«Die geschlossene Mauerbauweise erinnert an eine Strafanstalt»: die geplante Überbauung «Ringling» in Zürich-Höngg in der Darstellung der Gegner (oben) und der Befürworter (unten)

Quelle: IG Pro Rütihof

Bezahlbaren Wohnraum schaffen für Familien und für Leute mit kleinem Portemonnaie: Gemeinnützige Baugenossenschaften verfolgen ein sinnvolles Ziel. Doch sie haben einen mächtigen Feind. Er ist ausdauernd, fintenreich und überall der gleiche. Er heisst Nachbar.

Aktuell etwa planen in Zürich zwei Genossenschaften und die städtische Stiftung für Alterswohnungen im Quartier Höngg 271 neue Familien- und Alterswohnungen. Das Projekt «Ringling», ein bis zu siebengeschossiger, ringförmiger Bau, bis zu 25 Meter hoch, ging als Sieger aus einem Architekturwettbewerb hervor.

Doch sofort nach der Präsentation des Projekts schossen «kritische Anwohner» (Selbstbezeichnung auf der eigens eingerichteten Website) aus allen Rohren gegen den «quartierunverträglichen Bau», wahlweise auch schlicht gegen das «Monstrum». «Wir sind nicht gegen das verdichtete Bauen, sondern nur gegen das konkrete Projekt. Die geschlossene Mauerbauweise erinnert an eine Strafanstalt», sagt Jean E. Bollier, Präsident der Interessengemeinschaft, die den Bau verhindern will.

Ihre Beschwerde gegen die Erteilung eines Baurechts für die Siedlung hat das Bundesgericht abgelehnt. Der Rekurs gegen die Baubewilligung und ein weiterer gegen die im Zusammenhang mit dem Bau geänderte Verkehrsführung liegen vor Verwaltungsgericht – mit offenem Ausgang. Termin für den Baubeginn für das Projekt: ungewiss.

Verdichtetes Bauen wird behindert

Der «Ringling» ist kein Einzelfall. Überall in der Schweiz kämpfen Behörden, Städte- und Raumplaner gegen Widerstände der Anwohner. Zu hoch, zu breit, zu laut, zu breite Balkons, zu viele Parkplätze, kein Baudetail ist davor gefeit, zum Anlass einer Einsprache genommen zu werden. «Die Verzögerungen setzen nicht nur Genossenschaften, sondern auch private Bauherrschaften wahnsinnig unter Druck. Wenn etwa für ein Projekt schon Land gekauft wurde, laufen die Zinsen bereits, ohne dass gebaut werden kann», sagt Hans Conrad Daeniker, Informationsbeauftragter des Schweizerischen Verbands für Wohnungswesen.

Die Blockadehaltung ist umso stossender, als die Grossprojekte meist genau jene bauliche Verdichtung erzielen würden, die Verkehrsministerin Doris Leuthard vor zwei Wochen bei der Präsentation des neuen Raumkonzepts Schweiz gefordert hatte, um die Zersiedelung der Landschaft zu stoppen.

In Luzern will der Stadtrat den Bau von Hochhäusern ermöglichen. Dazu ist eine Änderung der Bau- und Zonenordnung nötig. Gegen den geplanten Hochhausstandort Steghof gingen mehr als zwei Dutzend negative Stellungnahmen von Quartierbewohnern ein. Sie bemängeln eine optische Beeinträchtigung. Ruedi Frischknecht, Leiter Stadtentwicklung, wundert sich: «Verdichtete Strukturen sind ja gerade typisch für eine urbane Baukultur. Und die suchen gerade Zuzüger meist bewusst.»

Doch nicht immer sind es Anwohner, die dem Postulat des verdichteten Bauens wenig Gutes abgewinnen können. Vor allem in ländlichen Gebieten versuchen die Gemeinden, attraktiv zu sein für zahlungskräftige Neuzuzüger. Eine möglichst freie Bau- und Zonenordnung ist dabei ein nicht zu unterschätzender Faktor – auch wenn dafür oft der Preis einer fortschreitenden Zersiedelung bezahlt wird. Christian Brodmann, Kreisplaner und zuständig für das Fricktal im Aargau, muss viel Überzeugungsarbeit leisten vor Ort. Doch er hat gute Argumente. Prognosen gehen für das Fricktal bis 2025 von einem Bevölkerungswachstum von 13'000 Personen aus. Brodmann rechnet vor: «Für 13'000 Personen braucht es bei einer Wohnzone W1, in der einstöckiges Bauen erlaubt ist, 542 Hektaren. Bei W2 sind es 351, bei W3 noch 140 Hektaren.»

