Aufgezeichnet von Julia Hofer:

Für einen Texter ein Klacks. Ein Kunstwerk aus Wörtern! So wurde mir die Teilnahme an einem Experiment mit Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger schmackhaft gemacht. Das Schweizer Künstlerduo hat für die Edition 1+1 ein Kunstwerk geschaffen, einen Offsetdruck. Die einzelnen Drucke können gekauft – und müssen vom Käufer fertig gestaltet werden. Dabei entstehen ganz unterschiedliche Werke, die dann in einer Vernissage ausgestellt werden. Vielleicht doch kein Klacks.

Die Arbeit von Steiner/Lenzlinger ist ein buntes, überschäumendes Kreuzworträtsel. Zwischen den Textfeldern tauchen figürliche Elemente auf, Menschlein, Fabelwesen, Krabbeltiere, Blumen. Eine bucklige Kartoffel. Die Bauchnabel der Künstler. Dazu Fragen des Kreuzworträtsels: «Wie möchtest du gern sterben?» oder «Do you need cold water?».

Partnerinhalte
 
 
 
 

Zuerst wollte ich das Werk ins Dreidimensionale erweitern. Wörter auf Stoffbändchen schreiben und sie aus den Buchstabenkästchen sprudeln lassen. Aber dann kam ich ins Grübeln. Möchte ich das sehen? Würde ich das aufhängen? Wie kommt das an der Vernissage an? Es machen ja nicht nur Laien mit, sondern auch – Pipilotti Rist. Boah, Rist!

Mit Nonchalance

Steiner/Lenzlinger sind ziemlich bekannt, sie haben die Schweiz sogar mal an der Biennale von Venedig vertreten. Ich habe sie vorher nicht gekannt – zu meiner Schande. Der Druck steigt. Bis ich mir sage: Kunst ist endlos, man kann immer dazulernen. Das hilft mir, eine gewisse Nonchalance zu entwickeln.

Ich verwerfe die Idee mit dem Dreidimensionalen. Und setze beim Titel des Kunstwerks an. Es heisst «Passwort». Das führt mich zur Frage: Wie lautet ganz generell das Passwort für ein Bild? Oder anders gesagt: Mit welchem Code kann man ein Kunstwerk knacken?

«Lichtwellen definieren Farben, finde ich heraus. Spannend!»

Thomas Ammann, Texter

Grundsätzlich braucht man für ein Kunstwerk die Augen. Klar, der Tastsinn geht auch. Aber spätestens bei Mona Lisa dürfte das dann nicht mehr klappen. Gut. Weiter: Damit das Auge etwas sehen kann, braucht es Licht. In der Physik spricht man von Lichtwellen. Das ist erst einmal der Grundcode.

Aber wie verknüpfe ich das mit den Buchstaben des Kreuzworträtsels? Hirnen, Recherche. Lichtwellen definieren Farben, finde ich heraus. Spannend! Ich muss den Buchstaben nur noch Farben zuordnen. In der deutschen Sprache gibt es Buchstaben, die häufig vorkommen, und andere, die seltener sind. Ich überlege: E, N, I, R, T, S und A kommen oft vor. Y, X und Q selten. Ich ordne dem häufigsten Buchstaben, dem E, die Farbe mit der längsten Wellenlänge zu. Das ist Rot. Und dem seltensten Buchstaben Violett, die Farbe mit der kürzesten Wellenlänge. So kann ich jedem Buchstaben eine Farbe geben.

Malen nach Buchstaben

Das könnte funktionieren. Ich male mein Farbenalphabet auf das Bild. Dann löse ich das Kreuzworträtsel, wie es gerade passt. Ich schreibe die Buchstaben nur fein mit Bleistift in die Kästchen und übermale sie dann mit der entsprechenden Farbe – Malen nach Buchstaben sozusagen. Zuerst alle Kästchen mit einem E rot einfärben, dann alle Kästchen mit einem B hellblau, C grün und so weiter.

Doch, mit dem Resultat bin ich zufrieden. Jetzt bin ich gespannt auf die Vernissage. Wie haben die anderen die Aufgabe gelöst? Sicher werde ich Bilder sehen, die mir besser gefallen als meines. Vielleicht werde ich eines kaufen. Oder ich tausche mit jemandem.

Wer ebenfalls ein Kunstwerk vollenden will, findet Infos auf 1plus1art.com – auch zur Vernissage am 29. Mai.

Die besten Artikel – Woche für Woche
«Die besten Artikel – Woche für Woche»
Julia Hofer, Redaktorin
Der Beobachter Newsletter