Das Leben von Peter Hajnoczky wird nochmals aufregend: Der 75-jährige Vater von drei erwachsenen Kindern steht vor der Geburt seines vierten Kindes. Auf dieses wartet er bereits seit 13 Jahren – und muss sich nun nur noch 12 Monate gedulden. Im Frühling 2020 werden er und die anderen Mitglieder der Genossenschaft Zusammenhalt ihre kleinen Wohnungen beziehen und die grosszügigen Gemeinschaftsräume beleben. «Reduzierung des Wohnraums zugunsten von Gemeinschafts- und Begegnungsorten», lautet denn auch das Konzept des pionierhaften Alterswohnprojekts, das auf dem Sulzer-Areal (Lagerplatz) in Winterthur zu stehen kommt.

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Angefangen hatte alles in Peter Hajnoczkys Männergruppe vor 13 Jahren: «Kinder, Vaterschaft, Mannsein – das alles hatten wir durchdiskutiert», sagt er. Zunehmend sei das Thema Alter wichtig geworden, und bald war klar: «Wollen wir etwas am gängigen Älterwerden verändern, müssen wir handeln.» Im Freundeskreis wurden Visionen entwickelt, und 2008 wurde ein Verein mit 25 Mitgliedern gegründet, aus dem 2010 die Genossenschaft namens «zusammen_h_alt» entstand. Wie die Schreibweise suggeriert: Zusammen wollte man alt werden.

Doch wo? Die Suche nach einem passenden Bauplatz dauerte drei Jahre. Das Projekt am Laufen zu halten, war für alle Mitinitianten nicht immer einfach. Peter Hajnoczky war mehrmals kurz davor, den «Bettel hinzuschmeissen». Einmal etwa, als sich in der Gruppe plötzlich Verzagtheit breitmachte. «Um trotzdem dranzubleiben, braucht es in einer solchen Situation Mut, Optimismus und eine Portion Frechheit.»

Raum für die Gemeinschaft

Der Durchhaltewille wurde belohnt: 2012 bot die Basler Pensionskasse Stiftung Abendrot der Genossenschaft an, dass sie ihr Projekt auf dem Lagerplatz-Areal realisieren könne – mit der Pensionskasse als Investorin und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) als weiterer Projektpartnerin und Mitnutzerin des Gebäudes. Damit war die Genossenschaft in der speziellen Situation, später gar nicht Besitzerin ihres Projekts zu sein, sondern Mieterin . Vom selbst erarbeiteten Raumkonzept konnte die Pensionskasse trotzdem überzeugt werden.

Und dieses Raumkonzept macht denn auch den pionierhaften Charakter des Projekts aus. Die rund 80 Wohnungen werden mit 40, 60 oder 80 Quadratmetern bewusst klein gehalten und sollen als privater Rückzugsraum verstanden werden. Umso grosszügiger sind die Gemeinschaftsräume gestaltet – sie machen gut zwölf Prozent der gesamten Fläche aus. Dazu gehören ein Musikraum, eine Bibliothek, eine Sauna, eine Grossküche, ein Raum der Stille, zwei weitläufige Terrassen und ein zweigeschossiger, grosser Raum mit Galerie, Tätigkeitsplattform genannt. Dieser bildet das Herz des Projekts, dort sollen die Genossenschafter nach Lust und Laune für sich alleine oder zusammen tätig sein. 

«Soziale Beziehungen zu pflegen, ist der wichtigste Faktor, um gesund zu bleiben»

Albert Wettstein, Altersforscher

Soziale Kontakte sind explizit erwünscht

«Wie das dann konkret gelebt wird, wissen wir noch nicht – das ist eines unserer Experimente», sagt Hajnoczky. Spanisch lernen, im Chor singen, Yoga Therapie Einmal Yoga, bitte, Herr Doktor! , Nähen, Kochen, Malen oder Philosophieren – das Feld ist gross. Und auch die Waschmaschinen, der Tumbler und das Bügeln werden bewusst in diesem Bereich angesiedelt. Denn soziale Kontakte sind explizit erwünscht. 

«Gerade dieses Tätigsein unterscheidet uns stark vom Altersheim», sagt Hajnoczky. «Soziale Beziehungen zu pflegen, ist der wichtigste Faktor, um gesund zu bleiben Fitness Bewegung hält den Körper schön », sagt auch der Altersforscher Albert Wettstein. In einem Interview mit dem Winterthurer «Landboten» hat er seine Meinung klar kundgetan: «Einsamkeit ist im Altersheim und in Alterssiedlungen eine Realität. Es ist furchtbar, dass es in Alterssiedlungen zum Teil kaum Gemeinschaftsräume gibt.»

Herausfordernde Zukunft

 Sofort überzeugt vom Konzept der Genossenschaft Zusammenhalt war auch Susanne Schnyder, als sie 2012 einen Artikel über das Projekt las. Der heute 64-jährigen Redaktorin war klar, dass nach dem Auszug Vorzeitiger Auszug Muss ich eine Entschädigung zahlen? der drei Kinder das Haus in Stammheim im Zürcher Weinland zu gross sein würde und dass ihr genau diese gemeinschaftliche Wohnform zusagt. «Damit erspare ich meinen Kindern auch das Gefühl, sich um mich kümmern zu müssen.» 

Nun freut sie sich auf den Einzug : «Ich bin gespannt, was der pionierhafte Geist des Projekts bewirken wird und was ich dazu beitragen kann.» Schnyder wie Hajnoczky sind sich einig: Das Projekt habe vor allem Menschen angezogen, die eine ähnliche Idee vom Leben hätten. «Viele unserer Generation wuchsen in einer Zeit auf, in der man grössten Wert auf Selbstbestimmung legte, einen anderen, eigenen Weg gehen wollte, alte Traditionen ablehnte und in eine aufregende Zeit aufbrechen konnte», so Schnyder. Jetzt, 40 oder 50 Jahre später, brechen sie mit dem Projekt Zusammenhalt nochmals neu auf.

Natürlich sei der Umgang mit der Ungewissheit, wie das Leben in der Genossenschaft dann aussehen werde, auch eine Herausforderung. Unter den rund 100 künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern gebe es unterschiedliche Ansichten darüber, wie detailliert das Zusammenleben geregelt werden solle. «Wichtig ist, dass man das Feuer behält und nicht in Ängste abdriftet», sagt Hajnoczky. Und wichtig ist ihnen, keinen Ideologien zu verfallen. Sie wollen nach dem Modell der Soziokratie leben – alle sind gleichwertig, es werden nur Entscheide gefällt, gegen die niemand einen schwerwiegenden Einwand hat. «Uns ist klar: Es ist ein Experiment», sagen beide. Aber eines, auf das sie sich freuen wie auf ein Neugeborenes. «Wird es ein Schreihals oder ein ganz ruhiges Baby?», fragt sich Hajnoczky und fügt an: «Egal! Auf jeden Fall ist es für mich eine lang ersehnte Geburt.»

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