Liebe Leserinnen und Leser

Willkommen zu «Das war richtig wichtig». Hier ordnen wir immer freitags die wichtigsten Nachrichten der vergangenen Woche für Sie ein.

Diesmal:

  • Asylwesen: Der neue Justizminister zieht die Schraube an 
  • Heiratsstrafe: Der Bundesrat schlägt vor, Ehepartner individuell zu besteuern 
  • Polizeikontrollen: Schweiz wegen Racial Profiling vom Menschenrechtsgerichtshof gerügt

Sie können diese Nachrichtenübersicht auch als E-Mail abonnieren. Damit haben Sie «Das war richtig wichtig» jeden Freitag zur Mittagszeit im Postfach. 

Melden Sie sich doch gleich an:

Anrede

Das Zitat der Woche

Das spektakulärste Gerichtsverfahren der letzten Jahre hat diese Woche eine überraschende Wendung genommen. Sprich: Es geht praktisch von vorne los. Denn Anfang Woche wurde das Urteil gegen den ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz aufgehoben – der Prozess muss wiederholt werden. 

«Eine möglichst kurze, aber genaue Umschreibung der [dem] Beschuldigten vorgeworfenen Taten liegt nicht vor.» – Obergericht des Kantons Zürich, Beschluss vom 25. Januar 2024

Vincenz habe sich damals nicht effektiv verteidigen können, da die Anklageschrift so umfangreich und ausschweifend gewesen sei, dass er sich die konkreten angeklagten Delikte selbst habe aus der «Anklage herausschälen» müssen. Nun muss die Staatsanwaltschaft nachbessern und erneut Anklage erheben. Es dürfte Jahre dauern, bis ein neues Urteil vorliegt. Das Recht auf einen fairen Prozess steht uns allen zu. Warum manche aber mehr darauf zählen können als andere, lesen Sie hier.

Asylwesen: Der neue Justizminister zieht die Schraube an

Darum gehts: Bundesrat Beat Jans (SP) will die Asylregeln verschärfen. Damit sollen Behörden und Gemeinden entlastet werden. Menschen, die wenig Aussicht auf Asyl haben, sollten künftig überall in der Schweiz innerhalb von 24 Stunden einen (negativen) Entscheid erhalten. Auch will er kriminelle Asylbewerber härter anpacken, zum Beispiel, indem öfters und schneller Administrativhaft oder Ausschaffungshaft verordnet wird.  

Warum das wichtig ist: So viele Menschen wie schon lange nicht mehr stellen in der Schweiz ein Asylgesuch. Behörden haben Schwierigkeiten, genügend Unterkünfte für alle zu finden – mancherorts fühlen sich Teile der Bevölkerung durch Asylbewerber gestört und bedroht. Geflüchtete müssen oft lange warten, bis über ihr Gesuch entschieden wird. Deshalb ist es für alle Betroffenen wichtig, das Asylwesen so effizient wie möglich zu gestalten und die geltenden Rechte, Regeln und Gesetze durchzusetzen.  

Das sagt der Beobachter: Wenn Asylgesuche schnell bearbeitet werden, ist das in fast aller Interesse. Der Wunsch nach Effizienz darf aber nicht die Menschenrechte von Flüchtlingen aushebeln. Auch Menschen aus Ländern, aus denen gemäss Statistik kaum ein Gesuch angenommen wird, haben ein Recht darauf, dass ihre Situation ernsthaft geprüft wird. Und was bei der Diskussion um Flüchtlinge zum Beispiel oft vergessen geht: Ein Drittel der Asylgesuche in der Schweiz stammen von Kindern und Jugendlichen.

Über «Das war richtig wichtig»

Was hat die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher gemacht? Und wo gings eher rückwärts? Wo weiterlesen, wenn Sie es genauer wissen möchten? Wir liefern Ihnen immer freitagmittags drei bis vier wirklich wichtige Nachrichten – kompakt, verständlich und mit Haltung aufgeschrieben. Auch als E-Mail abonnierbar.

