Am realistischsten und im politischen Prozess am weitesten vorangeschritten ist die Einführung einer 24-Stunden-Hotline für Hilfesuchende. Bis heute sind Hilfegesuche an die Opferhilfe an Bürozeiten gebunden. Doch Notsituationen können natürlich akut entstehen, manchmal mitten in der Nacht. Deshalb wurden im Nationalrat drei gleichlautende Motionen überwiesen. Auch die Istanbul-Konvention sowie die Roadmap «Häusliche Gewalt» von Bund und Kantonen verpflichten die Schweiz zum Handeln.

Auf technischer Ebene soll, wie beim Polizei- oder Feuerwehrnotruf, eine dreistellige Kurznummer eingeführt werden. Die Umsetzung ist Sache der Kantone. Sicher ist: Die zentrale Notruf-Telefonnummer soll spätestens Anfang 2025 in Betrieb gehen.

Bei der Revision des Opferhilfegesetzes 2007 wurde ein Passus gestrichen, wonach Opfer von Gewalttaten im Ausland in der Schweiz Anspruch auf Entschädigung und Genugtuung geltend machen konnten. Begründung: Zu teuer für die Kantone. Das war falsch, finden Nationalrätin Jacqueline de Quattro (FDP) und andere Politikerinnen. Sie wollen, dass der Passus wieder eingeführt wird.
 

Der Nationalrat hat eine entsprechende Motion in der Frühlingssession 2023 angenommen. Nun berät der Ständerat über das Begehren – und insbesondere über die Frage der Finanzierung. Der Bundesrat hatte die Motion zur Ablehnung empfohlen. Begründung: Es liege in der Verantwortung des Staates, in dem die Taten verübt wurden, den durch die Straftat verursachten Schaden wiedergutzumachen. Zeithorizont des Begehrens: noch unklar.

Migrantinnen und Migranten sind in der Schweiz manchmal prekären Aufenthaltsbedingungen ausgesetzt, die im Falle häuslicher Gewalt zum Problem werden. Denn: Wenn sich Angehörige von Drittstaaten von ihren Ehepartnern trennen, droht ihnen oftmals der Verlust ihres Aufenthaltstitels.
 

Gewaltbetroffene Personen dürfen nach einer Trennung aktuell nur in der Schweiz bleiben, wenn die Ehe mindestens drei Jahre bestanden hat und die Personen zudem «gut integriert» sind. Ausnahmen im Sinne einer Härtefallregelung werden nur gewährt, wenn die Betroffenen nachweisen können, dass sie Opfer häuslicher Gewalt sind, dass diese Gewalt eine gewisse Intensität aufweist und dass sie dieser Gewalt systematisch ausgesetzt sind. Diese Beweise sind teilweise schwer zu erbringen.
 

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats erachtet die Bestimmungen als zu scharf. Sie will die bestehende Härtefallregelung im Ausländer- und Integrationsgesetz darum anpassen. Unter anderem soll zum Schutz der Opfer präzisiert werden, was als häusliche Gewalt gilt. Der Schutz soll ausserdem nicht nur Ehepartner von Schweizerinnen und Schweizern und Personen mit einer Niederlassungsbewilligung umfassen. Er soll auch auf Ehepartner von Personen mit Aufenthalts- oder Kurzaufenthaltsbewilligung erweitert werden. Die erste Vernehmlassung ist abgeschlossen, das Geschäft wird als Nächstes im Nationalrat debattiert.

In der Schweiz gibt es insgesamt 30 Not- und Schutzunterkünfte für gewaltbetroffene Mädchen und Frauen. Die Angebote stossen an ihre Kapazitätsgrenzen, denn die Anzahl Schutzsuchender nimmt zu.

Insbesondere in der West- und der Zentralschweiz sowie im Tessin soll darum die Anzahl Schutzplätze erhöht werden. Das empfiehlt der Bundesrat. Parallel dazu hat der Nationalrat in der Frühlingssession ein Postulat der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur überwiesen. Es beauftragt den Bundesrat ebenfalls, die Schutzplätze in den Kantonen genau anzuschauen. Explizit mitberücksichtigt werden sollen Schutzräume für «gewaltbetroffene junge Männer und LGBTI-Personen».

Menschen mit Behinderungen sind überdurchschnittlich stark von physischer, psychischer und sexueller Gewalt betroffen, besonders in Wohn- und Arbeitssituationen. Wie eine Studie der Hochschule Luzern (HSLU) analysiert, besteht auch in der Schweiz Handlungsbedarf.
 

Der Bundesrat hat darum im Juni 2023 eine Reihe von Massnahmen und Empfehlungen verabschiedet, um Menschen mit Behinderung besser vor Gewalt zu schützen. Gebäude und Informationen sollen barrierefrei zugänglich werden. Der Zugang zum Opferschutz soll verbessert werden. Ausserdem soll genau definiert werden, wann der Tatbestand der häuslichen Gewalt in kollektiven Wohnformen erfüllt ist.

Alle zwei Wochen verliert in der Schweiz eine Frau ihr Leben durch Männergewalt. Eine parlamentarische Initiative, eingereicht von Céline Amaudruz (SVP), verlangt darum eine «systematische aktive elektronische Überwachung» im «Rahmen von Gewalt gegen Frauen».
 

Amaudruz stützt sich auf einen Bericht der Universität Bern zuhanden des Bundesrats zum sogenannten spanischen Modell. Spanien hat seit 2009 elektronische Überwachungen von Tätern in bisher rund 9000 Fällen häuslicher Gewalt eingesetzt. Damit gehört Spanien zu einem der ersten Staaten in Europa, die solche Überwachungen auf breiter Ebene anwenden. Behörden und betroffene Gewaltopfer, die zum Nutzen befragt wurden, stimmen überein, dass die Technologie «grosses Potenzial» habe, die überwachte Person von einer Straftat abzuhalten.
 

In der Schweiz sind seit 2015 GPS-Systeme zugelassen, mit denen der Aufenthaltsort der überwachten Person kontrolliert werden kann. Die Überwachung muss allerdings im Einzelfall geprüft und richterlich angeordnet werden. Zudem gibt es ein interkantonales Pilotprojekt, bei dem Gewaltbetroffenen ein Notfallknopf zur Verfügung gestellt wird, mit dem sie bei Bedrohung Alarm schlagen können.
 

Laut dem Bundesrat muss das Gesetz nicht angepasst werden, die bestehenden gesetzlichen Grundlagen reichten aus. Als Nächstes wird das Geschäft im Nationalrat debattiert.