Ungefähr 400 Anhänger der Kryonik weltweit haben bisher ihren Körper nach ihrem Ableben einfrieren und bei minus 196 Grad in flüssigem Stickstoff aufbewahren lassen. Damit wollen sie dem Tod ein Schnippchen schlagen und so lange ausharren, bis die Wissenschaft Wege gefunden hat, sie wieder zum Leben zu erwecken.

Die grosse Mehrzahl wird in den USA von zwei Non-Profit-Organisationen aufbewahrt. In Europa gibt es bislang noch keine derartige Aufbewahrungsmöglichkeit. Deshalb lassen sich europäische Kryoniker nach ihrem Tod mit dem Flugzeug in die USA transportieren. «Das ist aufwendig und unsicher», sagt Patrick Burgermeister, der bekannteste Kryoniker der Schweiz.

Nun will eine Basler Stiftung Abhilfe schaffen. Sie baut momentan einen unterirdischen Hochsicherheitsraum im Rafzerfeld im Kanton Zürich.

Burgermeister ist eine der treibenden Kräfte hinter dem Plan, Kryonikangebote auch in Europa zu schaffen. Zu diesem Zweck hat er mit Gleichgesinnten vor zweieinhalb Jahren in Basel die Stiftung European Biostasis Foundation gegründet. Die Stiftung arbeitet eng zusammen mit der deutschen Firma Tomorrow Biostasis, die von Berlin aus Kryokonservierungen in Europa anbietet.

Kostspielige Konservierung

Die Kosten für eine Haltbarmachung belaufen sich auf 200'000 bis 300'000 Euro, wobei Tomorrow Biostasis auch Versicherungspläne mit monatlichen Zahlungen akzeptiert. Nach dem Tod eines Kunden sorgt ein medizinisches Team dafür, dass der Körper so rasch wie möglich konserviert und in den Aufbewahrungsraum gebracht wird. Momentan arbeite man mit Lagerstätten in den USA zusammen, sagt Emil Kendziorra, Geschäftsführer von Tomorrow Biostasis.

In absehbarer Zukunft aber sollen die tiefgekühlten Kunden in der Schweiz aufbewahrt werden. Vor einigen Monaten hat die European Biostasis Foundation mit dem Bau eines Mehrzweckgebäudes in Rafz begonnen, nächsten Februar oder März soll es bezugsbereit sein. Im oberirdischen Teil sind Büros und Laborräume untergebracht; unterirdisch liegt, hinter dicken Betonmauern, der Lagerraum für die «Langzeitpflege», wie Kryoniker das Aufbewahren der tiefgekühlten Körper nennen. Für wie viele Körper das Projekt ausgelegt ist, wollen die Initianten nicht sagen. Geplant sei, auch Zellen, Zellkulturen und Gewebe zu lagern.

Die Baustelle des geplanten Kryonik-Zentrums in Rafz zH

Drei Millionen Franken soll das Gebäude im Rafzerfeld mit einer Fläche von 630 Quadratmetern kosten. 

Quelle: Hanna Jaray

Das Gebäude soll über eine Nutzungsfläche von 630 Quadratmetern verfügen. Die Baukosten werden auf rund drei Millionen Franken veranschlagt. Den Grossteil finanziert die Stiftung laut eigenen Angaben aus Eigenmitteln, die von einer «Vielzahl von Spendern» stammten.

Der Standort eigne sich hervorragend für eine solche Anlage, sagt Burgermeister. «Zum einen liegt die Schweiz mitten in Europa und ist ein politisch und wirtschaftlich stabiles Land. Zum anderen ist Rafz gut erreichbar und liegt in einer Region, in der Erdbeben und Überschwemmungen sehr unwahrscheinlich sind.» Rechtlich betritt die Stiftung Neuland. «Aber wir haben zwei Gutachten eingeholt, die zeigen, dass der kryonischen Lagerung in der Schweiz nichts im Weg steht», sagt Burgermeister.

Mehr Wunschdenken als Wissenschaft

Die Standortgemeinde Rafz zeigte sich auf Anfrage überrascht davon, dass in ihrem Industriegebiet bald tiefgekühlte Leichen gelagert werden sollen. Man habe dieses Vorhaben aus dem Baugesuch für das Mehrzweckgebäude nicht herausgelesen, sagt Gemeindeschreiber Manfred Hohl. «Aber wenn die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden, stört sich der Gemeinderat nicht daran.»

