Die Enttäuschung meines Freundes war durchs Telefon sichtbar. Ja, sichtbar. Und nein, wir befanden uns nicht in einem Videocall. Aber es gab keine andere Möglichkeit, als ihn ein Stück mehr zusammengesunken vor sich zu sehen. Die Schultern ein bisschen runder, der Kopf ein bisschen hängender, das Gesicht ein bisschen weniger strahlend. Ich hatte gerade Nein gesagt.

«Sich besser abgrenzen können»: Das steht ziemlich weit oben auf der Liste von Dingen, die viele meiner Klientinnen lernen wollen. Weil sie erkannt haben, dass sie regelmässig das Wohlbefinden und die Bedürfnisse von anderen stärker gewichten als ihre eigenen. Viele von ihnen sehnen sich dabei nach einer einfachen Formel. Nach einem Schritt-für-Schritt-Plan oder einer ultimativen Formulierung, die zuverlässig zum gewünschten Resultat führen. Und das dann auch noch möglichst schmerzlos.

Von diesem Wunsch muss ich mich dann gleich selbst abgrenzen. Denn komplett einfach und angenehm ist Neinsagen nie Umgang mit Enttäuschung Schmerzhaftes Nein . Jedenfalls dann nicht, wenn einem wirklich etwas an der Person oder der Situation liegt, von der man sich abgrenzt. Wir Menschen sind evolutionär darauf programmiert, zusammenzuarbeiten. Uns tut eine entspannte Stimmung in der Gruppe gut, weil soziale Akzeptanz unser Überleben sichert. Entsprechend fürchten wir in der Regel, Enttäuschungen und Konflikte auszulösen.

«Wer erfährt, dass die Welt nach einer Abgrenzung nicht untergeht, wird mit der Zeit stärker.»

Caroline Fux, Psychologin

Abgrenzung ist eine Kunst, die man lernen muss. Sie ist eine Kompetenz, die man vielseitig, kreativ und mit Verstand einsetzen muss. Wir lernen sie von guten Vorbildern und auch einfach dadurch, dass wir das Neinsagen üben. Denn wer die Erfahrung macht, dass die Welt nach einer Abgrenzung nicht untergeht, wird mit der Zeit stärker.

Es gibt Techniken und Formulierungen, die einem das Neinsagen einfacher machen. Ein Nein, das mit Dank und Wertschätzung verbunden ist («Danke, dass du an mich gedacht hast, aber ich möchte nicht»), ist meist einfacher. Hilfreich kann es sein, eine Alternative zu bieten («Beim Möbeltragen helfe ich nicht, aber ich kann dich beim Einpacken unterstützen»), Zeit zu kaufen («Ich muss mir das überlegen») oder einen nachvollziehbaren Grund zu nennen («Ich habe schon etwas vor», «Es liegt nicht in meinem Budget», «Das fühlt sich nicht stimmig für mich an»). Man sollte sich aber bewusst sein, dass man nicht jeder Person eine Begründung schuldet. Denn nein heisst nein, und gut ist.

Solche Tipps und Techniken sind im Prozess der Abgrenzung allerdings nicht selten nur die Spitze des Eisbergs. Ein schönes Sätzli ersetzt nämlich nicht die Vorbereitung und das Nachspiel rund um das Neinsagen . Denn wer sich gut und nachhaltig abgrenzen will, muss sich zuerst kennen und spüren. Erst wenn man von sich selbst weiss, wer man ist und was man braucht, kann man in der eigenen Mitte bleiben. Der Zugang zum Selbst ist also der Anker im Umgang mit anderen.

Viele Menschen, deren Bedürfnisse im Alltag untergehen, wissen nicht genau, was in ihrem Innern vorgeht. Selbst wenn sie von einem tiefen Unbehagen erfüllt sind, fehlen ihnen Strategien, um sich selbst zu beruhigen und zu erden Stressbewältigung So bleiben Sie mit Coping-Strategien in Krisen stark . In solchen Situationen braucht es nicht bloss schöne Formulierungen gegen aussen, sondern mehr Verständnis gegen innen. Die Fähigkeit, sich im Sozialen Sicherheit zu geben, und zwar nicht nur dadurch, dass man anderen gefällt.

Ich habe damals nach meinem Nein ziemlich schlecht geschlafen. Es hat Kraft gekostet, die Enttäuschung des Freundes auszuhalten. Ich musste mich daran erinnern, dass ihm diese Reaktion genauso zusteht wie mir meine Absage. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis auf dem Weg zur kompetenten Abgrenzung: Es ist nicht der Job der anderen, einem den Weg zum Nein so leicht wie möglich zu machen. Nein sagen heisst Spannung aushalten. Und das ist keine beliebte, sehr wohl aber eine wichtige Übung.

Zur Person

Caroline Fux

Caroline Fux schreibt für den Beobachter über ihre Arbeit als Psychologin und die tägliche Konfrontation mit sich selbst. Ausserdem ist sie Co-Autorin der Beobachter-Bücher «Was Paare stark macht», «Guter Sex» und «Das Paar-Date».

Quelle: Paul Seewer

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