Dänemark führte es bereits vor 20 Jahren ein, Estland vor 18 Jahren: das elektronische Patientendossier (EPD). Auch andere Länder setzen auf das digitalisierte Gesundheitswesen.

In der Schweiz kann die Bevölkerung seit letztem Jahr ein elektronisches Patientendossier anfordern. Also ein Patientendossier mit den wichtigsten Informationen über die Gesundheit, das überall und rund um die Uhr auf einer App oder im Internet abrufbar ist.

Was ist das elektronische Patientendossier (EPD)?

Das elektronische Patientendossier ist nicht zu verwechseln mit der digitalen Patientenakte, die mittlerweile ein Grossteil der Ärzte über ihre Patienten führt. Das Patientendossier soll als eine Art Drehscheibe für die wichtigsten Informationen dienen: Der Hausarzt lädt aus seiner lokal gespeicherten Patientenakte diejenigen Dokumente in das Patientendossier hoch, die später für eine Herzspezialistin oder einen Apotheker relevant sein könnten. Dabei bestimmen die Patienten selbst, wer auf welche Dokumente Zugriff hat.

Doch das Patientendossier kommt nicht vom Fleck: Bisher haben gerade einmal 19’500 Personen eines eröffnet. Die meisten davon (83 Prozent) in der Romandie. Auf dem Digital-Health-Index-Ranking der deutschen Bertelsmann-Stiftung liegt die Schweiz auf dem viertletzten Platz in Europa. 

Das soll nun geändert werden. Das elektronische Patientendossier soll «zu einem Pfeiler im Gesundheitssystem werden», verkündete Bundesrat Alain Berset (SP) Ende Juni an einer Pressekonferenz. Das will er mit zwei Massnahmen erreichen.

Bundesrat prüft Sanktionsmöglichkeiten

Erstens soll künftig die gesamte Behandlungskette des Gesundheitswesens dazu verpflichtet werden, das Patientendossier zu nutzen. Bisher traf das nur auf Einrichtungen wie Spitäler, Pflegeheime und Geburtshäuser zu. Neu soll die Pflicht für sämtliche Ärztinnen, Apotheker und Physiotherapeuten gelten.

Obwohl die Pflegeheime seit mehr als einem Jahr das EPD nutzen müssen, kommen viele dieser Pflicht noch nicht nach. Dieser laschen Umsetzungspraxis will der Bund nun einen Riegel vorschieben: So sollen künftig Sanktionen möglich sein. Diese sollen von Verwarnungen bis hin zum Entzug der Möglichkeit reichen, mit den Krankenkassen abzurechnen. Zusätzlich drohen Bussen bis zu 250’000 Franken.

Wer kein EPD will, muss aktiv werden

Die zweite grosse Neuerung betrifft die Patienten: Wird die Vernehmlassung zur vorgeschlagenen Gesetzesänderung angenommen, sollen alle in der Schweiz lebenden und krankenversicherten Personen kostenlos ein EPD bekommen – automatisch. Wer das nicht möchte, muss selbst innerhalb von drei Monaten beim Wohnkanton Einspruch erheben. Ein sogenanntes «Opt-out-Modell». Man könne also auch Nein sagen, betonte Berset. 

Susanne Gedamke, Geschäftsführerin der Patientenorganisation SPO, befürwortet die Opt-out-Lösung: «​Dass alle verpflichtet werden, das EPD zu nutzen, finde ich richtig.» Patientinnen und Patienten müssten jedoch wissen, wie sie die Inhalte selbst verwalten und freigeben können, damit ausgewählte Fachpersonen Zugang zu bestimmten Inhalten hätten. 

Die Stiftung für Konsumentenschutz steht dem Vorschlag hingegen kritisch gegenüber. Die Lösung sei nicht legitim, solange die bestehenden Probleme nicht behoben seien, schreibt die «Netzwoche».

«In der jetzigen Form nicht praktikabel»

Weitere Kritik gibt es seitens der Ärzteschaft. Das Problem: Der Arzt kann die Patienteninformationen aus dem Praxissystem nicht direkt in das System der elektronischen Patientendossiers übernehmen. Das führt zu einem Mehraufwand. Es sei «in der jetzigen Form nicht praktikabel», sagte der Ärzteverband FMH im März. 

Die momentane Form des elektronischen Patientendossiers wird auch von Gedamke kritisiert: «Es bietet keine Suchfunktion, was ein schnelles und selektives Lesen verunmöglicht. Es ist also im Grunde eine reine Digitalisierung des Patientendossiers in Papierform. Ausserdem ist es relativ kompliziert und wenig intuitiv, ein EPD zu öffnen. Nur wenige Patienten werden es wohl in dieser Form tatsächlich nutzen.» Es sei im Moment nicht attraktiv. Dennoch betont Gedamke: «Es geht in die richtige Richtung.»

Datensicherheit hat oberste Priorität

Und wie steht es um den Datenschutz? «Die Datensicherheit hat oberste Priorität», beteuert Anne Lévy, Chefin des BAG. Die Stammgesellschaften, die die Patientendossiers lagern und verwalten, sind verpflichtet, sich regelmässig Sicherheits-Checks zu unterziehen. Eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nicht, aber: «Die gibt es nirgends, auch ein Spital kann gehackt werden», sagt die BAG-Chefin weiter. 

Die inhaltliche Weiterentwicklung und die Finanzierung des EPD werden vom Bund übernommen. Die Kantone hingegen sind für die Finanzierung der Stammgemeinschaften, also der lokalen EPD-Anbieter, zuständig.

EPD für mehr Effizienz

Die flächendeckende Einführung des EPD soll der gesamten Bevölkerung zugutekommen, sagte Bundesrat Berset. Alle wichtigen medizinischen Informationen befänden sich an einem Ort, und alle medizinischen Fachleute seien immer auf dem neuesten Stand. Doppelte oder falsche Behandlungen könnten so vermieden werden. «Ganz im Sinne der Effizienz», so Berset.

Die vorgeschlagenen Massnahmen sind noch nicht definitiv. Der Bundesrat hat die Gesetzesänderung in die Vernehmlassung geschickt. Ärzteverbände, Patientenorganisationen und weitere Interessenvertreter können sich bis zum 19. Oktober zum Vorschlag äussern. Wann die Änderungen umgesetzt und jedermann ein EPD erhalten soll, ist noch offen. Expertinnen gehen davon aus, dass dies nicht vor 2028 der Fall sein wird.