Die nächsten hundert Tage werden für Markus Weissenberger wohl die härtesten seines Lebens sein. Mit seinem selbst gebauten Segelschiff «Nina-Soraya» will der Zürcher Oberländer dort segeln, wo es am schwierigsten und gefährlichsten ist: im unberechenbaren Südpolarmeer. Sein Ziel ist es, von Kapstadt aus die ganze Antarktis zu umsegeln – und zwar allein. Mindestens 26 000 Kilometer lang wird die einsame Reise im Zweimaster sein, vielleicht auch länger. «Eine Schönwettertour wird es sicher nicht», sagt der Abenteurer. Am 30. November will er starten.

Das Südpolarmeer gilt als härtestes Segelrevier der Welt. Etwa alle 48 Stunden zieht ein Tiefdruckgebiet durch, das meist viel Wind und Wolken bringt. Die Wellen können sich bis zehn Meter hoch auftürmen, und auch mit manchem Schneesturm ist zu rechnen. Ein einziger Fehler kann sich fatal auswirken: «Bei zu viel Wind und zu grossem Segel kann das Schiff durchaus kentern», sagt der Extremsportler. Trotzdem reize es ihn, dort zu segeln, wo es fast niemand mehr tue. «Die Umrundung der Antarktis ist eines der letzten grossen Abenteuer, die man auf der Erde noch machen kann». Er sei seines Wissens der erste, der diesen harten Segeltörn allein mit einem Zweimaster versuche.

Gerüstet für dieses «letzte Abenteuer» ist Markus Weissenberger: Er ist gelernter Bootsbauer, glänzte früher als Wildwasserfahrer und hat auch als Segler schon unzählige Seemeilen hinter sich. Mit seiner «Nina-Soraya» bewältigte er allein letztes Jahr über 15 000 Seemeilen, ein Teil davon war die Überführung des Schiffs von Basel bis nach Kapstadt. Ein erster Versuch, den Südpol zu umsegeln, scheiterte letztes Jahr allerdings – schon nach zwei Tagen musste er umkehren, weil der Baum aufgrund eines Materialfehlers gebrochen war.

Nun aber soll es endlich klappen. Die 18 Meter lange und 24 Tonnen schwere Yacht ist repariert, Essen und Trinkwasser verstaut und der Tank mit 1700 Litern Diesel gefüllt – was gerade mal für 12 windfreie Tage reicht. Für die Kommunikation stehen zwei Systeme zur Verfügung, ein Satellitentelefon und ein Laptop mit Satellitenverbindung ins Internet. Und im Notfall nimmt das Schiff über ein weiteres System automatisch mit der REGA in Kloten Kontakt auf, damit diese die nahen Schiffe alarmieren kann.

Quelle: Markus Weissenberger
Nur kurze Power-Naps

Neben viel Mut und Können wird Weissenberger aber auch dieses Mal einiges an Glück gut gebrauchen können. Denn neben den Stürmen drohen einige anderen Gefahren: Eisberge, andere Schiffe und auch Wale oder herumtreibende Container können mit der Yacht zusammenstossen. Deshalb wird der Extremsegler in den nächsten hundert Tagen nie lange am Stück schlafen können. «Ich muss mir alle 45 Minuten einen Rundumblick verschaffen, um die Gefahren, die Position und das Wetter abschätzen zu können», erklärt Weissenberger. Am wichtigsten sei es, nicht ins Packeis zu geraten, deshalb umsegle er die Antarktis grossräumig. «Pinguine werde ich wohl leider keine sehen».

Den genauen Standort und einige Wetterdaten wird Weissenberger jeden Tag in sein Logbuch im Internet übertragen, damit seine Familie und seine Freunde wissen, wo er ist und wie es ihm geht. «Meine Freundin und meine Familie trauen mir den Trip zwar zu, aber sie leiden schon mit», gesteht er. «Ich denke, es wird nicht nur bei mir die eine oder andere schlaflose Nacht geben».

Markus Weissenberger berichtete jede Woche exklusiv für BeobachterNatur über seine Erlebnisse auf hoher See. Lesen Sie nachfolgend sein Tagebuch.

