Den Entschluss hatte er schon länger gefasst. Nun galt es, nach einigen freien Tagen am Stück Ausschau zu halten, in denen er nicht zu häufig unterwegs war, nicht zu viele Vorträge halten musste. Sein Mund würde ausgetrocknet sein, das ahnte er. Bruder Benno blätterte in der Agenda – und wurde fündig: Genau in der Karwoche hatte er keinen einzigen Termin. Ideal, so schien ihm, um sieben Tage weder zu essen noch zu trinken und darauf für mindestens 21 Tage von fester Nahrung auf «Lichtnahrung» umzustellen.

Der 42-jährige Franziskanermönch Benno Kehl ist es gewohnt, dass seine Mitbrüder den Kopf schütteln, wenn ihm eine neue Idee kommt: «Hin und wieder sticht mich der Hafer.» Nach einer Schreinerlehre trat er ins Kloster ein, studierte Theologie und christliche Sozialtherapie, lebt heute in der Gemeinschaft St. Otmar auf der Insel Werd bei Stein am Rhein und engagiert sich seit langem als Gassenarbeiter in Zürichs Drogenszene. Bevor er für einige Monate als Entwicklungshelfer nach Burkina Faso entschwinden würde, wollte er die Phase des Lichtessens abgeschlossen haben. Es wäre ihm schwergefallen, im Mangel lebenden Menschen zu erklären, wie man freiwillig auf Wasser und Nahrung verzichten kann.

Ziel von Lichtfastenden ist es, die fürs Leben notwendige Energie aus Licht zu gewinnen. Damit ist nicht das Tages- oder Sonnenlicht gemeint, sondern das sogenannte Prana (indisch wörtlich: Atem), was so viel wie Lebenshauch und im übertragenen Sinn Lebenskraft bedeutet. Am Abend vor der Umstellung von kalorienhaltiger Ernährung zu feinstofflicher Lichtnahrung gönnte sich Bruder Benno eine letzte Mahlzeit, abgerundet von einer Portion Glace. In den folgenden sieben Tagen trank er keinen Tropfen. «In meinem Herzen spürte ich ein grosses Ja, mich auf diesen Prozess einzulassen.» Daran konnte der immer trockenere Mund ebenso wenig ändern wie besorgte Rückmeldungen aus seinem Umfeld.

«Generell kann der Körper nur einige Tage ohne Flüssigkeit überleben», sagt Caroline Bernet, diplomierte Ernährungsberaterin der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung. «Ist die Umgebungstemperatur optimal und werden die Verluste von Energie und Flüssigkeit minimiert, kann der Prozess hinausgezögert werden.»

Privataufnahme

Quelle: Vera Hartmann

Er kaute ab und zu auf einem Eiswürfel, widerstand der Versuchung, das geschmolzene Wasser zu schlucken, stand lange unter der Dusche, gönnte sich Bäder. «Mir war, als ob das Wasser voller flüssigem Licht sei und mich durchdringe und neu gestalte.»

Die Schulmedizin hat wenig Verständnis für solche Bilder. Caroline Bernet sagt kurz und bündig: «Von Licht kann man sich nicht ernähren.» Ende der Durchsage.

Bruder Benno machte eine andere Erfahrung: «In der vierten Nacht erschien ein Sanitätsteam der himmlischen Ebene, Engel oder andere Wesen.» Diese Helfer steckten ihm eine Infusion. Es war keine physische Infusion, «sondern eine, die im Schwingungsbereich stattfand». Ab diesem Moment habe er sich genährt gefühlt. «Ich war wie an eine Quelle flüssigen Lichts angeschlossen.»

Nichtsdestotrotz hinterliess der Wassermangel nach einigen Tagen physische Spuren. Der Hals lag in Falten, das Gesicht war eingefallen, die Haut um die Augen spröde, und die Hände waren so trocken, dass der Computer Bruder Benno nicht mehr über den Fingerscan erkannte. «Ich sah aus wie eine alte Schildkröte.»

