«Aufgrund der Ereignisse sind wir der Überzeugung, dass das für uns sehr wichtige Vertrauensverhältnis zwischen der Unternehmung und Ihnen als Arbeitnehmer nachhaltig gestört ist.» Das schrieb der Leiter des Kernkraftwerks Gösgen SO an den Anlageoperateur Fritz Fehr, der 24 Jahre lang als loyaler und hervorragend qualifizierter Mitarbeiter gegolten hatte. «Wir sehen uns deshalb veranlasst, Sie von Ihren arbeitsvertraglichen Pflichten per sofort freizustellen.» Was hatte der damals 62-jährige Fehr verbrochen? «Ich habe meine Pensionskassenbeiträge eingefordert, die mir gemäss einem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zustehen», erklärt er. «Nur weil ich mein gutes Recht einklagte, wurde ich freigestellt. Das kann doch nicht sein», empört sich Fehr, der trotz allem ein Fan der Kernenergie geblieben ist.

Der Konflikt begann im Juni 2004. Damals entschied das Eidgenössische Versicherungsgericht auf Klage von zwei ehemaligen Gösgen-Angestellten, dass das Kernkraftwerk nicht nur für den Lohn, sondern auch für Zulagen wie Schicht- oder Wegentschädigungen Pensionskassenbeiträge zahlen müsse. Das gab allen 400 Mitarbeitern das Recht, zusätzliche Pensionskassenbeiträge bis fünf Jahre zurück einzufordern. Absehbare Kosten: mehrere Millionen Franken – theoretisch. Denn «nach diesem Urteil teilte uns die Geschäftsleitung mit, dass sie jeden sofort freistelle, der seine Pensionskassenbeiträge einklage», sagt Fritz Fehr.

Eine paritätische Kommission aus zehn Personen entschied zudem, dass die Schichtzulagen auch in Zukunft nicht der Pensionskassenpflicht unterstellt würden. Dumm nur, dass in dieser Kommission lediglich zwei Mitglieder sassen, die Schicht arbeiteten. «Das empfand der überwiegende Teil der 115 Schichtangestellten als Geringschätzung ihrer Arbeit», so Fehr. Die Stimmung sei unter den Betroffenen so schlecht gewesen, dass er um die Sicherheit des Kernkraftwerks gefürchtet habe. Deshalb verlangte er eine Unterredung mit der Unternehmensleitung, doch diese war nicht von ihrer Haltung abzubringen. Darauf reichte Fehr Klage ein und forderte seine Pensionskassenbeiträge. Die Antwort der Geschäftsleitung kam prompt: Der treue Mitarbeiter wurde freigestellt.

Die Kraftwerkleitung dementiert
«Wir haben Herrn Fehr nicht freigestellt, weil er Klage eingereicht hat», sagt Kraftwerkleiter Kurt Kohler. Zusammen mit Personalchef Willy Liner, Betriebsleiter Hans-Ulrich Beutler, Reaktoroperateur Markus Ruzicka und Kommunikationschef Konstantin Bachmann empfängt er den Beobachter-Redaktor im Sitzungszimmer des Besucherpavillons in Gösgen. «Dass wir einen Mitarbeiter freistellen würden, der Klage einreicht, habe ich nie gesagt. Jeder Mitarbeiter darf klagen. Das ist sein gutes Recht», betont Kurt Kohler. «Herr Fehr hat uns aber mit Forderungen unter Druck gesetzt, war nicht mehr zugänglich für Argumente, sein Handeln unverständlich, und im Verlauf mehrerer langer Gespräche wurde das Vertrauensverhältnis so gestört, dass eine Freistellung unumgänglich war», meint der Kraftwerkleiter.

Wie aber konnte Fehr seinen Arbeitgeber unter Druck setzen, wenn jeder Mitarbeiter seine Rechte einklagen darf? «Mit Forderungen nach frühzeitiger Pensionierung und Ähnlichem», sagt Personalchef Willy Liner. Muss sich ein Arbeitgeber dadurch unter Druck gesetzt fühlen? Betriebsleiter Hans-Ulrich Beutler nennt ein Beispiel für Fehrs angeblich unverständliches Verhalten: «Wir hatten mit Fehr eine Lösung ausgehandelt und abgemacht, dass er seine Klage zurückziehe. Zwei Tage später teilte er mit, dass er seine Klage nun doch nicht rückgängig mache.»

So unverständlich ist das nicht. Vielmehr stellt sich die Frage: Wieso verzichten 399 Mitarbeiter auf eine fünfstellige Summe, die ihnen höchstrichterlich zusteht? «Für mich ist das eine Frage der Ethik», sagt Betriebsleiter Beutler. «Wir alle wussten immer, dass die Zulagen nicht versichert sind. Deshalb klage ich meine Pensionskassenbeiträge auch nicht ein.»

Mitarbeiter bestätigen Fehrs Sicht
Bei Mitarbeitern, die noch im Kernkraftwerk arbeiten, tönt es anders: «An Fritz Fehr wurde ein Exempel statuiert. Jetzt sind alle Angestellten mundtot, und keiner traut sich, sein Recht einzuklagen, obwohl es einige vorhatten», meint einer.

Ein anderer wird sogar noch deutlicher: «Als Betriebsleiter Beutler über Fehrs Freistellung orientierte, sagte er offen, dass Fehr freigestellt wurde, weil er gegen das Kernkraftwerk geklagt hatte. Dass freigestellt wird, wer klagt, das haben Kraftwerkleiter Kohler, Personalchef Liner und Betriebsleiter Beutler auch schon vor Fehrs Entlassung angedroht. Das war hier allen klar.»