27. November 2009: Letzte Vorbereitungen in Kapstadt

Ich bin am 3. November nach Kapstadt geflogen und war gespannt wie es meinem Schiff Nina-Soraya geht. Nina-Soraya lag während fast 11 Monaten in Südafrika und wartete darauf, wieder mit mir durch die Wellen zu pflügen. Ich war sehr erleichtert, als ich auf dem Schiff ankam und alles in bester Ordnung vorfand. Leider war das Wetter nicht so wie ich es erwartet hatte. Eigentlich sollte es sommerlich heiss und trocken sein. Doch in den ersten zwei Wochen hatten wir Regen und grau in grau. Ich musste trotz des schlechten Wetters an meinem Schiff arbeiten. Drei Wochen später war Nina-Soraya wieder startklar. Ich musste alle Leinen in die Masten ziehen und die Segel neu montieren. Auch viele kleine Tests mussten durchgeführt werden. Ich nahm den Herd, Backofen, Hauptmotor, Generator und vieles mehr wieder in Betrieb. Leider waren einige kleinere Komponenten defekt. Diese zu ersetzen war nicht ganz einfach. In Kapstadt läuft alles etwas langsamer und gemächlicher als in der Schweiz. Somit brauchte ich etwas Geduld. Diese zahlte sich jedoch aus, und am Schluss arbeiteten alle Systeme zu meiner vollsten Zufriedenheit. Nun steht dem Ziel, Ende November zu starten, nichts mehr im Weg.

In den letzten Tagen vor meinem Start machte ich mir noch einmal viele Gedanken über mein Vorhaben. Ich bin gut vorbereitet und bin mir auch sicher, dass ich weiss was ich da vor mir habe. Doch der Reiz des Ungewissen und der Drang nach Abenteuer sind gross.

Tägliches Logbuch: www.project-antarctica.ch

Quelle: Markus Weissenberger
4. Dezember 2009: Start und Rückkehr

Eigentlich wollte ich am 1. Dezember starten. Das war ein Montag, und es bringt sowieso Glück wenn man eine Seereise an einem Montag antritt und nicht am Wochenende. Das meinte zumindest eine südafrikanische Kollegin, als ich mich von ihr verabschiedete. Gegen Mittag hatte ich alle Zoll- und Immigrationsformalitäten erledigt und wollte am frühen Nachmittag losfahren. Nach dem Mittag bekam ich einen Anruf, dass der Regler für den Windgenerator da sei. Somit verschob ich den Start auf den nächsten Morgen.

Ich war guter Dinge, als ich mit Nina-Soraya am frühen Morgen unter der Hebebrücke hindurchfuhr und mit ihr den sicheren Hafen verliess. Bei den zwei Testfahrten schien alles in Ordnung zu sein und alle Systeme arbeiteten gut. Das war auch an diesem Morgen so. Anfangs hatte ich nicht viel Wind. Als es dann doch 10 Knoten waren, setzte ich die ersten Segel und hatte wieder einmal das Gefühl von voller Freiheit.

Der Wind wurde allerdings immer stärker und ich raffte schon bald die Segel. Bei 35 – 40 Knoten (Beaufort 8) war es schon ein ruppiger Start. Ich war nach so einer langen Zeit auf dem Land nicht mehr seefest und fühlte mich übel und unwohl. Auch der Hunger blieb aus.
Als ich bei der periodischen Kontrolle das Ruder und die hydraulischen Pumpen genauer ansah, erstarrte ich und staunte nicht schlecht: Die Unterkonstruktion  des Ruderbockes hatte Spiel und bewegte sich bei jeder Ruderbewegung einen Zentimeter. Als ich das länger beobachtete war mir schnell klar, dass das nicht während drei Monaten halten würde, und ich entschloss mich daher, wieder zurück Richtung Kapstadt zu segeln. Nach dem Eindunkeln lag Nina-Soraya wieder im Hafen fest. Ich musste bei viel Seitenwind anlegen und war froh, dass mein Bugstrahlruder wieder arbeitete. Am nächsten Morgen traf ich die nötigen Abklärungen.

5. Dezember 2009: Logbuch-Eintrag

Die Reparaturen sind abgeschlossen und heute wurde alles getestet und neu programmiert. Es funktionierte zu meiner Zufriedenheit! Die neu eingeschweisste Platte wirkt sehr vertrauenerweckend. Ich starte am Montag zum zweiten Mal... Nach dem Motto: Im Leben wird nur das bereut, was man nicht gemacht hat.

Quelle: Markus Weissenberger
12. Dezember 2009: Eine Woche auf See

Nachdem der Ruderbock neu geschweisst war und die 8 Millimeter dicke Grundplatte durch eine 20 Millimeter-Platte ersetzt wurde, strahlte diese Konstruktion auch für mich wieder Vertrauen aus. Ich war froh, dass sich der Ruderbock so reparieren liess und ich mein Schiff «Nina-Soraya» nicht aus dem Wasser nehmen musste. Auch wenn diese ungeplante Reparatur ein grosses Loch in meine Bordkasse frass.

