Beobachter: 25 Jahre nach seinem Ende warnen viele vor einer Neuauflage des Kalten Kriegs. Was ist da dran?
Thomas Buomberger: Meiner Meinung nach ist das Blödsinn. Denn die Voraussetzungen sind heute völlig anders. Zwischen 1945 und 1990 war die Welt bipolar mit den beiden Supermächten USA und der Sowjetunion. Und die Drohung eines Atomkriegs hing wie ein Damoklesschwert über der Welt. Das ist heute anders.

Beobachter: Er heisst zwar Kalter Krieg, aber es war doch eine lange Phase des Friedens – zumindest in Europa?
Buomberger: Deshalb spricht man vom Kalten Krieg auch als einem imaginären Krieg, der zum Glück nie heiss wurde. Sonst gäbe es uns nicht mehr. Aber man darf nicht vergessen: Dieser Krieg mobilisierte sämtliche Ressourcen. Es kam zu einem gigantischen Rüstungswettlauf. Selbst die Schweiz rüstete monumental auf. Dieser Krieg wurde mit allen wirtschaftlichen, intellektuellen, kulturellen, geistigen Ressourcen geführt. Es wurde mobilisiert, was man mobilisieren konnte.

Beobachter: Wie wirkte sich das auf das Klima in der Schweiz aus?
Buomberger: Es gab nur Gut und Böse. Böse war der Kommunismus und alles, was nur schon am Rande in den Verdacht geriet, mit ihm zu sympathisieren. Wer nur etwas links des politischen Mainstreams dachte, wurde sehr schnell als unschweizerisch geächtet.

Beobachter: War das nicht in ganz Westeuropa so?
Buomberger: In der Schweiz war der Kalte Krieg noch kälter und der Antikommunismus noch rabiater. Und das, obwohl die Kommunisten in der Schweiz nie eine wichtige Rolle spielten. 1947 erreichten sie gerade mal 5 Prozent, in Frankreich oder Italien 30 Prozent.

Beobachter: Warum war der Schweizer Antikommunismus so rabiat?
Buomberger: Das hängt mit der Idee der geistigen Landesverteidigung zusammen, die 1938 mit der sogenannten Kulturbotschaft von Bundesrat Philipp Etter als geistig-kulturelles Abwehrdispositiv gegen die Nazis errichtet wurde. Darin wurden die typisch schweizerischen Werte betont: Mehrsprachigkeit, unterschiedliche Kulturen, Demokratie. Damit konnten sich fast alle identifizieren. Nur die ganz Linken und die Frontisten waren draussen.

Beobachter: Wie konnte dieses Konzept das Ende des Weltkriegs überdauern?
Buomberger: Es war ein Instrument, das sich leicht gegen den neuen Feind, den Kommunismus, einsetzen liess. Was im Zweiten Weltkrieg die Bedrohung durch die Nazis war, war nun die Bedrohung durch die Sowjetunion.

Beobachter: Aber das erklärt nicht die Schärfe des schweizerischen Antikommunismus.
Buomberger: Die Schweiz war nach dem Zweiten Weltkrieg isoliert und wurde von den Alliierten als Helfershelferin der Nazis betrachtet. Indem sie sich als neutraler Staat ins Lager der Antikommunisten schlug, versicherte sie sich, dass man diesmal auf der Seite der Sieger stand. Die Schweiz beteiligte sich stark am Marshall-Plan und stellte als Finanzplatz die Mittel für den Wiederaufbau Europas zur Verfügung. Der vehemente Antikommunismus hatte allerdings auch etwas Überkompensatorisches. Man hatte ein schlechtes Gewissen, weil man etwas zu sehr mit den Nazis kollaboriert hatte.

Beobachter: Die höchsten Wellen warf der Antikommunismus 1956 nach der Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn.
Buomberger: Es gab erst diese unglaubliche Empörung und dann eine enorme Hilfsbereitschaft gegenüber den Ungarnflüchtlingen. Dahinter verbirgt sich viel Symbolik: Man konnte zeigen, dass man auf der richtigen Seite stand und etwas gegen die bösen Russen unternahm. Und man solidarisierte sich als Kleinstaat mit den Ungarn. Es gab dieses David-Goliath-Symptom. Auch die Schweiz erlebte sich als David.

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Beobachter: Wie konnte dieses Konzept das Ende des Weltkriegs überdauern?
Buomberger: Es war ein Instrument, das sich leicht gegen den neuen Feind, den Kommunismus, einsetzen liess. Was im Zweiten Weltkrieg die Bedrohung durch die Nazis war, war nun die Bedrohung durch die Sowjetunion.

Beobachter: Aber das erklärt nicht die Schärfe des schweizerischen Antikommunismus.
Buomberger: Die Schweiz war nach dem Zweiten Weltkrieg isoliert und wurde von den Alliierten als Helfershelferin der Nazis betrachtet. Indem sie sich als neutraler Staat ins Lager der Antikommunisten schlug, versicherte sie sich, dass man diesmal auf der Seite der Sieger stand. Die Schweiz beteiligte sich stark am Marshall-Plan und stellte als Finanzplatz die Mittel für den Wiederaufbau Europas zur Verfügung. Der vehemente Antikommunismus hatte allerdings auch etwas Überkompensatorisches. Man hatte ein schlechtes Gewissen, weil man etwas zu sehr mit den Nazis kollaboriert hatte.

