Katharina Vogt kann sich kaum aufrichten. Seit neun Jahren lebt sie mit chronischem Rückenschmerz Chronisch krank «Der Schmerz macht mich fertig» . Mal ist er dumpf, mal stechend, mal leicht, mal unerträglich. Dann wird sogar das Stehen und Gehen für die 48-jährige St. Gallerin zur Qual.

Ärztinnen und Ärzte haben sie auf Herz und Nieren untersucht, aber keine Ursache für das Rückenleiden gefunden. Ihren Beruf als Museumsführerin musste Katharina Vogt aufgeben, ihr Sozialleben stark einschränken. Jetzt probiert sie etwas Neues: Psychotherapie Psychotherapie Wer kann mir durch die Krise helfen? soll ihren Schmerz lindern.

An sich ist Schmerz lebenswichtig. Er warnt schnell und eindringlich vor einer Gefahr. Etwa wenn wir die heisse Herdplatte berühren. Dieser akute Schmerz ist sinnvoll, vorübergehend und erklärbar. Chronischer Schmerz hingegen ist in vielen Fällen weder sinnvoll noch vorübergehend noch erklärbar. Er hält länger als zwölf Wochen an und scheint oft keine konkrete Ursache zu haben – wie bei Katharina Vogt.

Schmerzen durch Psychologie mindern

Studien belegen: Negative Emotionen, Gedanken und Verhaltensmuster können das Rückenleiden erheblich verstärken und aufrechterhalten. Etwa wenn Betroffene aus Angst vor dem Schmerz bestimmte Bewegungen meiden – dadurch schwächen sie ihre Muskulatur, die Beschwerden bleiben bestehen.

Hier kommt die Schmerzpsychologie ins Spiel. Ihr Ziel ist es, negative Denk- und Verhaltensweisen durch positive Bewältigungsstrategien Stressbewältigung So bleiben Sie mit Coping-Strategien in Krisen stark zu ersetzen. Das kann den Alltag von Betroffenen erheblich verbessern.

Dass Psychotherapie die Behandlung von chronischem Rückenschmerz sinnvoll ergänzt, ist länger bekannt. Kürzlich wertete ein australisch-kanadisches Forschungsteam 97 Studien mit insgesamt über 13’000 Teilnehmenden aus. Die Forschenden halten fest: «Gleich mehrere psychotherapeutische Ansätze tragen erheblich dazu bei, den Schmerz deutlich länger und potenziell dauerhaft zu kontrollieren.» Gerade in Kombination mit Physiotherapie seien schmerzpsychologische Ansätze hilfreich.

Zu diesen Ansätzen gehört die kognitive Verhaltenstherapie. Sie ist die am häufigsten empfohlene und wissenschaftlich sehr gut erforschte Therapieform. Bei Patientinnen und Patienten ist sie auch deshalb beliebt, weil viele bereits nach zehn Sitzungen eine Linderung der Schmerzen erfahren.

Schmerzsituationen unter der Lupe

Katharina Vogt hat gerade ihre dritte Sitzung hinter sich. Was genau macht sie bei einem Treffen mit ihrer Therapeutin? «Wir gehen jene Situationen aus meinem Alltag durch, in denen mein Schmerz auftritt oder stärker wird», sagt sie. «Wir betrachten diese Situationen wie unter einem Mikroskop.»

Vogt bespricht mit ihrer Therapeutin, wie sie sich kurz vor und während der Schmerzsituationen verhält, was sie dabei denkt und empfindet. So kristallisieren sich Denk- und Verhaltensmuster heraus, die sich auf ihr Rückenleiden auswirken. «Sobald ich zum Beispiel denke, dass ich den Bus verpassen werde, wird der Schmerz schlimmer – das war mir vorher nie aufgefallen.»

