Beriwan C.* lacht. «Was? Ein Liebespaar? Nein, das waren wir nie. Das geht doch gar nicht! Wo ich herkomme, können junge Leute nicht einfach so als Paar zusammen sein.» Die 30-jährige Türkin trägt ihr dunkles Haar unverhüllt. Ihre Augen funkeln, wenn sie spricht.

Ihren Ehemann hat die Familie ausgesucht. Sie kannte ihn kaum, er lebte mit seinen Eltern seit vielen Jahren in der Schweiz. Sicher sei er weniger traditionell eingestellt als die Männer in ihrem Dorf, dachte Beriwan C. damals. Also heiratete sie ihn. Und stellte schnell fest, dass sie falsch lag.

Fern der Heimat wurden die traditionellen Werte erst recht hochgehalten. Beriwan C. konnte keinen Schritt allein gehen. Wen sie besuchen durfte, mit wem Kaffee trinken, wo einkaufen – all das bestimmte die Familie ihres Mannes. Die Schläge und Drohungen, die zu ihrem Schweizer Alltag gehörten, erwähnt sie fast beiläufig. «Die ständige Kontrolle über jede meiner Bewegungen war schlimmer.»

Nach zwei Jahren «wie im Gefängnis» flüchtete Beriwan C. ins Zürcher Frauenhaus. Von dort ging sie nicht mehr zurück zu ihrem Mann. Selbstverständlich war das nicht. Als sie floh, sprach sie kein Wort Deutsch, hatte keine Ausbildung, keine Wohnung, keine Ahnung, was aus ihr werden sollte – und ein kleines Kind im Arm. «Aber ich wollte nicht mehr in diese Familie. Mein Sohn soll nicht so aufwachsen.»

Expertinnen gegen die Gewaltspirale

Viele Frauen in ähnlichen Situationen schaffen es nicht, sich dauerhaft von ihrem Mann zu trennen. Jede vierte geht nach dem Austritt aus dem Frauenhaus sogar direkt zum gewalttätigen Partner zurück. Wegen der Kinder, weil er ihr das Blaue vom Himmel verspricht, weil die Familie sie drängt. Oder aus purer Not, weil sie nicht weiss, wie sie es allein schaffen soll.

Im besten Fall geht das eine Weile gut. Doch meist beginnt sich die Gewaltspirale wieder zu drehen. Bis zum nächsten Gewaltausbruch dauert es nicht lange. «Die meisten Frauen kommen erst zu uns, wenn sie schon jahrelang gelitten haben», sagt Ilona Swoboda, Co-Leiterin des Frauenhauses Winterthur. «Die Gewaltmuster haben sich in diesen Beziehungen verfestigt und lösen sich nicht in Luft auf nach einer kurzen Auszeit.» 

Andrea Wechlin, die seit 20 Jahren im Frauenhaus Luzern arbeitet, bestätigt: «Ich kenne vielleicht vier Frauen, die es mit externer Hilfe geschafft haben, eine zufriedenstellende Beziehung mit dem Mann zu führen, vor dem sie geflüchtet sind.» Oft aber komme es zum sogenannten Drehtüreffekt: Die Frauen gehen zum Partner zurück – und landen schon bald wieder im Frauenhaus. Jede vierte Bewohnerin ist nicht zum ersten Mal dort.

«Die meisten Frauen kommen erst zu uns, wenn sie schon jahrelang gelitten haben.»

 

Ilona Swoboda, Frauenhaus Winterthur

«Frauenhäuser allein sind nicht nachhaltig», sagt daher Susan A. Peter, Geschäftsführerin der Stiftung Frauenhaus Zürich. «Die kurze Zeit in der Kriseninstitution reicht schlicht nicht aus, um das ganze Leben neu aufzubauen.» 

Eine Trennung zieht meist einen ganzen Rattenschwanz an Problemen nach sich. Wohnungssuche, manchmal Eheschutzverfahren, Regelung des Besuchsrechts, Strafverfahren gegen den Ex-Partner, Kampf um die Aufenthaltsbewilligung. Es sind Herkulesaufgaben, selbst für sprachgewandte, gut integrierte und psychisch stabile Frauen. Und das sind die wenigsten, die in ein Frauenhaus fliehen. 

Die meisten Frauen stammen aus einem anderen Kulturkreis und sind sozial isoliert, entweder durch ihren Schweizer Ehemann oder wie Beriwan C. durch die Familie ihres Mannes. Schweizerinnen erleben gemäss Statistik zwar genauso häufig häusliche Gewalt, sind aber besser vernetzt. Sie finden Unterschlupf bei Bekannten, im Hotel oder nutzen ambulante Angebote. Sie flüchten deshalb seltener in ein Frauenhaus.