«Verdichtetes Bauen ist für die betroffene Anwohnerschaft häufig ein konkreter Nachteil. Die Vorteile hingegen, beispielsweise die Eindämmung der Zersiedelung, sind ein abstrakter Wert und deshalb sehr schwer zu kommunizieren», sagt Ernst Hauri, Direktor des Bundesamts für Wohnungswesen. Bei einer Grossüberbauung müssten daher qualitative Mehrwerte geschaffen werden, damit die Nachbarn auch etwas vom Projekt haben. Etwa durch eine Verkehrsberuhigung, einen zusätzlichen Laden in der Nachbarschaft oder ein Café.

Dem Hauseigentümerverband (HEV) sind die vielfältigen Mitwirkungs- und Einsprachemöglichkeiten bei Bauprojekten schon lange ein Dorn im Auge. Die Tendenz, bei grösseren Projekten sofort Widerstand anzumelden, mache die Umsetzung von Projekten oft sehr aufwendig und teuer, heisst es in einem Positionspapier. Gerade bei Ersatzneubauten zeige sich dieser Effekt besonders krass.

Das ist insofern von Bedeutung, als eine Studie des Bundes aus dem Jahr 2004 bedeutende Baulandreserven in Industriebrachen ausweist – also an Orten, wo bestehende Bausubstanz ersetzt werden kann: 17 Millionen Quadratmeter, das entspricht der Fläche der Stadt Genf oder Raum für 190'000 Bewohner.

Die Stadt Zürich rechnet in einem Szenario bis ins Jahr 2025 mit zusätzlichen 30'000 Einwohnern und 35'000 zusätzlichen Arbeitsplätzen. Das bedeutet einen zusätzlichen Flächenbedarf von 4,4 Millionen Quadratmetern. Die Stadt verfügt über sechs Millionen Quadratmeter Reservefläche. Allerdings sind die Reserven im Bestand. Das heisst, bestehende Bauten werden erweitert oder es gibt grössere Ersatzneubauten. Ein ehrgeiziges Ziel, denn es drohen Einsprachen, Rekurse, Verfahren bis vor Bundesgericht. Im schlimmsten Fall sogar das Ende des Projekts.

«Rekurse sind ein Problem – weniger jene der Umweltverbände als jene der Nachbarschaften», sagt Urs Spinner, Leiter Kommunikation des Hochbaudepartements der Stadt Zürich. «Bei grossen Bauprojekten bedeuten Verzögerungen enorme Kapitalkosten.» Es gehe nicht darum, die Mitsprache zu beschneiden, aber um die Situation zu entspannen, brauche es verbindliche Fristen, bis zu denen alle Einspruchsverfahren erledigt sein müssen. Das würde dem Bauherrn eine minimale Planungssicherheit bieten. Ausserdem würde es helfen, Einsprecher finanziell belangen zu können, wenn der Rekurs missbräuchlich geführt wird.

Für die Gemeinnützige Bau- und Mietergenossenschaft Zürich (GBMZ) käme eine solche Regelung allerdings zu spät. Sie musste eine andere Lösung finden, um ihr Bauprojekt «Klee» in Affoltern zu realisieren: 167 Wohnungen, vor allem für Familien. Die Wohnungen konnten in den vergangenen Wochen bezogen werden.

In unmittelbarer Nachbarschaft steht ein Mehrfamilienhaus, ebenfalls ein Neubau. Sein Besitzer hatte gegen das Projekt rekurriert. Durch die Blume liess er dann verlauten, der Verkauf seiner eigenen Wohnungen verlaufe schleppend. Dann kam er auf den Punkt. Kaufe die GBMZ ein paar Wohnungen, «wäre das ein Entgegenkommen, das er honorieren würde». «Wir sind auf den Deal eingestiegen, obwohl er uns ein wenig wie Erpressung vorkam», sagt GBMZ-Präsident Felix Bosshard. Drei Wohnungen hat die Genossenschaft dem Nachbarn abgekauft. Die drohende Verzögerung durch den Rekurs hätte zu Kapitalkosten von mehreren hunderttausend Franken pro halbes Jahr geführt. Bosshard lakonisch: «Es war für uns eine nüchterne ökonomische Entscheidung.»