Grundstück zu klein – was tun?
Wer sein Haus erweitern möchte, das Grundstück aber bereits voll ausgenützt hat, kann sein Projekt begraben. Ausser der Nachbar überträgt einen Teil seiner Ausnützungsziffer.
Veröffentlicht am 29. März 2018 - 12:01 Uhr,
aktualisiert am 28. März 2018 - 11:55 Uhr
Am Geld ist schon manche Freundschaft zerbrochen. Nachbarschaftliche Beziehungen sind davon nicht ausgeschlossen. Ein beispielhafter Fall zeigt, worum es bei einer Übertragung der sogenannten Ausnützungsziffer geht. Eine 50-jährige Hausbesitzerin, nennen wir sie Clara Keller, will ihren pflegebedürftigen Eltern den Gang ins Pflegeheim ersparen. Sie einigt sich mit ihrem Mann darauf, ihr Einfamilienhaus um zwei Zimmer zu erweitern, damit die Eltern künftig dort wohnen und betreut werden können.
Gross ist die Ernüchterung, als der Architekt dem Ehepaar Keller aufzeigt, dass es für ein solches Vorhaben keine genügend grosse Ausnützungsreserve auf dem Grundstück hat. Bleibt für die Eltern doch nur das Pflegeheim? Hilfe naht von den direkten Nachbarn: Diese bieten an, Clara Keller die fehlenden 23 Quadratmeter Ausnützung aus der Reserve ihres eigenen Grundstücks zu verkaufen.
Die Freude über das Angebot währt aber nicht lange. Denn die Festlegung des Preises für die Ausnützungsübertragung wird zur Zerreissprobe für die nachbarschaftliche Beziehung. Der Architekt von Clara Keller hatte in ähnlichen Fällen jeweils eine Entschädigung von 50 Prozent des zuletzt gehandelten Landpreises vereinbart. Dieser betrug 600 Franken pro Quadratmeter. Keller macht nun die Rechnung und bietet den Nachbarn für 23 Quadratmeter 6900 Franken. Die Nachbarn haben sich jedoch auch schon Rat bei einem Bekannten geholt, der im Baubereich tätig ist. Dieser hat den Wert für die Übertragung auf rund 25'000 Franken geschätzt – knapp das Doppelte des vollen Landpreises.
Wer liegt nun richtig? Niemand – und doch beide. Denn Experten sind sich in einem Punkt einig: Der Preis für eine Ausnützungsübertragung ist reine Verhandlungssache – es gibt keine juristische Lösung. Dieser Meinung ist auch der Raumplaner Christoph Stäheli, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Planpartner AG in Zürich. Sein Vorschlag, um eine möglichst faire Lösung zu finden: «Der Ausgangswert für eine Berechnung sollte der Landwert sein, und die Entschädigung für die Übertragung sollte den vollen Landwert nicht überschreiten.» Je nach Interessenlage könne sich eine solche Entschädigung zwischen 50 und 100 Prozent des Landwerts bewegen, sagt Stäheli.
Mit «Interessenlage» meint er unter anderem, welche Konsequenzen die Abtretung der Ausnützung für den Nachbarn hätte. Keine, weil dieser seine Ausnützungsreserve aufgrund der Grundstücksform oder Abstandsvorschriften sowieso nicht selbst nutzen könnte? Oder würde er sich durch die Abtretung allfällige künftige Ausbaupläne verunmöglichen?
Die Ausnützungs- oder Baumassenziffer regelt das Verhältnis von Grundstücksfläche und Wohnfläche beziehungsweise Bauvolumen. Die Ausnützungsziffer kann von Quartier zu Quartier variieren. Wenn sie 0,5 beträgt, darf pro Quadratmeter Grundstücksfläche das 0,5-Fache als Wohnfläche gebaut werden. Bei einem Grundstück von 400 Quadratmetern dürfte das Haus also bis zu 200 Quadratmeter Wohnfläche aufweisen. Werden nur 160 Quadratmeter Wohnfläche gebaut, hat das Grundstück eine Ausnützungsreserve von 40 Quadratmetern. Diese kann man auf ein anderes Grundstück übertragen.
Meist gilt, dass die Grundstücke einen Bezug zueinander haben müssen. In Städten sollten sie zum selben Häuserblock gehören; auf dem Land müssen die Grundstücke oft aneinandergrenzen. Welche Bestimmungen und Ausnützungsziffern gelten, erfährt man beim Bauamt der Gemeinde.
Die Nachbarn der Kellers könnten ihre Ausnützungsreserve selbst kaum sinnvoll nutzen. Also klingt die Lösung des Architekten mit 50 Prozent des Landwerts plausibel. Für Raumplaner Stäheli aber eben doch nicht ganz, denn er rechnet anders: Bei einer Ausnützungsziffer von 0,5 (siehe oben «Übertragen einer Ausnützungsziffer») braucht es für die Übertragung von 23 Quadratmetern Ausnützung 46 Quadratmeter Land. Von diesem Wert geht Stäheli aus: Bei einer Einigung auf 50 Prozent des Landwerts sähe die Rechnung also so aus: 46 x 300 = 13'800 Franken.
Wie gross soll der Umschwung sein? Ist die Liegenschaft gut erschlossen und liegen angrenzende Grundstücke in der Bau- oder Landwirtszone? Beobachter-Mitglieder können mithilfe der Checkliste «Überprüfung des Grundstücks» selber bewerten, ob das Grundstück, auf dem die Wohnung oder das Haus erstellt werden soll, ihren Bedürfnissen entspricht.
Eine andere Variante wäre die Berechnung aufgrund des reduzierten Landwerts: Die benötigten 46 Quadratmeter Land haben durch den Verkauf der Ausnützungsreserve faktisch nur noch den Wert von Umschwung – rund 100 bis 200 Franken pro Quadratmeter. Die Differenz zum vollen Landpreis soll der Käufer als Entschädigung bezahlen. Bei Clara Keller sähe diese Rechnung dann so aus: 600 – 150 = 450 Franken Differenz; 46 x 450 = 20'700 Franken.
Allein der Ausbau würde das Budget der Kellers schon arg belasten, weshalb die beiden den Preis der Nachbarn nicht akzeptieren wollen. Klar ist ihnen aber auch, dass sie in der schwächeren Verhandlungsposition sind. Harte Worte fallen. Erst nach zähem Ringen können sich die Nachbarn auf einen Kompromiss einigen: 15'000 Franken. Das Geld wird überwiesen, die Übertragung im Grundbuch vermerkt, der Bau kann starten, und vier Monate später sollen die Eltern von Clara Keller einziehen.
Erstellt der Nachbar eine Baute, die zu nahe an der Grenze steht oder diese gar überragt, muss er sich auf eine Dienstbarkeit stützen können. Beobachter-Mitglieder erfahren, wie eine solche zustande kommt, was ein Quellen- bzw. Durchleitungsrecht bedeutet und was sie tun können, um Streit um ein Wegrecht zu verhindern.