Mein Verhältnis zu Sprachnachrichten ist gespalten. Ich gehöre zur «Generation SMS» und konnte lange nichts mit Audiomessages anfangen. Für mich schlägt nichts die Klarheit und die Effizienz einer guten Kurznachricht, vor allem bei Organisatorischem.

Ab und zu, und in einem kleinen Kreis von ausgewählten Personen, versende ich aber sehr gern Sprachnachrichten. Sie sind so etwas wie private Podcasts, in denen ich und meine Freunde über das Leben, die Liebe und uns selbst sinnieren. In ein paar meiner Beziehungen sind diese Minipodcasts zu einer zentralen Quelle von Verbundenheit und Intimität geworden. Also zu etwas, was ich sehr schätze und liebe.

Diese Nachrichten nehme ich meist gehend auf. Auf dem Weg zum Einkaufen, zu meiner Praxis, zum Bahnhof. Gehen, Denken und Sprechen funktionieren für mich gut zusammen; der therapeutische Effekt ist grossartig, nicht zuletzt weil ich in meinem Umfeld auf ein paar wunderbare, kluge, grosszügige, angemessen kritische, lustige und überhaupt unschlagbare Menschen zählen kann.

Als würde ich ins Handy beissen

Was mir aber ab und zu einen Strich durch die Rechnung macht, sind die Elemente. Kaum zu glauben, wie oft und heftig es an einem durchschnittlichen Schweizer Tag windet. Wie hartnäckig Bisen und Böen Aufnahmen vermasseln, indem sie Ausführungen in nicht verwendbares Rauschen verwandeln. Daher halte ich öfter mein Handy vor den Mund, als wäre es ein Butterbrot, in das ich beissen will. Das sieht, ich gebe es zu, irgendwie bescheuert und ziemlich zweckentfremdet aus. Aber es ist entweder das – oder weisses Rauschen für meine Freunde.

«Generationen-Bashing funktioniert. Mindestens oberflächlich.»

Caroline Fux, Psychologin

Vor ein paar Tagen kam mir bei so einer Aufnahme auf einem Spazierweg ein älterer Herr entgegen. Er schaute mich und mein Butterbrot-Handy entgeistert an, schüttelte missbilligend den Kopf und murmelte mustergültig passiv-aggressiv und gut hörbar etwas von «telefonieren lernen». Ich war kurz sprachlos und murmelte dann, nicht weniger passiv-aggressiv: «Okay, Boomer.»

Die Sache mit dem Vorverurteilen

Ich war verblüfft. Wie eine absolute Anfängerin hatte ich mich zu einem heftigen Generationen-Bashing hinreissen lassen. Also zu dieser mit Schubladendenken verbundenen Aggression, bei der Menschen in Töpfe geworfen werden, damit man genüsslich auf ebendiesen herumtrommeln und Lärm machen kann. Ein Gruppenkult quasi, bei dem das wichtigste Prinzip ist: «Alle, die anders sind als wir, sind doof.»

«Es ist unbestritten, dass es Generationeneffekte gibt.»

Caroline Fux, Psychologin

Die Psychologie kennt die Abwertung anderer als absoluten Klassiker im Repertoire der möglichen Strategien zum Schutz des eigenen Selbstwerts. Selbstzweifel Emotionen Zweifeln Sie ruhig! , Neid, Unsicherheiten und ähnliche lästige Herausforderungen lassen sich flugs durch Angriffe gegen andere kurieren. Anders gesagt: Generationen-Bashing funktioniert. Mindestens oberflächlich. Denn dass das Ganze nicht selten versteckte Kosten und schwer kalkulierbares Unglück nach sich zieht, schiebt man in aller Regel schnell zur Seite.

Dass es Generationeneffekte gibt, ist in der Psychologie unbestritten. Unbestritten ist aber auch, dass neben Generationeneffekten unzählige andere Faktoren wirken, wenn es um Menschen und ihr Erleben und ihre Sichtweisen geht. Die zentrale Frage dürfte also sein, wie man persönlich mit Generationeneffekten umgeht: Verstehen Sie sie als Aufforderung, neugierig zu sein und sich zu reflektieren? Oder lieber als Steilvorlage, um anderen eins ans Bein zu hauen und von sich selbst abzulenken? Sie haben die Wahl.

Ich für meinen Teil – übrigens irgendwo zwischen Generation X und Y zu verorten, nah am Digital Native – habe mir nach der unangenehmen Begegnung für mein Butterbrot-Handy ein kleines Mikrofon gekauft. Sieht zwar auch peinlich aus, aber schnödende Spaziergänger können mir gestohlen bleiben. Meine durch Sprachnachrichten gepflegten Freundschaften aber nicht.

Zur Person

Caroline Fux

Caroline Fux schreibt für den Beobachter über ihre Arbeit als Psychologin und die tägliche Konfrontation mit sich selbst. Ausserdem ist sie Co-Autorin der Beobachter-Bücher «Was Paare stark macht», «Guter Sex» und «Das Paar-Date».

Quelle: Paul Seewer

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