Seine Mitbrüder begannen sich ernsthaft Sorgen zu machen. Er beruhigte sie: «Ich hatte weder Kopfschmerzen noch sonstige Beschwerden. Nur der Mund war trocken. Ansonsten fühlte ich mich gut.» Er schlief wenig, nie mehr als anderthalb Stunden am Stück, und wenn er erwachte, sei er aussergewöhnlich aufnahmefähig gewesen. Dann stand er auf, ging in die Kapelle, meditierte, betete, um darauf wieder eine Sequenz zu schlafen. Es kam ihm vor, als habe er eine neue Realität betreten: «Mir war, als sei ich neu formatiert worden, bis in die letzte Zellinformation hinein.» Bewusst liess er alle physikalischen Gesetze und gängigen Vorstellungen los, was im Leben möglich sei und was nicht. «Es war eine Form von Abschiednehmen. So stelle ich mir angenehmes Sterben vor.»

Fastenkuren schaden der Gesundheit mehr, als dass sie nützen – so lautet der Tenor der Schulmedizin. «Wer zur Gewichtsreduktion fastet, wird enttäuscht sein, denn die verlorenen Kilos kommen später mit Bestimmtheit zurück», sagt Caroline Bernet. Doch bei vielen Fastenden steht der Wunsch im Vordergrund, den Körper von Schlacke und Giften zu reinigen. «Das ist unnötig», erklärt die Expertin, da es keine Schlacke gebe und der Körper sich selber reinige. Mehr noch: «Der Verzicht auf Nahrung stresst den Körper und kann zu gesundheitlichen Problemen führen.»

Entsprechende Symptome erfuhr auch Bruder Benno. Die Tage sechs und sieben ohne Nahrung und Wasser beschreibt er als «hart, aber dennoch schön». In regelmässigen Abständen überkamen ihn Wellen von Schüttelfrost, dann betete er den Rosenkranz und konnte sich für kurze Zeit entspannen, bis ihn die nächste Schüttelwelle einholte.

Den ersten Schluck nach sieben Tagen brachte er kaum die Kehle hinunter. Wie «flüssiger Sand» sei ihm das Wasser vorgekommen. «Das Licht, das ich imaginär getrunken hatte, war viel feiner.» Schluck um Schluck begann er das Nass aber wieder zu geniessen, ebenso mit Wasser verdünnte Fruchtsäfte und Tee. Während der Mahlzeiten setzte sich Benno zu seinen Mitbrüdern und verspürte mit Ausnahme einer Erdbeere und etwas Schokolade nie den Wunsch, wieder mit Essen zu beginnen. «Doch diese beiden Dinge waren geschmacklich so intensiv, dass sie bis in die Haarspitzen und Zehen drangen.»

Als es ihm nach dem 21. Tag noch immer «prächtig» ging, legte er sich keinen weiteren inneren Fahrplan zurecht. Jeden Morgen erwachte er mit dem Gedanken, dass dies der letzte Lichtnahrungstag sein könnte. Woche für Woche hing die Kutte in grösseren Falten um seinen Oberkörper, doch körperlich fühlte er sich fit: «Es war viel mehr unverbrauchte Energie in mir. Statt nach acht Klimmzügen machte ich erst nach 16 schlapp, in meinem Kopf arbeitete es wie verrückt, da konnten Dinge neu verknüpft werden.»

Nach drei Monaten hatte er über zehn Kilo abgenommen. Dann kam der Tag, an dem ihn «der Impuls des Engels» erneut berührt habe: «Er liess mich wissen, dass es nun an der Zeit sei, wieder mit dem Essen zu beginnen.» Wenig später lagen Karotten, Fenchel, Bohnen und Kartoffeln auf Bruder Bennos Teller. Alles nahm er mit Hochgenuss zu sich, auch Kaffee, Wein und abends einen Schnaps. «Es ging bestens. Mein Magen verzieh mir alles.» Denn anders als beim gewöhnlichen Fasten steht laut Bennos Erfahrung beim Lichtessen der ganze Körper auf «Stand-by».

«Kurzes Fasten zur spirituellen Erfahrung oder als Auszeit vom Alltag sollte nur gemacht werden, wenn aus gesundheitlicher Sicht nichts dagegenspricht», sagt Caroline Bernet abschliessend. Auf fachkundige Begleitung sollte dabei aber «auf keinen Fall» verzichtet werden. Ein himmlisches Sanitätsteam dürfte die geerdete Ernährungsfachfrau damit nicht meinen.