Mit bis zu 1000 Bar prasselt das Wasser auf den Beton. Zermürbt die harte, graue Substanz, bis sie in grossen und kleinen Brocken das Gerippe freigibt. Fast filigran wirken die Armierungseisen, die das Gerüst der 180 Meter langen Brücke bilden. Jetten heisst dieser Vorgang im Fachjargon. Das Bauwerk, dem hier zu Leibe gerückt wird, ist die Limmatbrücke der A1 zwischen Spreitenbach und Wettingen im Aargau.

Wie eine Dampfwolke hängt zerstäubtes Wasser in der Luft, das schon von weit her zu sehen ist. Eine Plastikplane verhindert, dass das unter Höchstdruck abgetragene Abbruchmaterial den Arbeitern um die Ohren fliegt. Der Lärm ist ohrenbetäubend, vermag sogar, das konstante Grollen und Rauschen des nie versiegenden Verkehrsstroms zu übertönen. Die Belastung liegt bei durchschnittlich 90 Dezibel - ab 80 besteht Gefahr fürs Gehör. Verbale Kommunikation kommt, auch ohne Maschinenlärm, nur brüllend zustande.

Sorgen um ihr Gehör scheinen sich die Arbeiter nicht zu machen. «Man gewöhnt sich daran», sagt Pedro Viktor aus Angola. Der 25-Jährige trägt wie fast alle keinen Gehörschutz. Auch Polier Paul Schlumpf, seit 1972 im Strassenbau, kümmern weder Lärm noch Autoabgase: «Bei der letzten Suva-Kontrolle war alles okay», meint er lapidar. Währenddessen geht einer der Männer in einem Graben hin und her und wuchtet den so genannten Plattenvibrator durch den Kanal. Die Maschine hämmert zwecks Verdichtung auf die Erde und macht einen diabolischen Krach. Die Luft ist staubgeschwängert.

Unter dem Asphalt die Natur
Der Strassen- und Brückenbau ist eine Welt der grossen Zahlen. Schon nur der Belag: Eine Tonne belastet das Bundesportemonnaie mit 150 (Walzbelag) bis 380 Franken (Gussbelag) - der Kubikmeter wiegt 2,4 Tonnen. Wird er zehn Zentimeter dick aufgetragen, wiegt er also nach Adam Riese 240 Kilogramm pro Quadratmeter. Insgesamt 90’000 Tonnen der anthrazitfarbenen Masse werden auf dieser Autobahnteilstrecke erneuert.

Auch Abbruch kostet: Einen Kubikmeter Beton abtragen verschlingt 1800 Franken. Und erwischen die Arbeiter versehentlich eines der entlang der Autobahn verlegten Glasfaserkabel, entsteht ein Schaden von einer halben Million Franken. Insgesamt schlägt die Renovation der sechs Kilometer langen Baustelle Limmattal A1 mit voraussichtlich 129 Millionen Franken zu Buche. Allein für Umweltschutzmassnahmen werden elf Millionen ausgegeben.

Und das ist dringend nötig. Unter den Brücken, wo der Furtbach in die Limmat fliesst, kämpft die Natur um den ihr verbleibenden Restcharme. Weiter aufwärts, in einer Flussbiege, hat der lokale Fischerverein sein fast idyllisch gelegenes Vereinslokal. Lauschige Wiesen und die träge dahinfliessende Limmat bilden den näheren, die Autobahnbrücke und die Eisenbahn im Rücken den weiteren Rahmen. Den Hechten und Äschen, die hier schwimmen, wird die Sanierung der Autobahn zugute kommen: Die mit Schwermetallen, Öl- und Benzinrückständen verunreinigten Abwässer der Autobahn flossen bislang ungefiltert in die Limmat. Jetzt werden Auffangbecken gebaut, die dem Fluss dereinst gereinigtes Wasser zuführen.

