Angenommen, jedes Neugeborene erhält bei der Geburt ein finanzielles Geschenk vom Staat. Dieses Startkapital wird bis zur Pensionierung gewinnbringend angelegt und dient dann als Zusatzrente. Was wie Zukunftsmusik klingt, hat der Frankfurter Professor Raimond Maurer für Deutschland durchgerechnet: Bei einer Anlage von 5000 Euro ab Geburt resultiert so im besten Fall eine Monatsrente von 3150 Euro. In der reicheren Schweiz wäre ein Geburtsgeschenk von 10'000 Franken denkbar.

In den USA und in Grossbritannien wurde die Idee einer «Geburtsurkunden-Anleihe» schon umgesetzt. Dort fliesst das Geld allerdings in einen Fonds, der mit dem 18. Lebensjahr endet und speziell der Ausbildung dient. Raimond Maurer will die Anlage aber als Rentenmodell nutzen. Dabei betont der Professor der Frankfurter Goethe-Universität, dass diese Rente als Ergänzung zur bestehenden Altersvorsorge gedacht ist.

Der Basler Soziologe Ueli Mäder steht solchen Anlagemodellen skeptisch gegenüber: «Sie funktionieren meist als Anlage für Besserverdienende.» Er plädiert für eine Stärkung der AHV, auch durch den Ausbau der Ergänzungsleistungen. Eine Reform müsse für alle gerecht sein.

So macht man Millionärinnen

Tatsächlich stellt sich bei der «Geburtsurkunden-Anleihe» die Gerechtigkeitsfrage: Was ist mit den heute Lebenden, die kein Geschenk bekommen haben? Eine Lösung könnte sein, ihnen bei der Pensionierung einmalig 10'000 Franken zur Rentenaufbesserung auszuzahlen.

Allerdings wäre allein die Finanzierung des Geburtsgeschenks bereits eine Herausforderung: In der Schweiz beliefen sich die Kosten dafür auf rund 800 Millionen Franken pro Jahr, was etwa einem Prozent des Bundeshaushalts entspricht. Hinzu kämen die zusätzlichen Kosten für die Übergangsgeneration.

Doch die Früchte, die eine Geburtsanleihe trägt, wären für den Einzelnen nicht zu verachten: Angenommen, das Geburtsgeschenk ist vor über fünf Jahrzehnten in einen Schweizer Aktienfonds investiert worden, dann hätte dieser nach Angaben der Luzerner Kantonalbank eine durchschnittliche jährliche Rendite von 7,8 Prozent erzielt. Aus den 10'000 Franken wäre so ein Kapital von heute 1'318'923 Franken entstanden. Bei einem Umwandlungssatz von 6 Prozent entspräche dies einer monatlichen Rente von 6594 Franken. Und selbst bei einer Rendite von lediglich 5 Prozent wäre die lebenslange Rente immer noch so hoch wie eine minimale AHV-Rente – ohne dass man dafür Beiträge zahlen musste.

Auch der Staat könnte langfristig von diesem Modell profitieren – dank geringeren Ausgaben für Ergänzungsleistungen und höheren Steuereinnahmen aus den Renten. Trotz diesen möglichen Vorteilen stellt sich unweigerlich die Frage: Woher soll das Startkapital kommen?

In Norwegen wird die staatliche Rente zum grossen Teil aus den Einnahmen der Ölindustrie gespeist. Der norwegische Staatsfonds ist einer der grössten der Welt und dient der langfristigen Sicherung des Rentensystems. Was in Norwegen die Öleinnahmen sind, könnten in der Schweiz allenfalls die Gewinne der Nationalbank sein. Allerdings sind Nationalbankgewinne keine verlässlichen und dauerhaften Einnahmequellen.

Und doch könnte die Idee der Verwendung von Nationalbankgewinnen auch für ein weiteres Rentenmodell in Betracht gezogen werden: für die «universelle Basisrente». Jede Person bekäme sie unabhängig von ihrer Erwerbsbiografie zum Bestehenden ausgezahlt. Denkbar ist überdies ein «Rentenkonto für nicht erwerbstätige Pflegende», die Kinder, ältere Menschen, Behinderte oder Kranke betreuen und deshalb keine ausreichenden Rentenansprüche erwerben können. «In der Schweiz werden jährlich neun Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit geleistet. Da ist eine soziale Absicherung dringlich», sagt Soziologe Ueli Mäder.

