Ein schmaler Zug von 200 Menschen bewegt sich langsam hoch zur weissen Spitze des Casanna in der Nähe von Davos. Gesprochen wird nicht viel. Eine 30-Jährige ist hier ein paar Wochen zuvor beim Bergsteigen in den Tod gestürzt. Angehörige und Freunde sind gekommen, um Abschied zu nehmen. Krawatten wurden mit Halstüchern getauscht, Halbschuhe mit Wanderschuhen. Auf 2000 Meter über Meer ergreift Wolfgang Weigand das Wort. Der freie Theologe spricht über Seilschaften: «Was gibt uns Halt in diesem Leben?», fragt er, und: «Was passiert, wenn ein Seil reisst?» Eine Rockballade klingt aus dem mitgetragenen Player. Während Angehörige die Asche der Verstorbenen in den Wind streuen, werfen die Trauernden Zettel mit Wünschen für sie ins Feuer.

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Immer mehr Menschen entscheiden sich gegen Orgel, Predigt, Kirchenlieder und Vaterunser. Sei es, weil sie sich von der Kirche distanziert haben, weil es der Wunsch des Verstorbenen war oder weil sie eine neue Form der Zeremonie suchen.

Als Karin Ernes jüngerer Bruder starb, war für die Familie klar, dass Weigand ihm die letzte Ehre erweisen sollte. «Die Lebenspartnerin meines Bruders kannte ihn bereits. Sie hat nichts mit der Kirche zu tun und wollte keine übliche Abdankung. Wir waren einverstanden, es passte besser», sagt sie. Der Theologe habe es geschafft, eine Brücke zwischen traditioneller Liturgie und freier Zeremonie zu schlagen.

Persönliche Zeremonien

Weigand arbeitet seit über 13 Jahren in Winterthur und begleitet Neugeborene, Brautpaare oder Trauernde. «Bei mir gibt es keine verbindlichen Rituale und keine Floskelsprache», erklärt er. Er leitet Riten am Flussufer, im Garten von Angehörigen, im Friedwald bei Baumbestattungen, aber auch in Kapellen und Abdankungshallen. «Es ist wichtig, dass die Zeremonie etwas mit der verstorbenen Person zu tun hat.»

Auch Barbara Lehner aus Luzern versteht sich als religiös mehrsprachig: «Ich versuche die verstorbene Person zu erfassen und entsprechend ihrer spirituellen Grundhaltung und den Lebensthemen ein individuelles Ritualkleid zu stricken», sagt die Ritualbegleiterin und Theologin.

Der Aufbau ihrer Feiern ist mit jenem in der Kirche vergleichbar: Neben der Begrüssung, einem Rückblick auf das Leben des Verstorbenen, einer Rede, Beiträgen wie Texten, Musik oder Gesang brauche es ein Ritualelement des bewussten Verabschiedens, findet sie. «Die Person und ihr Tod müssen irgendwie fassbar werden, damit man sich verabschieden kann. Denn das Begreifen des Verlustes und das Durchleben verschiedener Gefühle sind wichtige Teile des Trauerprozesses.»

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Wenn möglich im grösseren Rahmen

Rituale nehmen eine zentrale Rolle in unserem Leben ein. Wichtige Momente werden durch Zeremonien markiert, um ihnen jene Bedeutung zu verschaffen, die sie unserer Meinung nach verdienen. Ritualleiter oder freischaffende Theologen halten den Rahmen, den eine solche Würdigung braucht. «Im Moment der akuten Trauer braucht es eine Bühne, eine Struktur, in der die Trauer stattfinden kann. Man kann nicht einfach ein bisschen zusammenstehen», erklärt Theologe Weigand.

Er und andere Fachleute sind sich einig, dass Trauerfeiern wenn möglich öffentlich und im grösseren Rahmen stattfinden sollten. «Die Gemeinschaft kann einem in solchen Momenten Kraft geben. Es ist tröstend zu sehen, dass der verstorbene Mensch auch anderen etwas bedeutet hat und dass man nicht allein ist.» Weigand lädt die Angehörigen immer dazu ein, selber einen Beitrag an die Feier zu leisten.

Im letzten Jahr hielt Weigand für die Mutter von Frank Habersatter eine Zeremonie am Rhein ab. «Sie wünschte sich, als Asche über den Rhein wieder in ihr Heimatland Holland zu gelangen», erzählt der Sohn. Mit den Ringen, die die geworfenen Steine im Fluss bildeten, gaben die Trauergäste ihr ihre Wünsche mit auf die letzte Reise. Habersatter hat die Feier als sehr würdevoll und persönlich erlebt: «Wäwhrend der Vorbereitung hatte ich manchmal das Gefühl, dass ich das für alle anderen mache und nicht für mich. Die Feier gab mir dann trotzdem die Möglichkeit, Abschied zu nehmen und Ruhe zu finden.»

«Schönheit ist heilsam»

Ritualbegleiterin Lehner weiss aus Erfahrung, dass eine sorgfältig gestaltete Zeremonie bei der Trauerverarbeitung helfen kann. «Schönheit ist heilsam», sagt sie überzeugt. Viele Ritualleiter oder Theologen verfügen auch über eine seelsorgerische Ausbildung und bleiben für die Angehörigen über die Trauerfeier hinaus eine Ansprechperson.

Nach dem Suizid ihres Bruders war das für Karin Erne sehr heilsam: «Weigand hat uns begleitet und es geschafft, uns wieder Boden unter die Füsse zu legen.» Sie freut sich auf die Trauung ihres Sohnes im Sommer – die soll unter Weigands Leitung in einem Schlosshof stattfinden.

Würdige Bestattung ohne Kirche: So ist das Vorgehen
  • Hat der Verstorbene Schriftliches zur Trauerfeier oder zur letzten Ruhestätte hinterlegt oder besteht allenfalls ein Vertrag mit einem privaten Bestatter?
  • Falls nicht, bestimmen die nächsten Angehörigen über die Beerdigung.
  • Falls Sie sich eine kirchlich unabhängige Abschiedsfeier wünschen, erfragen Sie beim Bestattungsamt Ihrer Wohngemeinde die Adressen freier Theologen oder Ritualbegleiter. Kontaktieren Sie den Redner und geben Sie seinen Namen dem Amt weiter.
  • Hier finden Sie freischaffende Theologen oder Ritualbegleiter:
    www.zeremoniegestalterin.ch
    www.svft.ch
    www.abschiedsfeiern.ch 
    www.zeremonienleiter.ch
  • Sprechen Sie den Bestattungstermin mit dem Ritualbegleiter ab.
  • In einem Vorgespräch sammeln die Ritualleiter Informationen über den Verstorbenen und entwickeln gemeinsam mit den Angehörigen Gedanken über Ort und Ablauf der Zeremonie. Im Anschluss bereitet der Ritualleiter eine individuelle Feier vor. In der Regel übernimmt er die Organisation, reserviert Räumlichkeiten und erledigt die nötigen Absprachen mit der Friedhofsverwaltung oder anderen Beteiligten. Überlegen Sie sich, ob Sie selber etwas beitragen möchten.
  • Freischaffende Ritualbegleiter und Theologen berechnen für ihren Einsatz in der Regel 90 bis 180 Franken pro Stunde.
  • Vor der Zeremonie sollten Sie den Entwurf des Ritualleiters lesen und wenn nötig Änderungen vornehmen.
  • Häufig bleiben freischaffende Theologen und Ritualberaterinnen auch nach der Zeremonie für die Verwandten ansprechbar und helfen, falls gewünscht, bei der Trauerarbeit.