Tagsüber arbeiten, nachts in die Zelle: Die Halbgefangenschaft soll Häftlinge gegen Ende ihrer Zeit im Gefängnis auf das Leben in Freiheit vorbereiten. Auch bei Haftstrafen von weniger als zwölf Monaten wird die Strafe oft so vollzogen. Weil es weitere Straftaten eher verhindert, wenn Betroffene in ihrem beruflichen und sozialen Umfeld bleiben können.

Personen, die nach ihrer Haftstrafe das Land verlassen müssen, erlaubt das Strafvollzugskonkordat der Nordwest- und Innerschweiz diese Vollzugsart nicht. Das verstösst gegen Bundesrecht, entschied jüngst das Luzerner Kantonsgericht.

Obligatorischer Landesverweis bei Freiheitsberaubung

Geklagt hatte ein Mann, der im Januar 2023 unter anderem wegen Freiheitsberaubung und Drogendelikten zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden war. Acht Monate davon sollte er absitzen, im Anschluss für mindestens fünf Jahre das Land verlassen. Grund: Bei Freiheitsberaubung ist ein Landesverweis obligatorisch.

Den unbedingten Teil der Strafe wollte er in Halbgefangenschaft verbüssen. Das ist eigentlich möglich, wenn keine Gefahr besteht, dass der Gefangene flieht oder wieder straffällig wird, und wenn er einer geregelten Arbeit nachgeht. Die Vollzugsbehörde weigerte sich jedoch. Sie stützte sich dabei auf eine Richtlinie des Strafvollzugskonkordats, die vorsieht, dass bei Landesverweis keine Halbgefangenschaft möglich ist.

Halbgefangenschaft, um Schulden abzuzahlen

Der Mann argumentierte, die Halbgefangenschaft sei für ihn wichtig, um sich darauf vorzubereiten, dass er die Schweiz verlassen müsse. Er wisse nicht, wie er seine Busse, die Krankenkasse sowie seine derzeitigen Schulden beim Gericht begleichen könne, wenn er im Gefängnis sitze. Wenn er nur über Nacht ins Gefängnis müsse, könne
er arbeiten und all dies bezahlen.

«Den Kantonen bleibt kein Raum, um restriktivere Regelungen zu erlassen.»

Urteil des Luzerner Kantonsgerichts

Das Kantonsgericht hält die Praxis des Konkordats für widerrechtlich. Die Halbgefangenschaft regle der Bund im Strafgesetzbuch abschliessend. «Den Kantonen bleibt kein Raum, um restriktivere Regelungen zu erlassen», heisst es im Urteil. Darum könne man Personen, die zu einer Landesverweisung verurteilt worden sind, nicht generell von Halbgefangenschaft ausschliessen.

Beim Betroffenen verhält es sich allerdings anders. Bei einer Strafe wegen Freiheitsberaubung muss ein Gericht nämlich zwingend einen Landesverweis aussprechen. Und dann erlischt die Arbeitsbewilligung automatisch.

Die Richtlinie wird nun überprüft

Wenn ein Gericht hingegen bei geringeren Delikten einen Landesverweis zusätzlich zur Strafe ausspricht, weil es wichtig findet, dass der Täter das Land verlässt, bleibt die Arbeitsbewilligung bestehen. In letzteren Fällen muss Halbgefangenschaft deshalb möglich sein.

Das Vollzugskonkordat Nordwest- und Innerschweiz wird seine Richtlinie nun überprüfen müssen. «Es ist vorgesehen, diese Fragestellung mit den 19 Kantonen der beiden Strafvollzugskonkordate der Deutschschweiz zu diskutieren», schreibt Konkordatssekretär Stefan Weiss auf Anfrage des Beobachters.