Seit sie vor 24 Jahren nach Delémont gezogen ist, sitzt Filomena Torchia (Bild) bei den Verhandlungen des Stadtrats oft auf der Besuchertribüne, um sich über die Sorgen und Nöte in ihrem Wohnort zu informieren. Jetzt, am Wochenende vom 26. November, hat die 54-Jährige erstmals die Chance, von der Zuschauerbank auf einen Parlamentssitz zu wechseln: Filomena Torchia kandidiert fürs Gemeindeparlament obwohl sie aus Kalabrien in Süditalien stammt und keinen Schweizer Pass besitzt.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Möglich machts die neue Gemeindeverordnung, die das Stimmvolk im vergangenen Juni genehmigt hat. Diese erlaubt es Ausländerinnen und Ausländern, die seit mindestens zehn Jahren im Jura wohnen, sich auf kommunaler Ebene in die Legislative wählen zu lassen. Die Exekutive, der Gemeinderat, bleibt vorerst tabu. Denn genau daran scheiterte ein erster Anlauf, den ausländischen Mitbürgern mehr politische Rechte einzuräumen: 1996 wurde eine Vorlage, die auch die Exekutive für Nichtschweizer öffnen wollte, mit dem Referendum bekämpft und an der Urne abgelehnt, wenn auch hauchdünn mit 51 zu 49 Prozent. Nun reichen die Jurassier ihren Ausländern wenigstens den kleinen Finger, nicht aber die ganze Hand.

Dennoch ist der Jura traditionell «der grosszügigste Kanton der Schweiz» («Tages-Anzeiger»), was die politischen Rechte von Ausländern betrifft. Als die junge «Republik» 1980 unabhängig wurde, verankerte sie das Stimmrecht und das aktive Wahlrecht für Ausländer auf kommunaler und kantonaler Ebene in der Verfassung. In den jurassischen Städten war es dann nur mehr ein kleiner Schritt, auch das passive Wahlrecht einzuführen und die Parlamente für Ausländer zu öffnen. Neben Delémont hat auch Porrentruy das Gemeindereglement entsprechend abgeändert. Zwar scheiterte ein gleiches Postulat in Bassecourt, doch dürften in Zukunft weitere Gemeinden die Öffnung vollziehen.

Doch mit dem Einbezug der Fremden in die Lokalpolitik steht die Welt im Jura nicht Kopf. Das zeigt das Beispiel Delémonts eindrücklich: Nur gerade sieben Ausländer stehen auf den Wahllisten für die 51 Sitze, das sind knapp 14 Prozent. Bei einem Ausländeranteil von 24 Prozent ein eher bescheidener Aufmarsch.

Von den Kandidaten in Delémont stammen zwei Frauen und vier Männer aus Italien, ein siebter Kandidat aus Spanien. Alle wurden entweder in der Schweiz geboren oder sind vor mindestens 30 Jahren zugezogen. Ähnlich in Porrentruy: Dort kandidieren drei Italiener, zwei Italienerinnen, eine Spanierin und eine Französin.

Filomena Torchia kam vor 31 Jahren in die Schweiz. Sie wohnte zunächst in Laufen BL, seit 1976 aber fühlt sich die Italienerin in Delémont «comme chez moi» wie zu Hause. Sie arbeitet in der örtlichen Uhrenfabrik und ist seit 1980 Mitglied der Lokalpartei PCSI, einer unabhängigen christlich-sozialen Gruppierung. Das Wahlrecht empfindet sie als «ein wichtiges Zeichen der Solidarität»: «Wir haben unsere Pflichten, zahlen Steuern deshalb sollten wir auch mitbestimmen dürfen.»

 

Forderungen mit Zündstoff

Dass für die Wählbarkeit ein zehnjähriger Aufenthalt im Jura vorgeschrieben ist, stört keinen der Kandidaten. «Man sollte die Schweizer Kultur gut kennen», meint José Bernal, ein 56-jähriger Elektriker aus Spanien, der für die Sozialdemokraten ins Rennen steigt. Er wanderte vor 38 Jahren in die Schweiz ein und arbeitet seit 30 Jahren im selben Betrieb in Delémont. Treu ist er auch dem Fussballklub: Seit 34 Jahren aktiv, spielt er heute noch bei den Veteranen. «Durch den Klub habe ich viele Freunde gefunden, auch Schweizer», sagt er. Es sei «formidable», dass die Schweizer den Ausländern nun «eine Tür öffnen» würden.

Gut integriert sind in Delémont auch die anderen Anwärter von der 22-jährigen Wirtschaftsstudentin bis zum 62-jährigen Firmenchef: Sie sind perfekt zweisprachig, nehmen am Vereinsleben teil und engagieren sich für diverse Kommissionen der Gemeinde. So gesehen sind die jurassischen Wahlen ein Experiment ohne Risiko; Diskussionen dürfte es nur geben, falls keiner der Anwärter die Wahl schaffen sollte.

Wenn er gewählt wird, möchte einer der Kandidaten für Zündstoff sorgen: der 32-jährige Ingenieur Giuseppe Natale.

Der Kandidat des linken Bündnisses POP Delémont hat sich die Einbürgerung zur Hauptaufgabe gemacht. Aus Erfahrungen aus dem Familienkreis weiss er, wie aufwändig und kostspielig das Verfahren sein kann. «Man muss fast nackt vor die Behörden treten», kritisiert er und fordert die vorbehaltlose Einbürgerung für Ausländer der zweiten und der dritten Generation.

Ein Postulat, das es in sich hat. Denn wo aus Ausländern gleichberechtigte Mitbürger werden, sind diese nicht mehr auf politische Brosamen angewiesen und der Einzug ins Gemeindeparlament würde auch für sie selbstverständlich. So weit ist man selbst in Delémont noch nicht, wie Giuseppe Natale sagt: «Jetzt haben viele noch Angst, sich zu exponieren. Ein Ausländer bleibt eben immer ein Ausländer.»

Dieses Bild kann nicht angezeigt werden.