Abgesehen von der Rechtmässigkeit der Kryonik stellt sich die Frage, ob hier nicht gutgläubigen Menschen viel Geld aus der Tasche gezogen wird. Die grosse Mehrheit der Wissenschaftler hält die Hoffnung, Tote jemals wieder zum Leben erwecken zu können, für realitätsfern. An den Universitätsspitälern Basel und Zürich mochte sich jedenfalls niemand zum Thema äussern. Und die internationale Forschungsgesellschaft Society for Cryobiology, also für Tieftemperaturbiologie, bezeichnet Kryonik in einer Stellungnahme als «einen Akt der Spekulation oder Hoffnung, nicht der Wissenschaft».

Selbst der Schweizer Chefkryoniker Patrick Burgermeister räumt ein: «Es kann sein, dass es niemals gelingt, Menschen wieder zum Leben zu erwecken. Aber ich bin überzeugt, dass die Chance grösser ist als null.» Man habe sich früher auch nicht vorstellen können, dass der Mensch Flugzeuge oder Computer erfinden würde.

«Ich halte es für nicht unrealistisch, dass wir in 50 Jahren Menschen zum Leben erwecken können.»

Patrick Burgermeister, Gründungsmitglied European Biostasis Foundation

Tatsächlich lassen sich der Kryonik bestimmte wissenschaftliche Grundlagen nicht absprechen. In der Transplantationsmedizin sei es gang und gäbe, Körperfunktionen durch Abkühlung zu drosseln, sagt Franz Immer, der Direktor der Stiftung Swisstransplant. «Dadurch lassen sich Spenderorgane über eine längere Zeit vor dem Zerfall schützen.» Die Methoden dafür würden laufend verbessert. Inzwischen gebe es zum Beispiel Behälter, in denen ein Organ während des ganzen Transports gekühlt und gespült wird, oftmals auch unter Beigabe von Sauerstoff. Anders als die Kryonik vermeide aber die Transplantationsmedizin ein Durchfrieren der Organe, sagt Immer. Denn dabei bildeten sich Eiskristalle, die die Zellen beschädigen können.

Gefrierschäden sind eines der grossen technischen Probleme der Kryonik. Anbieter wie Tomorrow Biostasis greifen deshalb auf eine spezielle Technik zurück. Das Blut des Kunden wird durch eine Art Frostschutzmittel ersetzt und der Körper extrem rasch auf enorm tiefe Temperaturen gekühlt. Das soll eine Kristallisation der Zellen verhindern.

Erste Erfolge mit neuen Tiefkühltechniken

Reproduktionsmediziner wenden ganz ähnliche Methoden seit Jahren an. Sie machen durch eine Art Schockfrost Eizellen, Spermien und kleinere Gewebeproben für lange Zeit haltbar. Bei grösseren Geweben ist das viel komplexer, unter anderem, weil der Kühlprozess viel länger dauert.

Inzwischen gibt es auch hier erste Erfolge mit neuen Tiefkühltechniken. So gelang es Wissenschaftlern, die Niere eines Kaninchens so einzufrieren und aufzutauen, dass sie wieder voll funktionsfähig war. Eine andere Forschungsgruppe fror ein ganzes Rattenbein ein und nähte es dem armen Tier nach dem Auftauen wieder an. Drei Tage lang funktionierte der Blutkreislauf im aufgetauten Beinchen.

Kryoniker führen gern Beispiele aus dem Tierreich als Beweis dafür an, dass ganze Körper über längere Zeiträume hinweg in der Kälte schadlos überdauern können. Erst kürzlich haben russische Forscher ein Rädertierchen aus dem sibirischen Permafrost aufgetaut. Obwohl es über 20'000 Jahre im ewigen Eis begraben war, begann es sich wieder zu regen – und vermehrte sich sogar.

Allerdings sind Rädertierchen mikroskopisch klein. Zudem steckte das Tierchen noch voller Lebenskraft, als es zu Eis erstarrte. Kryoniker hingegen sind zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Und selbst wenn ihre Wiederbelebung gelänge, kann man sich Verlockenderes vorstellen, als im Körper eines 90-Jährigen ein neues Leben zu beginnen.

