«Homo» wollte er nicht heissen. Lieber «Faber» – schliesslich hat er Max Frisch gelesen. Denn sich Julian Pollina zu nennen, wie es in seinem Pass steht, auf jedem Konzertplakat und jedem CD-Cover den Schatten seines Vaters Pippo mitzutragen, das kam gar nicht in Frage. Zudem: «Faber» passt perfekt, «homo faber», einer, der zupackt und Handfestes schafft.

Faber, 24, ist ein Arbeiter. Seine Stimme bearbeitet er mit einer Parisienne nach der anderen, ausnahmsweise auch mit Winstons, wenn sie gerade im Duty-free-Shop am Flughafen erschwinglicher sind. Seine Gitarre traktiert er nicht weniger gnadenlos, der erste Schaden ist bereits absehbar. Aber ein Loch mehr oder weniger, was solls. Das gilt auch für seine Stiefel. Für die Strassen von Zürich sind sie nicht mehr zu gebrauchen, aber für die Bühne noch lange.

«Ich kenne kaum eine Stadt, wo die Leute so verbissen sind wie hier in Zürich.»

 

Faber, Singer-Songwriter

Zürich ist Fabers Heimat. «Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zur Stadt. Ich gehe gern weg, komme aber auch immer gern heim. Es braucht den Ausgleich.» Aufgewachsen ist er im Quartier Seefeld. Die Eltern schickten ihn in die Kantonsschule Stadelhofen. Die übliche Logik, bürgerlich, aber nicht spiessig. Faber hatte Glück: «Bei mir zu Hause war immer klar: Musiker ist ein Beruf. Ein richtiger. Einer, von dem man leben kann. Es hiess nie, ich müsse etwas Richtiges lernen.»

In letzter Zeit ist er oft gezügelt. Abwarten, wie lange ihn das Quartier Wiedikon hält. «Ich ziehe relativ oft um. Zwangsläufig», sagt er. «Ich finde es schlimm, dass Zürich so teuer ist, dass es nicht darum geht, wer hier wohnen will, sondern wer hier wohnen kann. Dass hier alles so teuer ist, macht viel kaputt in den Menschen. Ich kenne kaum eine Stadt, wo die Leute so verbissen sind wie hier.»

«Akustik-Punk für Mädchen»

Am 7. Juli erscheint Fabers neue CD – bei Universal, einem grossen Label. «Ich habe ein bisschen Schiss gehabt, dass ich jetzt wirklich etwas liefern muss.» Die Konzerte nächste Woche in Luzern und Zürich sind längst ausverkauft, für Baden und Freiburg gibt es noch ein paar wenige Tickets. Danach geht es ohne lange Unterbrechung weiter, zurück nach Deutschland, wo er schon vor den Schweizer Engagements aufgetreten ist, manche Abende an improvisierten Orten, weil der Vorverkauf die reservierten Säle sprengte. Im Juni tritt Faber an einem wichtigen Festival in Nordrhein-Westfalen auf, im Juli auf dem Gurten, im August in der Kulturarena in Jena. Adressen, nach denen sich mancher gestandene Songschreiber alle Finger lecken würde.

Faber ist kein Singer-Songwriter im herkömmlichen Sinn. Seine Musik macht mehr Anleihen beim Latinischen als beim Angelsächsischen. Seine Stimme weckt Erinnerungen an Amy Winehouse und Leonard Cohen, beides zugleich oder je nachdem. «Akustik-Punk für Mädchen» hat er seinen unverwechselbaren Stil einmal genannt. Und was für ein Zielpublikum ist angedacht? Fehlanzeige. Faber ist kein Kind der Generation Casting. Er verzieht das Gesicht und zieht an seiner Parisienne.

Das Label Universal hat die CD übernommen, dreingeredet hat niemand. «Ich glaube, dass die Leute, mit denen ich direkt zu tun habe, sehr viel von dem richtig machen, was die Musikindustrie in den letzten Jahren falsch gemacht hat», findet Faber. «In mir hat nie jemand einen Künstler gesucht, den man formen kann. Mit mir haben sie einen gefunden, der macht, was er sowieso macht. Und den verkaufen sie jetzt.»