Raser und Bekiffte
Oben, über der Scheinidylle, heisst die grösste Gefahr für Leib und Leben der Arbeiter: Verkehrsteilnehmer. Mobiltelefonierende, Übermüdete, Unkonzentrierte, Nahauffahrer, Rechtsüberholer, Bekiffte, Betrunkene, Verärgerte, Überforderte, Raser - sie alle sind potenzielle Bedrohungen für die Männer vom Trassee. Teilweise gerade mal einen Meter neben Pedro Viktor und Co. brettert der Verkehr durch, rollen Lastwagen mit 80 Kilometern pro Stunde und oft mehr vorbei. Teils einziger Schutz sind die Warnbaken. Alle 20 bis 30 Meter stehen die rot-weiss gestreiften Elemente und signalisieren: «Hier hast du, Verkehrsteilnehmer, nichts verloren.»

Laut Statistik der Aargauer Kantonspolizei hat es seit Beginn der Arbeiten im Herbst letzten Jahres bis zum 6. Mai schon 95 Unfälle gegeben. Schadenssumme: knapp 600’000 Franken. Streifkollisionen mit geringem Sachschaden, etwa abgefahrene Seitenspiegel, machen das Gros aus. Von schlimmen Kollisionen blieben die Aargauer bis jetzt verschont.

Zu den 15 Verletzten der Statistik gehört keiner von der Bautruppe. Nicht immer haben die Arbeiter so viel Glück, nicht immer bieten Warnbaken, Gummihüte und Stellwände genügend Schutz. Es gab auch schon Tote. Doch die Arbeiter wiegeln ab. Es ist ihr Job, und sie sind froh, einen zu haben. «Angst hier auf der Autobahn?», brüllt ein Hüne gegen den Lärm an und grinst: «Angst hab ich nur vor den Frauen.» Einzig Andreas Pfister, der zum ersten Mal im Einsatz auf der Autobahn ist, mag zugeben: «Es ist schon ein mulmiges Gefühl mit dem Verkehr im Rücken.»

Auch die Zufahrt zu den Baustellen birgt grosse Gefahr, vor allem für die Lastwagen, die einen langen Bremsweg haben. Wollen sie die Baustelle wieder verlassen, müssen sie manchmal eine halbe Stunde auf eine genügend grosse Lücke warten, da sie nur langsam beschleunigen können. Gefährlich ist der Job für alle. Am risikoreichsten aber leben die Unterhaltsarbeiter des Kantons. Allein in den letzten fünf Jahren wurden im Aargau auf Nationalstrassen sieben der insgesamt 48 Arbeiter durch Verkehrsteilnehmer verletzt - zwei davon schwer. «Todesfälle hatten wir bisher glücklicherweise keine zu beklagen», sagt Strassenmeister Oskar Arnet. «Aber einem musste der Unterschenkel amputiert werden, ein anderer ist jetzt IV-Bezüger.»

Auf dem neu gesperrten Mittelstreifen von Würenlos bis Neuenhof, zwischen je drei befahrenen Spuren, steht ein Brückenwagen vom Strassenunterhalt. Andreas Herzig und Hans-Rudolf Petermann stellen seit Jahrzehnten Gummihüte und Warnbaken auf, kleben und malen neue Markierungen, vollziehen Spurwechsel - bei rollendem Verkehr, wohlverstanden. «Gerade beim Spurwechsel muss man total konzentriert sein», erklärt Petermann. «Da verträgt es gar nichts.» Inzwischen sind zwei weitere Männer in der typischen orangen Arbeiterkluft in Sichtweite gekommen, ausgerüstet mit einer langen Latte und Spraydosen mit Leuchtfarbe in Pink. Ihr Job: Auf der 1,6 Kilometer langen Teilstrecke mit der Farbe alle 20 Meter Markierungen anbringen, während links und rechts der Verkehr vorbeirast.

Ein Gutes haben die Enge der Spurführung und das hohe Tempo: Die Fahrer müssen sich konzentrieren. Soll heissen, sie haben keine Zeit, Verbalinjurien zu brüllen, Stinkefinger zu erheben oder gar leere Cola-Dosen gegen die Arbeiter zu schleudern, wie dies auf Kantonsstrassen und in den Städten häufig vorkommt. Einzig im Stau entlädt sich der Zorn der Automobilisten auf jene, die ihnen das rasante Vorankommen eigentlich erst ermöglichen. Unter anderem auch deshalb sind die Kantone bemüht, den Verkehr möglichst flüssig zu halten.

