen europäischen Land. 

«Es ist naheliegend, dass die Händler vor allem Anträge für die hochwirksamen Pestizide stellen werden.»

Hans Maurer, WWF

Die Umweltverbände befürchten, dass dadurch insbesondere starke Pestizide vermehrt zum Einsatz kommen. Denn damit ein Produkt zugelassen werden kann, muss ein Händler einen Antrag für den Verkauf stellen.

«Es ist naheliegend, dass die Händler vor allem Anträge für die Pestizide stellen werden, die sie besonders gut verkaufen können: die hochwirksamen», sagt Hans Maurer, Jurist und Chemiker, der den WWF in Pestizidfragen unterstützt. «Diese effektivsten für die Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft haben aber auch die Inhaltsstoffe mit den potenziell gravierendsten Nebenwirkungen für Trinkwasser, Mensch, Biodiversität und Natur.»

Hinzu kommt: Die Gretchenfrage für die vereinfachte Zulassung – welche europäischen Länder denn ähnliche Bedingungen wie die Schweiz haben – ist im aktuellen Entwurf nicht klar beantwortet.

Das Bundesamt beschwichtigt

Das BLV weist die Vorwürfe der Verbände zurück. Man werde nur die Zulassung von Wirkstoffen automatisch von der EU übernehmen, und Ausnahmen blieben möglich. Die Zulassung der konkreten Produkte solle weiterhin in der Schweiz erfolgen, und die Kriterien dafür seien in den letzten Jahren laufend strenger geworden. Damit hat es grundsätzlich recht. Denn auch mit den neuen Regeln kann die Schweiz unter bestimmten Umständen die in der EU zugelassenen Pestizide selbst nachprüfen.

Die Betonung liege jedoch hier auf «kann», mahnt Roman Wiget, Präsident des Trinkwasserverbands AWBR. Zu diesem gehören rund 60 Wasserversorgungen aus der Schweiz und den Nachbarländern.

«Starker Druck auf Behörden»

Gerade bei akuten Problemen mit einem Schädling, für den die Schweiz möglicherweise aus guten Gründen kein passendes Pestizid zugelassen habe, könne das problematisch werden: «Wir wissen, wie stark der Druck auf die Bewilligungsbehörden werden kann, wenn es Spielraum gibt, die Sachen einfach möglichst schnell durchzuwinken. Der Vollzug ist beim Pestizideinsatz und Gewässerschutz ein sehr schwaches Glied.»

Dazu verweist Wiget auf einen Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats, den auch der Bundesrat sehr ernst nimmt. Darin beklagt die Kommission einen mangelhaften Vollzug des Gewässerschutzes in der Schweiz. 

Referendum ist nicht möglich

Wiget und die Verbände verlangen, dass die Vorlage neu ausgearbeitet wird, mit einer sogenannten Regulierungsfolgenabschätzung, die die Konsequenzen für Umwelt und Gesundheit prüft. Das BLV aber sieht dafür keine Notwendigkeit.

Den Verbänden sind somit die Hände gebunden. Weil es sich nur um eine Änderung einer Verordnung handelt, können sie kein Referendum ergreifen. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass das BLV ihre Sorgen trotzdem ernst nimmt.