Beobachter: Die höchsten Wellen warf der Antikommunismus 1956 nach der Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn.
Buomberger: Es gab erst diese unglaubliche Empörung und dann eine enorme Hilfsbereitschaft gegenüber den Ungarnflüchtlingen. Dahinter verbirgt sich viel Symbolik: Man konnte zeigen, dass man auf der richtigen Seite stand und etwas gegen die bösen Russen unternahm. Und man solidarisierte sich als Kleinstaat mit den Ungarn. Es gab dieses David-Goliath-Symptom. Auch die Schweiz erlebte sich als David.

«Man hatte ein schlechtes Gewissen, weil man etwas zu sehr mit den Nazis kollaboriert hatte.»

Thomas Buomberger

Beobachter: Die Hilfsbereitschaft war aber enorm?
Buomberger: Wenn man auf die nackten Zahlen schaut, relativiert sich das Bild etwas. Es kamen rund 12'000 Ungarn in die Schweiz, von denen nur gut 7000 blieben. Während des Balkankriegs 40 Jahre später kamen zum Teil 40'000 Bosniaken in einem Jahr hierher. Trotzdem brannte sich die Ungarnhilfe ungleich stärker in unser kollektives Gedächtnis ein.

Beobachter: Sie sehen die fünfziger Jahre als Schlüsselzeit für die ganze Epoche des Kalten Krieges. Warum?
Buomberger: Die konservative Schweiz sah sich damals von zwei Seiten bedroht: vom Kommunismus und vom American Way of Life mit Rock ’n’ Roll, Coca Cola und legerer Lebensweise. Hinzu kam diese unglaubliche wirtschaftliche Dynamik. Wichtige Weichen für die Zukunft wurden gestellt – etwa in der Energiepolitik mit AKW, dem Autobahnbau oder der starken Bautätigkeit. Es gab umgekehrt auch erste Anzeichen für eine Protestbewegung im Umweltbereich und mit der Halbstarkenbewegung erste Jugendproteste. Die Spannungen, die die Gesellschaft später zu zerreissen drohten, waren bereits in den Fünfzigern angelegt.

Beobachter: Nach dem Fall der Mauer hatte man kurz das Gefühl, es sei nun Schluss mit dem Konzept der geistigen Landesverteidigung. Warum kam es anders?
Buomberger: Die SVP schaffte es, diesen Kadaver wiederzubeleben in ihrem selbsterklärten Kampf gegen die EU. Das Perfide an dieser dritten Instrumentalisierung der geistigen Landesverteidigung ist, dass Blocher und seine Leute das antifaschistische Motiv «Anpassung oder Widerstand» aus dem Zweiten Weltkrieg aufnahmen. Nur wurden jetzt die EU-freundlichen Bürgerinnen und Bürger angegriffen, die eine offene Schweiz wollen. Sie wurden von der SVP in die Rolle gedrängt, die im ursprünglichen Konzept der geistigen Landesverteidigung den Nazifreunden zukam. Und die Widerständler waren plötzlich jene, die für eine hermetisch abgeschlossene Schweiz stehen.

Beobachter: Ist es tatsächlich Blödsinn, heute von einer Neuauflage des Kalten Kriegs zu sprechen, wie Sie eingangs sagten?
Buomberger: Es gibt durchaus Parallelen. Gleich geblieben ist etwa die atomare Bedrohung, die in der öffentlichen Diskussion völlig ausgeblendet wird. Aber die Welt ist nicht mehr bipolar und Russland nicht vergleichbar mit der Sowjetunion – weder ideologisch noch vom Einfluss auf das Weltgeschehen. Und Konflikte, wie sie in der Ukraine oder in Syrien ausgetragen werden, sind keine Stellvertreterkriege zwischen den beiden grossen Blöcken, sondern hybride Kriege, bei denen man nur schwer unterscheiden kann, wer die Soldaten eines Landes sind und was Milizionäre und Söldner.

Beobachter: Völlig anders ist doch auch das gesellschaftliche Klima.
Buomberger: Es gibt heute keine Denkverbote mehr. Man kann selbst gegenüber Rüstungsprogrammen kritisch sein, ohne gleich als Feind der Schweiz dazustehen. Und dass man sich im Lokalen auf seine Bedürfnisse rückbesinnt, hat nichts mit der Igelhaltung des Kalten Kriegs zu tun.

Beobachter: Ist es nicht ein Erbe des Kalten Kriegs, dass man sich wieder auf schweizerische Werte rückbesinnt?
Buomberger: Ein Erbe ist höchstens diese Angst vor Überfremdung. Und dieser Reflex, dass man sich als Reaktion auf Bedrohung gleich ins Reduit zurückzieht, ist Teil unserer Mentalität geworden.

Zur Person

Thomas Buomberger ist Historiker und Journalist.

Im April erscheint sein neustes Buch «Die Schweiz im Kalten Krieg 1945 bis 1990».

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