Mittagszeit in den Containerbaracken. Eine Kantine gibt es nicht. Es riecht nach Essen und Kaffee. Männer mit roten, «verwercheten» Händen und wettergegerbten Gesichtern trudeln ein, einer nach dem andern: Spanier, Italiener, Männer aus Ex-Jugoslawien und Portugal - halb Südeuropa sitzt an den Tischen, bunte Tupperware-Schalen mit dem von zu Hause Mitgebrachten vor sich. Die Stimmung ist freundlich. Kisten mit Bier sind keine zu sehen - die Suva hats vor einer Weile verboten, wegen der Unfallgefahr. Eine einsame Bierbüchse steht trotzdem auf dem Tisch. Schweizer sind dünn gesät, machen gerade mal knapp 20 Prozent aus und sind fast ausschliesslich Chefs, also Vorarbeiter oder Poliere. Den meisten sind die 4000 bis 5000 Franken Lohn zu wenig für diese harte, gefährliche und schmutzige Arbeit.

120’000 Autos befahren täglich diese Strecke - 100’000 mehr als im Eröffnungsjahr 1970. Und mittendrin stehen die Buhmänner der helvetischen Auto-Nation, die Strassenbauarbeiter. «Manchmal hat man schon das Gefühl, Autofahrer hätten nichts anderes zu tun, als den ganzen Tag bei uns anzurufen und sich zu beklagen, dass es nicht schneller vorwärts geht», sagt Peter Schellenberg, einer der sechs zuständigen Bauleiter. «Dabei sind wir erst etwa fünf Tage im Rückstand, wegen des langen Winters.» Den Bauunternehmen liegt viel daran, im Zeitplan zu sein oder ihn sogar zu schlagen. Das hat mit dem Bonus-Malus-System zu tun: Jeder Tag, den die Arbeit länger dauert, kostet die Firmen 15’000 Franken. Sind sie schneller, verdienen sie pro Tag 15’000 Franken mehr.

Weit unten in der Hierarchie
Peter Schellenberg ist ein altgedienter Hase im Brückenbau. Er war schon Ende der sechziger Jahre beim Bau der Limmattal-Autobahn und der dazugehörigen Bauwerke Furtbachbrücke, Limmatbrücke und Lehnenviadukt dabei und kennt die Anlagen wie seine Westentasche. Seine Begeisterung für die Königsdisziplin der Baukunst ist ansteckend. Allein die Tatsache, dass die ganze Brücke angehoben wird, um die Lager zwischen Brücke und Pfeilerkopf auswechseln zu können, macht Eindruck.

Unten, im Wasser, liegen Pontons. Jeder Betonkrümel, jedes Blech, jedes Armierungseisen muss über den Brückenrand 20 Meter abgesenkt und über Flosse abgeführt werden. Auf dem grössten Boot steht die 80 Tonnen schwere Drehbohrmaschine, mit der die Bohrpfähle für die neuen Brückenpfeiler versenkt werden - wegen des Gewässerschutzes und der stark mit Umweltgiften belasteten Sedimente im Flusslauf ein enorm aufwändiges und heikles Unterfangen. Heikel ist die Arbeit am Fluss auch für die Arbeiter: Gleich am ersten Tag fiel einer rein, weil der Ponton ein ungeschicktes Manöver gefahren war. Plötzlich macht das verordnete Tragen von Schwimmwesten Sinn.

Oben sind Gussasphaltarbeiten im Gang. Es ist immer noch viel Handarbeit dabei: Abwechslungsweise holen sich vier mit Holzbottichen bewehrte Männer Teer beim Kocherwagen. 200 Grad heiss ist die zähflüssige Masse, die sich in die Bottiche ergiesst. Ein anderer Arbeiter verstreicht das Ausgegossene. Belagsarbeiter rangieren weit unten in der Hierarchie der Strassenbauer. Im Sommer macht ihnen die Hitze nicht nur von oben, sondern auch von unten zu schaffen, und zwar mit 160 Grad. Diese Männer sind am schlechtesten gesichert und zudem dem Volkszorn am meisten ausgesetzt, weil sie am greifbarsten sind. «Früher habe ich auch Belag gemacht», sagt der 25-Jährige Sven Grässli, heute Vorarbeiter und Maschinist. «Aber das ist, Gott sei Dank, vorbei.»