Ich beschloss nach dieser anstrengenden Woche, am Sonntag einen Tag lang zu relaxen und ging frühmorgens am Fusse des Table Mountain wandern. Die Natur tat mir gut und ich konnte die Energiereserven wieder füllen.
Am Montag stach ich dann wieder in See. Der Wind blies jetzt von Nordwesten, was optimal für mich war. Dass der Wind relativ schwach war, war gar nicht so schlecht, denn so konnte ich mich langsam an das Leben an Bord gewöhnen. Allerdings waren die Schiffsbewegungen mit wenig Wind ganz anders als ich es beim letzten Start erlebt hatte, und die langsamen Schwankungen machten meinem Magen und meinem Gleichgewichtssinn zu schaffen. Ich hatte keinen Appetit und auch keine Lust zu kochen. Doch ich brauchte die Energie und zwang mich Tag für Tag, meine Mahlzeiten zu mir zu nehmen. Richtig seekrank wurde ich zum Glück nie.

Auch an den folgenden Tagen gab es nicht allzu viel Wind, und ich begann mich nach einem Wind zu sehnen, der mich schnell vorwärts bringen würde. Es fällt auch mir manchmal schwer, wenn es nicht so läuft, wie ich es mir wünsche. Doch ich nutzte die Zeit und machte am Generator einen Service, der alle 100 Stunden fällig ist. Auch die neuen Fischköder auszuprobieren, machte mächtig Spass. Doch es biss nichts an. Am Samstag kam dann endlich mehr Wind auf. Ich bin gespannt, was die Geister, die ich rief, noch bringen werden.

Quelle: Markus Weissenberger
20. Dezember 2009: Ein Sturm, wie ich ihn noch nie hatte

Die Geister, die ich rief, kamen ganz plötzlich und unerwartet stark. In den Wetterberichten wurde von 20 bis 30 Knoten Wind gesprochen und somit war ich auch auf das eingestellt. In der Nacht von Samstag auf Sonntag so gegen drei Uhr ging es dann richtig los. Der Wind wurde immer stärker und ich war mit dem Bergen der Segel und mit Trimmen beschäftigt. Es war stockfinstere Nacht und somit auch nicht so einfach zu arbeiten auf dem Schiff. Auch die Wellen wurden immer höher und mir wurde schnell bewusst, dass ich mich in einem richtigen Sturm befand. Als sich die Winde dann zu einem Orkan mit mehr als 70 Knoten Wind entwickelte und auch die Wellen immer höher und grösser wurden, entschloss ich mich, für den Moment mit dem Wind zu gehen und die Segel ganz einzuholen. Als ich das Grosssegel ganz bergen wollte, hörte ich ein merkwürdiges Geräusch. Das Segel schlug und flatterte zu fest. Ich beleuchtete das Deck und sah, dass im obersten Bereich ein Schaden entstanden war. Auch die schwere Genua (das grösste Segel, die Red.) war nur noch ein kleines Stück gesetzt. Doch auch sie hielt der grossen Belastung nicht stand und riss am Achterleek ein.
Jetzt waren die Wellen schon so hoch wie Einfamilienhäuser. Ich entschied mich den Sturm abzuwittern (abzuwarten, die Red.) und die Schäden später zu begutachten. Ich war froh, als der Morgen anbrach. Nina-Soraya wurde von allen Seiten überspült, doch das Schiff schlug sich sehr gut in den extremen Bedingungen.

Als ich dann die Schäden begutachtete, war für mich klar, dass ich ohne Genua und ohne Grosssegel nicht mehr weitersegeln konnte. Beim Grosssegel waren die obersten fünf Mastrutscher gebrochen und die Genua war so zerrissen, dass ich sie auf See nicht mehr reparieren konnte. Ich entschloss mich daher umzukehren.

Gegen Ende der Woche war ich wieder in Kapstadt. Hier erfuhr ich mehr über das extreme Sturmtief, das auch in Südafrika seine Spuren hinterlassen hatte. Einige Marinas wurden stark beschädigt und es waren sogar Schiffe im Hafen gesunken. Die Messwerte lagen über 90 Knoten Wind (150km/h) in der Marina. Es war ein aussergewöhnlich starker Orkan mit erstaunlichen Kräften.

Ob ich noch einmal starten kann, kann ich derzeit noch nicht sagen.

22. Dezember 2009: Projekt gescheitert

Leider ist es nicht möglich, in nützlicher Zeit Ersatzsegel anfertigen zu lassen oder die Schäden zu reparieren. Die Anschaffung von neuen Segeln liegt leider nicht in meiner finanziellen Möglichkeit.

Somit geht es nicht mehr weiter. Ich werde im Januar in die Schweiz zurückkehren.