Zudem setzen sich Betroffene mit anderen Fragen auseinander, wie etwa: Erlebe ich den Schmerz als harmlos oder bedrohlich? Fühle ich mich stark oder machtlos Strategien gegen das Leiden «Es hilft, den Schmerz anzunehmen» ? Werde ich von meinem sozialen Umfeld und dem medizinischen Personal ernst genommen, oder fühle ich mich im Stich gelassen? Schürt mein soziales Umfeld meine Ängste, oder stärkt es mein Selbstvertrauen? Erlaube ich mir in meinem Alltag regelmässige Erholung, oder zwinge ich mich, durchzuhalten, bis der Schmerz mich ausbremst? Diese Fragen helfen, den eigenen Umgang mit dem chronischen Rückenleiden zu verstehen – und ihn zu ändern.

Im Schmerzgedächtnis gespeichert

Die Therapie erfordert grossen Einsatz der Betroffenen. Denn ein chronischer Rückenschmerz ist im Gehirn verankert. «Die Auffassung, es gebe einen rein psychischen Schmerz und einen rein körperlichen Schmerz, ist überholt, falsch und vor allem nicht zielführend», sagt Ben Brönnimann von der Special Interest Group (SIG) Schmerzpsychologie der Swiss Pain Society.

Im Laufe des Lebens speichert das Gehirn alle körperlichen wie emotionalen Schmerzen, Erkrankungen und Verletzungen ab. Fachleute sprechen von einem Schmerzgedächtnis. Um chronischen Rückenschmerz mit Hilfe der Therapie zu lindern , müssen einige der eingefahrenen neuronalen Strukturen geändert werden. «Wenn Muster im Gehirn verändert werden sollen, muss man immer auch das Verhalten ändern», sagt Martina Rothenbühler. Sie ist diplomierte Physiotherapeutin FH bei der Rheumaliga Schweiz.

Ihr Verhalten ändert Katharina Vogt nun peu à peu. In den Sitzungen formuliert sie konkrete Ziele. Etwa wie sie den Schmerz besser bewältigen kann, wenn sie ihren wöchentlichen Einkauf macht.

Sie und die Therapeutin entwerfen gemeinsam einzelne Schritte. Dazu gehört zum Beispiel, dass Vogt einen späteren Bus nimmt, damit sie sich nicht unter Zeitdruck setzt. «Wir bauen die vielen kleinen Schritte in meinen Alltag ein», sagt sie. Das ist aufwendiger als erwartet. «Es braucht sehr viel Geduld und Arbeit, die gewohnten Verhaltensweisen abzulegen Corona-Zigis & Co. Wie mit schlechten Gewohnheiten aufhören? und durch die hilfreichen zu ersetzen», erzählt die 48-Jährige. «Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.»

Dabei müssen Betroffene laut Physiotherapeutin Martina Rothenbühler auch auf Rückfälle in alte Muster gefasst sein. Solche Ausrutscher gehören dazu. Kognitive Verhaltenstherapie hilft auch dabei, die Rückfälle möglichst gut aufzufangen.

Individuellen Ansatz finden

Die Schmerzpsychologie orientiert sich an den Möglichkeiten des Einzelnen – auch deshalb, weil jede und jeder unterschiedlich auf Rückenleiden reagiert. Katharina Vogt fühlt sich machtlos, andere sind wütend, wieder andere fühlen sich überfordert, gar verzweifelt. Vielen fällt es schwer, wohlwollend und besonnen mit ihrem Körper umzugehen. Ihnen können auch andere Ansätze helfen, etwa die progressive Muskelentspannung Entspannung Entspannen Sie richtig? , das Biofeedback oder die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion.

Betroffene sollten jedoch nicht erwarten, dass die Psychotherapie ihren Schmerz verschwinden lässt. «Aber ich denke, dass die Therapie mir helfen wird, mehr Kontrolle über mein Leben zurückzugewinnen», sagt Katharina Vogt.

Wo finde ich schmerzpsychologische Hilfe?

Verzeichnis von Fachpersonen mit der Qualifikation Schmerzspezialist:in SPS sowie eine Liste von Psychotherapeutinnen und -therapeuten der SIG Schmerzpsychologie: Swiss Pain Society

Zur kognitiven Verhaltenstherapie: Schweizerische Gesellschaft für kognitive Verhaltenstherapie

Zudem sind interdisziplinäre Schmerzzentren eine mögliche Anlaufstelle.

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