«Sinnvoll ist eine Wiederbelebung nur, wenn man sie mit einer Verjüngung des Körpers kombiniert», sagt auch der Kryoniker Burgermeister. Er glaube aber, dass das vielleicht sogar das am einfachsten und schnellsten zu lösende Problem der Kryonik sei. Für die Entwicklung einer Zellverjüngungsmethode erhielten Forscher im Jahr 2012 den Nobelpreis für Medizin. Seither werden riesige Geldsummen in das Forschungsgebiet gesteckt.

Aufbewahrungstanks im Cryonics Institute, USA

Dem Tod trotzen? Aufbewahrungstanks im Cryonics Institute in den USA.

Quelle: Wikipedia Commons

Vielleicht braucht es irgendwann aber gar keine Wiederbelebung mehr. Dann nämlich, wenn Visionen Realität werden, wie sie seit Stanley Kubricks «2001: A Space Odyssey» fast jeder Science-Fiction-Film auf die Leinwand bringt: Astronauten fliegen im Tiefschlaf zu Jahrzehnte entfernten Sternen – ohne zu altern. Ein Luftschloss aus Hollywoods Ideenküche? Die Europäische Weltraumagentur (ESA) hat im Hinblick auf mögliche Marsmissionen mehrere Projekte lanciert, um zu untersuchen, ob Menschen in eine Art Winterschlaf versetzt werden können.

Einer der beteiligten Wissenschaftler ist Vladyslav Vyazovskiy von der britischen Universität Oxford. Viele Tierarten, darunter auch einige mit dem Menschen eng verwandte Primaten, hätten die Fähigkeit, ihren Stoffwechsel und ihre Körperfunktionen in schwierigen Zeiten auf Sparflamme zu setzen, sagt der Schlafforscher. Theoretisch sei deshalb so etwas durchaus auch beim Menschen möglich.

Wenn das gelingt, müssten sich Kryoniker nicht mehr einfrieren, sondern könnten sich kurz vor ihrem Tod in Tiefschlaf versetzen lassen. «Das würde irreversible Schäden verhindern und die Aussichten verbessern, den Körper zumindest in den Zustand kurz vor seinem Tod zurückzuholen», sagt Vyazovskiy dem Beobachter. Doch davon sei man noch sehr weit entfernt. Es gebe keine schnelle einfache Lösung dafür. Die Forschung verstehe noch nicht einmal, was Schlaf ist.

In kleinen Schritten zum Ziel

Dass es keine Abkürzungen in die Zukunft gibt, ist Patrick Burgermeister bewusst. Mit eigenen Forschungsprojekten will seine European Biostasis Foundation aber dazu beitragen, der Kryonik den Ruch einer Pseudowissenschaft zu nehmen. In Rafz will die Stiftung daran tüfteln, wie sich Zellschäden mit verbesserten Substanzen oder mithilfe weniger tiefer Aufbewahrungstemperaturen vermeiden lassen.

Das klingt fast etwas prosaisch in der fantastisch-skurrilen Welt der Kryonik. Doch Burgermeister ist überzeugt, dass kleine Fortschritte irgendwann eine Lawine auslösen. «Wir Menschen tendieren dazu, die Dynamik neuer Entwicklungen zu unterschätzen«, sagt er. Ein Durchbruch – und das Interesse von Investoren und Forschern ist geweckt. Dann beschleunigen sich die Fortschritte. «Ich halte es für nicht unrealistisch, dass wir in 50 Jahren Menschen zum Leben erwecken können.»

Burgermeister selber wäre dabei. Selbstverständlich habe er einen Vertrag mit Tomorrow Biostasis und habe sich im Rafzerfeld eine vorübergehende Ruhestätte gesichert.

Der Beobachter-Newsletter – wissen, was wichtig ist.

Das Neuste aus unserem Heft und hilfreiche Ratgeber-Artikel für den Alltag – die wichtigsten Beobachter-Inhalte aus Print und Digital.

Jeden Mittwoch und Sonntag in Ihrer Mailbox.

Jetzt gratis abonnieren