Für einmal ist die Staatsanwaltschaft Solothurn nicht diejenige, die anklagt. Gegen sie ist bei der zuständigen Justizkommission eine Aufsichtsbeschwerde eingegangen. Der Vorwurf: Indem die Untersuchungsbehörde Verfahren gegen die umstrittene Kirschblütengemeinschaft trotz mehrfachen Anfangsverdachts 2019 einstellte, habe sie ihre Amtsausübungspflicht verletzt und die Patientensicherheit gefährdet.

Die Kirschblütengemeinschaft ist eine vom 2017 verstorbenen Psychiater Samuel Widmer gegründete Arbeits-, Lebens- und Therapiegemeinschaft mit rund 200 Mitgliedern. Viele ihrer Mitglieder leben polyamor, die Beziehungs- und Familiengrenzen sind teilweise aufgelöst. Ihren Hauptsitz hat sie in Lüsslingen-Nennigkofen SO. Gemäss Expertinnen wie Susanne Schaaf von Infosekta gilt sie als sektenhafte Gruppierung.

Vorgebracht von einer Nationalratskandidatin

Eingereicht hat die Beschwerde die Solothurner Nationalratskandidatin Alexandra Horsch (Grüne). Die Psychiaterin kämpft schon lange gegen die Tätigkeit der Kirschblüten-Therapeuten und behandelt etliche traumatisierte ehemalige Patienten des Psychologiekultes. 

Fachverbände warnen seit Jahren vor der Gefahr, die für Patienten von Psychiatern und Therapeuten aus der Solothurner Kirschblütengemeinschaft ausgeht: Sie vertreten therapeutische Inhalte, die sich nicht mit den standesethischen Grundsätzen vereinbaren lassen. Etwa den Konsum von LSD zu Therapiezwecken und sexuelle Beziehungen zwischen Therapeuten und Patienten (der Beobachter berichtete). 

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) drehte der Gemeinschaft zumindest teilweise den Geldhahn zu: Die Kosten für die sogenannte «Echte Psychotherapie» der Kirschblüten-Anhänger müssen seit dem 1. Januar 2021 nicht mehr von den Krankenkassen übernommen werden. 

«Die besondere Notlage der Betroffenen verstanden?»

«Es stellt sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft Solothurn die besondere Notlage der Betroffenen (Missbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses durch sektenartige Gruppierung) verstanden hat», schreibt Horsch in ihrer Beschwerde. 

«Bei dem geschilderten Sachverhalt hätte die Staatsanwaltschaft allerdings durchaus von Amtes wegen auf Schändung ermitteln können», sagt dazu der Solothurner SVP-Kantonsrat und Anwalt Rémy Wyssmann, der wegen der Kirschblütengemeinschaft schon 2018 und 2020 mit kleinen Anfragen an den Kantonsrat gelangt war. 

«Ich hoffe auf die Gewaltenteilung»

Sie habe die Beschwerde gemacht, weil es für betroffene Patienten unzumutbar sei, Strafanzeige zu stellen, sagt Horsch. «Jetzt hoffe ich auf die Gewaltenteilung und darauf, dass die Justizkommission ihre demokratisch verbrieften Hausaufgaben macht.»

«Nach internen Abklärungen können wir Ihnen mitteilen, dass die Staatsanwaltschaft von der von Ihnen erwähnten Aufsichtsbeschwerde keine Kenntnis hat», heisst es aus der Medienabteilung der Solothurner Staatsanwaltschaft.