Rentenbezug verschieben

Kein Gehör findet bei ihm die Idee eines «Bürgerdividendenfonds». Bei einem solchen würde der Staat aus eigenen Beteiligungen einen Fonds aufbauen und die Dividenden an die Bürger ausschütten. Mäder warnt: «Der Staat soll nicht spekulieren, sondern sozial agieren.» Auch Rentenexperte Raimond Maurer betrachtet die Dividendenidee wegen der Zinsabhängigkeit skeptisch. Interessant findet er hingegen Teilrenten-, Anspar- oder Progressionsmodelle. In den USA gibt es bereits die Möglichkeit, den Rentenbezug so zu verschieben, dass man bis zu 32 Prozent mehr Geld bekommt.

Maurer erklärt das Prinzip an einem Beispiel: «Eine Person geht erst mit 70 statt mit 62 Jahren in Rente. So bekommt sie mit 70 monatlich 2660 Dollar – mit 62 Jahren wären es nur 1500 Dollar.» Oder die Person könnte mit 70 die gesamte Summe der Rente beziehen, die während acht Jahren nicht ausgezahlt worden ist, und bekäme inklusive Kapitalertrag und Mortalitätskomponente 177'000 Dollar. Ab 70 käme zu dieser Einmalzahlung die normale lebenslange Rente von 1500 Dollar. «Mich fasziniert an diesen Optionsmodellen, dass man über die Zeit eine Rente generieren kann und sich die Bevölkerung kollektiv mit der Kapitalisierung auseinandersetzen muss – das trägt zur finanziellen Bildung bei», sagt Maurer.

In Richtung des US-Modells geht auch die Zürcher Pensionskasse BVK, die eine Kombination von Teilauszahlung und Rente anbietet: Dabei wird die gesamte Altersrente ab Pensionierung bis Alter 75 berechnet und ganz oder teilweise als Kapital ausgezahlt, wobei ein versicherungsmathematischer Reduzierungsfaktor benutzt wird. Wenn die Rente 1000 Franken pro Monat betragen würde, stünden für zehn Jahre rund 107'000 Franken zur Verfügung. Ab 75 bekäme man die Normalrente (wie mit 65) bis ans Lebensende. Vorteil für die Versicherten: Sie haben mit 65 eine grössere Summe zur Verfügung und später trotzdem eine ungekürzte Rente. Nachteil: Bis 75 brauchen sie eine weitere Einnahmequelle.

Flexible Angebote für alle

Mit einem zweiten Modell – Dyna – gewährt die BVK die Möglichkeit, bei Rentenbeginn eine höhere Rente zu beziehen, die bis zum 75. Lebensjahr kontinuierlich sinkt. Die BVK geht davon aus, dass man mit zunehmendem Alter weniger Geld benötigt. Diese Annahme steht jedoch im Widerspruch zur Statistik, die zeigt, dass die Lebenshaltungskosten im Alter sogar steigen. Entsprechend skeptisch beurteilt der Präsident des PK-Netzes, Jorge Serra, das Dyna-Modell: «Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Wahlmöglichkeit nur als Option für die gut Verdienenden im Versichertenbestand der BVK – oder sie belastet die Staatskasse, da die Wahrscheinlichkeit eines EL-Bezugs mit steigendem Alter sowieso zunimmt.» Er plädiert für stabile Leistungen ohne Wahlmöglichkeiten in der zweiten Säule, um die Führung der Kassen nicht unnötig zu erschweren.

In einem Punkt herrscht unter den Experten Einigkeit: Angesichts der Pluralisierung der Gesellschaft braucht es flexible Angebote für alle Einkommensschichten. Dabei gilt es, die Balance zwischen Solidarität und Eigenverantwortung zu wahren. Ueli Mäder betont: «Die Rente muss in jedem Fall sozialverträglich und garantiert existenzsichernd sein. Schon heute gibt es zu viele Rentnerinnen und Rentner, die wegen Geldmangels kaum mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.»