Während Jahrzehnten adoptierten Schweizer Eltern Babys aus dem Ausland. Jetzt zeigt ein Bericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Auftrag des Bundesrats: Die Kinder kamen nicht nur aus Sri Lanka, wie bisher bekannt. Fragwürdige und illegale Adoptionen gab es auch aus Bangladesch, Brasilien, Chile, Guatemala, Indien, Kolumbien, Korea, Libanon, Peru und Rumänien.

Bei all diesen Ländern gebe es «Hinweise auf illegale Praktiken, Kinderhandel, gefälschte Dokumente und fehlende Herkunftsangaben», schreibt das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) in einer Mitteilung. Beim Bericht der ZHAW handelt es sich lediglich um eine «Bestandesaufnahme zu Unterlagen im Bundesarchiv», also eine Art Übersichtsstudie.

Aufgrund der untersuchten Aktenlage lasse sich die Anzahl Betroffener derzeit nicht ermitteln, wie das Justiz- und Polizeidepartement in einer Mitteilung festhält. Allerdings scheint das Ausmass riesig: «Die Zahl der erteilten Einreisebewilligungen legt aber nahe, dass mehrere Tausend Adoptivkinder im untersuchten Zeitraum von den Unregelmässigkeiten betroffen sein könnten.»

3000 bis 5000 Franken pro Baby

Gemäss des Berichts hatten die Schweizer Botschaften dieser Länder oftmals Kenntnis der fragwürdigen Adoptionen, teils weil Medien immer wieder über Unregelmässigkeiten und fragwürdige Vermittlungen berichteten. In Brasilien beispielsweise liess sich eine lokale Vermittlerin pro Fall 3000 bis 5000 Franken bezahlen. Das Aussendepartement beauftragte den Botschafter mit Nachforschungen, doch nichts passierte.

Ende der 1970er-Jahre meldete der damalige Geschäftsträger von Korea Missstände nach Bern, etwa dass Kinder als Waisenkinder vermittelt wurden, obwohl ihre leiblichen Eltern noch am Leben waren. De facto herrschte in mehreren Ländern mit der Vermittlung von Adoptionen während Jahren ein eigentlicher Kinderhandel.

Bisher waren vor allem die Adoptionen aus Sri Lanka ein Thema. 2020 veröffentlichte die ZHAW im Auftrag des Bundesamts für Justiz einen Forschungsbericht mit einem schockierenden Fazit: Zwischen 1973 und 1997 stellten die Schweizer Behörden gesamthaft 950 Einreisebewilligungen für Babys aus Sri Lanka aus. Dabei war den Schweizer Behörden bekannt, dass in Colombo Kinder gegen Geld, Güter des täglichen Bedarfs und Luxuswaren eingetauscht wurden. Im Bericht hiess es damals: «Die Personen, die Kinder aus Sri Lanka in die Schweiz vermittelten, waren Teil eines korrupten Systems.» 

Prix-Courage-Kandidatinnen

Die fragwürdigen Umstände, unter denen die Babys von den Müttern getrennt wurden, prägen bis heute das Leben der Betroffenen. Die Herkunftssuche gestaltet sich wegen der oft fingierten Dokumente als äusserst schwierig. In einem bis Ende 2024 befristeten Projekt zur Herkunftssuche finanzieren der Bund und die Kantone den Verein Back to the Roots, in dem sich Betroffene aus Sri Lanka organisiert haben.

Für ihr Engagement mit dem Verein Back to the Roots wurden Sarah Ineichen und Celin Fässler diesen Herbst vom Beobachter für den Prix Courage nominiert. Sie unterstützen und begleiten aus Sri Lanka adoptierte Personen bei der Suche nach ihren leiblichen Eltern.

Ständerat streicht Geld für Herkunftssuche

Wie es nach 2024 mit der Herkunftssuche von adoptierten Personen weitergeht, ist unklar. Im vergangenen September hat der Ständerat eine parlamentarische Initiative für eine weiterführende Finanzierung abgelehnt.

Der Verein Back to the Roots kritisiert: «Solange sich die verantwortlichen Stellen nicht entschuldigen oder adäquate Unterstützungsmassnahmen anbieten, sind es Betroffenen-Organisationen, die den adoptierten Personen helfen, einen Umgang mit der eigenen Geschichte zu finden.» Und: «Bund und Kantone haben es bis heute unterlassen, ein spezifisches Angebot für alle adoptierten Personen zu finanzieren.»

Bundesrat will Adoptivrecht anpassen

Zu der nun veröffentlichten Studie schreibt der Bundesrat in einer Mitteilung, er bedaure, dass die Behörden ihre Verantwortung gegenüber den Kindern und ihren Familien nur unzureichend wahrgenommen haben. «Diese Versäumnisse der Behörden prägen das Leben der damals adoptierten Personen bis heute.» Es liege nun in der Verantwortung der Kantone, die Betroffenen bei ihrer Herkunftssuche zu unterstützen. 

«Solche Unregelmässigkeiten darf es nicht mehr geben», hält der Bundesrat weiter fest. Deshalb soll nun das internationale Adoptionsrecht revidiert werden. Eine Expertengruppe soll bis Ende 2024 vertiefte Abklärungen für eine Revision prüfen. Um das weitere Vorgehen zu diskutieren, will nun Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider Vertreterinnen und Vertreter des Bundes und der Kantone in der ersten Hälfte 2024 zu einem Austausch einladen.