Heiratsstrafe: Der Bundesrat schlägt vor, Ehepartner individuell zu besteuern

Darum gehts: Diese Woche hat der Bundesrat seine Botschaft zur Einführung der Individualbesteuerung verabschiedet. Und fordert das Parlament auf, sie per Gesetz einzuführen. Damit sei man schneller am Ziel, als wenn zuerst über eine entsprechende Initiative der FDP-Frauen abgestimmt werden müsste.

Warum das wichtig ist: Die sogenannte «Heiratsstrafe» ist eins der verzwicktesten und ältesten politischen Probleme der Schweiz. Sobald man heiratet oder eine eingetragene Partnerschaft eingeht, versteuert man sein Einkommen nicht mehr separat, sondern gemeinsam. Wegen der Progression führt das dazu, dass viele Paare mehr bezahlen müssen als Konkubinatspartner. Das ist einerseits offensichtlich ungerecht. Andererseits ist es sehr teuer, das System zu ändern. Würde die Individualbesteuerung morgen eingeführt, würde der Bund rund eine Milliarde weniger Steuern einnehmen

Das sagt der Beobachter: Zig Anläufe im Parlament und per Volksbegehren sind schon gescheitert. Jetzt ist es so gut wie sicher, dass die Individualbesteuerung kommt. Auf den ersten Blick ist das ein guter Schritt. Auf den zweiten wird es – wie so oft – im Detail kompliziert. Ehepartner, die beide etwa gleich viel verdienen, dürften entlastet werden. Ehepaare mit nur einem Einkommen und Kindern müssen tendenziell mehr bezahlen. Aber unter dem Strich: Die Schweiz wird gerechter.

Polizeikontrollen: Schweiz wegen Racial Profiling vom Menschenrechtsgerichtshof gerügt

Darum gehts: Eine Personenkontrolle der Zürcher Stadtpolizei sei diskriminierend gewesen, urteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Geklagt hatte ein Schweizer mit kenianischen Wurzeln. 2015 forderte ihn die Polizei am Zürcher Bahnhof auf, sich auszuweisen – ohne ersichtlichen Grund. Er weigerte sich, wofür er eine Busse erhielt. Dagegen wehrte er sich und machte geltend, er sei lediglich wegen seiner Hautfarbe kontrolliert worden. Verschiedene Schweizer Gerichte, zuletzt das Bundesgericht, verneinten dies. Der EGMR hingegen gab dem Mann nun recht.

Warum das wichtig ist: Das Urteil des EGMR ist eine Rüge an die Schweizer Polizei und die Schweizer Gerichte. Erstens hält es fest, dass hier tatsächlich ein Fall von Racial Profiling vorliegt, was Polizei und Gerichte bestritten hatten. Zweitens haben die Gerichte den Vorwurf der Diskriminierung nicht ausreichend geprüft, obwohl sie das gemäss Schweizer Recht eigentlich müssen. Drittens fehlt in der Schweiz ein Rechtsmittel, das Betroffenen ermöglicht, sich gegen Diskriminierung, insbesondere Racial Profiling, zu wehren.       

Das sagt der Beobachter: Die Polizei und die Gerichte in der Schweiz müssen ihre Praxis hinterfragen und ändern. Verschiedene Polizeikorps haben seit dem Vorfall von 2015 bereits konkrete Schritte unternommen. So müssen Polizistinnen und Polizisten heute den Betroffenen mitteilen, warum sie kontrolliert werden, und die Kontrollen protokollieren. Jetzt müssen sich aber auch die Gerichte dem Thema Racial Profiling ernsthaft annehmen. Wie es sich anfühlt, immer und immer wieder auf die Hautfarbe reduziert zu werden, haben uns drei junge Schweizerinnen mit dunkler Haut erzählt – witzig und differenziert.

Zum Abschluss ein Blick nach Grossbritannien. Dort befindet das höchste Gericht des Landes gerade über die Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA. Wird er überstellt, wird er dort sehr wahrscheinlich den Rest seines Lebens in Hochsicherheitshaft verbringen. Das hat mehr mit der Schweiz zu tun, als einem lieb sein sollte, schreibt unser Redaktor Balz Ruchti in einem Kommentar.

Geschrieben haben diesen Überblick diesmal Raphael Brunner und Oliver Fuchs.

Bis nächste Woche. Wir bleiben für Sie dran.