Ganz so naturtalentiert ging es dann doch nicht ab. Eine deutsche Agentur managt ihn. Faber hat 2016 zwischen 120 und 150 Auftritte absolviert. So lernt man Musikmachen auch als die Kunst, mit dem Publikum umzugehen. «So lernt man das Handwerk. Wir haben alles gespielt, nicht nur die coolen Sachen. Meine Schule waren unzählige Auftritte an Privatanlässen, an Hochzeiten. Solo. Da kommen die Leute nicht, um einen zu sehen, aber man hat trotzdem das Ziel, dass sie einem ein bisschen zuhören.»

Darin liegt Fabers Charisma. Er singt, als vergesse er das Publikum, das grösste wie das kleinste. In der Phrasierung die Leichtfüssigkeit eines Cantautore, in der Stimme Teergrüsse von Tom Waits, in der rechten Hand den beharrlichen Rhythmus eines Country-Sängers, dazu deutsche Texte, die manchmal politisch sind, manchmal sarkastisch, oft selbstironisch. Da ist nichts Aufgesetztes, nichts Kalkuliertes, schon gar nicht Routine. Faber wird sich steigern, man kann ihm förmlich dabei zuhören. Ein Arbeiter, ein Chrampfer. Die Gitarre wird das aushalten müssen, seine Stimme auch.

«Was es braucht, um es in der Musikwelt zu schaffen? Glück und Beharrlichkeit.»

 

Faber, Singer-Songwriter

Vor vier Jahren ebnete Sophie Hunger dem damals noch nicht Zwanzigjährigen den Weg. Ob er ihr einen Song vorsingen dürfe? Klar. Daraus wurde ein Vorgruppen-Arrangement, das Faber heute noch als «krass» bezeichnet. Was braucht es, um es in der Musikwelt zu schaffen? «Glück», sagt Faber, ohne nachzudenken. «Und Beharrlichkeit.» Dranbleiben, jeden Tag ein bisschen besser werden und dann zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.

«Ich habe mir sagen lassen, die Musikszene sei heute ein wenig wie in den fünfziger Jahren. Damals mussten alle live möglichst gut sein, weil es sich niemand leisten konnte, eine Schallplatte aufzunehmen. Heute kann es sich jeder leisten, eine CD zu machen. Bloss kauft die niemand. Es kommt also genau aufs Gleiche hinaus.»

CDs kauft Faber selber auch nicht. Höchstens LPs, als Andenken, weil sie schön sind. «Ich habe weder einen CD-Player noch einen Plattenspieler.» Streaming findet er grossartig. Und ins allgemeine Geklöne der Branche, dass man nichts mehr verdiene mit Tantiemen, mag er nicht so recht einstimmen. «Wenn jemand eine CD kauft, kann er sie Tausende Male hören oder gar nie. Digital gibt jeder Klick Geld, wenn auch sehr wenig. Ich finde dieses System ehrlicher.»

Flexibler gehts fast nicht

Faber singt konsequent hochdeutsch. In der Tradition seiner allerersten Schülerband, mit zwölf Jahren, deren Frontmann kein Schweizerdeutsch beherrschte, Englisch noch viel weniger. Faber hat sich ein Bandkonstrukt zurechtgelegt, das an Elastizität kaum zu überbieten ist. «Viele Rockbands können gewisse Gigs gar nicht annehmen, weil die Gage oder die Bühne zu klein ist.» Faber spielt solo, im Duo mit einem Posaunisten, der zugleich Schlagzeuger ist, und er reist im Zug. Bei Bedarf und genug Gage wird zu Trio, Quartett oder Quintett aufgestockt.

Die ganz grossen Formate sind Faber bis heute ein wenig fremd geblieben. «Wir sind die Clubs gewohnt. Es gibt Momente, da fühlen wir uns auf den grossen Bühnen noch ein bisschen verloren. Aber wir sind alle extrem bühnenhungrig und spielen wahnsinnig gern live.»