Der Spardruck erschwert die Lage

Dort sind die Probleme umso komplexer. Die Situation vieler Frauen hat sich in letzter Zeit noch verschärft, weil sie kein Geld erhalten. In den meisten Kantonen bezahlt die Opferhilfe die ersten 21 Tage im Frauenhaus. Danach braucht es eine Kostengutsprache der Gemeinde, meist via Sozialamt. 

Weil viele Gemeinden sparen, werde es für die Frauen immer schwieriger, finanzielle Unterstützung zu erhalten, heisst es in den Frauenhäusern. Sei eine Frau nicht mehr akut gefährdet, lehnten die Ämter immer öfter ab. «Unsere Mitarbeiterinnen verbringen sehr viel Zeit damit, mit Sozialämtern um Geld zu feilschen. Diese Zeit fehlt für die Betreuung der Klientinnen», sagt Susan A. Peter. In Zürich beträgt die durchschnittliche Verweildauer gerade einmal 21 Tage.

Es gibt auch Frauenhäuser, die nicht fallbezogen finanziert sind, sondern mit Globalbudgets arbeiten. Dort können Frauen, die mehr Zeit benötigen, auch länger bleiben – teilweise mehrere Monate. Ideal ist das aber nicht: Sie belegen Plätze, die dann für akut gefährdete Frauen fehlen.

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Es mangelt an Anschlusslösungen, wie schon vor drei Jahren eine Studie im Auftrag der Sozialdirektorenkonferenz festhielt. Das Problem beim Drehtüreffekt: Der Aufenthalt im Frauenhaus ist wegen der hohen Sicherheitsanforderungen und des 24-Stunden-Betriebs teuer. Frauen, die nicht unmittelbar in Gefahr sind, brauchen das aber gar nicht. «Eigentlich müsste der Staat in Angebote für die Zeit nach dem Austritt investieren. Langfristig ist das für die öffentliche Hand günstiger», sagt Susan A. Peter.

Eigene Wohnung – aber nur auf Zeit

Verschiedene Frauenhäuser haben deshalb eigene Nachbetreuungsprojekte ins Leben gerufen – teils finanziert über Spenden. In Winterthur etwa unterstützt das Frauenhaus Betroffene auch bei der Wohnungssuche und besucht sie einmal pro Woche zu Hause, um aktuelle Fragen zu besprechen. Daneben gibt es auch ein ambulantes Beratungsangebot sowie Gruppentreffen im Frauenhaus. 

Die Frauenhäuser in Bern und Thun arbeiten mit Terre des Femmes Schweiz zusammen. Der Verein bietet derzeit drei Wohnungen für Frauen, die aus dem Frauenhaus kommen. Sie können dort maximal zwei Jahre wohnen – und von einem wöchentlichen Beratungsangebot in Gehdistanz profitieren. Auch in Luzern werden Frauen unterstützt, die nicht zum Partner zurückkehren. Je nach Bedarf kommt eine Beraterin regelmässig zu ihnen nach Hause, oder sie treffen sie im Frauenhaus.

«Eigentlich müsste der Staat in Angebote für die Zeit nach dem Frauenhaus investieren.»

 

Susan A. Peter, Stiftung Frauenhaus Zürich

Die Stiftung Frauenhaus Zürich betreibt neu eine stationäre Nachbetreuung für Frauen direkt nach dem Aufenthalt im Frauenhaus. Jeweils zwei oder drei Frauen mit Kindern teilen sich eine Fünfzimmerwohnung. Im Dachstock über den zwei Wohnungen befindet sich ein Büro für zwei Mitarbeiterinnen. Sie stehen den Klientinnen bei Bedarf zur Seite. Und der ist gross: «Viele Frauen haben ein geringes Selbstwertgefühl, können nicht eigenständig leben. Sie durften nicht arbeiten, nicht Deutsch lernen, bei finanziellen Dingen nicht mitbestimmen. Sie haben zum Beispiel noch nie einen Einzahlungsschein ausgefüllt», sagt Beraterin Karin Greub.

«Ich bin auch jemand»

Beriwan C. rückt die Brille zurecht, sieht sich im Wohnzimmer um und lächelt zufrieden. Seit knapp zwei Monaten lebt sie mit ihrem dreijährigen Sohn allein. In einer Übergangswohnung des Frauenhauses, wo sie ein Jahr bleiben kann – aber Beriwan C. steht nun auf eigenen Füssen. 

Beriwan C. war eine der Ersten, die in die Zürcher Nachbetreuungs-WG aufgenommen wurden. «Für mich war es eine Lebensschule. Erst dort habe ich gelernt, dass ich auch jemand bin, dass ich Träume und Ziele haben und umsetzen kann.»

Einfach wird es nicht: Beriwan C.s Ex-Mann hat Mietschulden angehäuft, die auch in ihrem Betreibungsregister stehen. Als Nächstes will sie an einem Beschäftigungsprogramm teilnehmen – ein erster Schritt, um von der Sozialhilfe wegzukommen.

 

*Name der Redaktion bekannt