Oft ernte ich schräge Blicke. Darin die unausgesprochene Frage: Was ist denn das für eine? Manchmal antworte ich nur: «Ich mache das zur Erholung» – und muss dann selbst lachen. Aber wenn ich genauer erkläre, wie ich meine Montagnachmittage verbringe, bekomme ich Verständnis für meine Tätigkeit als Katzenstreichlerin. Warum Katzen? Ich weiss es nicht. Vielleicht liegt es an ihrem Fell. Und an ihrem sanften, eigensinnigen Wesen.

Früher arbeitete ich als Sekretärin in einem Teppichladen. Das gab ich vor der Geburt der beiden Söhne auf. Ich engagierte mich in der Spielgruppe, später beim Seniorentreff. Bis mein Mann Bruno mich darauf brachte, dass auch Heimtiere ehrenamtliche Betreuer brauchen. So führten wir Heimhunde spazieren. Und ich blieb dabei, als Bruno sich dann lieber den umliegenden Reben widmete.

Dann erfuhr ich, dass das Aargauer Tierheim Freiwillige suchte, die mit den Büsi schmusen und die scheuen Tiere sozialisieren. Nun bin ich bereits seit zwölf Jahren Katzenstreichlerin.

Aristoteles kam mit zehn ins Heim

Erst begrüsse ich die Ferienbüsi. Manche jammern, weil sie ihr Daheim vermissen. Ich setze mich auf den Boden, lasse sie zu mir kommen. Und widme mich hauptsächlich den Ängstlichen unter ihnen. Wenn die bloss ihre Geschichten erzählen könnten: diejenigen, die von ihren Besitzern einfach weggegeben wurden, oder die wilden Findelkatzen.

Der schwarze Perser Aristoteles zum Beispiel isst kaum und faucht mich an. Ich weiss, dass es ihm nicht gut geht, und ich sage ihm das auch, rede ihm beschwichtigend zu. Auf dem Zettel an der Käfigtür steht, dass Aristoteles eine zehnjährige Wohnungskatze ist. 

Aristoteles

Quelle: Tanja Demarmels

In dem Alter ist der Umzug ins Heim Stress pur. Ich will dem Tier zeigen, dass Menschen nichts Böses im Sinn haben. Denn ein ganz scheues Büsi können wir nicht vermitteln. Eine Stunde sitze ich bei ihm. Er weicht nicht von seinem Versteck im Flechtkorb.

Masch hat sich den Hals verrenkt

Immer wieder ruft der jüngere Masch daneben nach mir. Er kann es fast nicht erwarten, bis ich in seinen Raum komme, streicht putzmunter um meine Beine, obwohl er sich den Hals verrenkt hat und schräg in die Welt blickt. Das struppige Viechli hatte wohl einen Unfall. «Du musst dich erst einmal erholen, gell», sage ich und reiche ihm eine doppelte Portion Fleisch.

Zu uns kommen auch Tiere aus anderen Schweizer Heimen, die überfüllt sind. Meist aus der Romandie. Es scheint, dort finden sie schwerer ein neues Zuhause. Manche musste man befreien, einer hielt 47 Katzen. Und das in einer Zweizimmerwohnung! Sie tauten erstaunlich schnell auf, wie auch der Britisch-Kurzhaar-Kater Sultan, der anfangs sehr misstrauisch war. Jetzt springt er sogar auf meinen Schoss! Sultan atmet leicht grunzend durch die eingedrückte Nase. Mir tut das weh.

Inzwischen übernehme ich auch das Füttern und Putzarbeiten. Den Pflegern bleibt oft keine Zeit fürs Kuscheln. Daher unterstützen wir zwölf Katzenstreichler sie, und stets melden sich weitere Freiwillige. Es ist eine Art Wellnesskur: Zehn Minuten Katzenstreicheln, sagt man, baut Stress ab. Ich widme mich den Katzen aber so sehr, dass ich erschöpft heimkomme. Erst dann lasse ich wie in einem Film Revue passieren, was ich erfahren habe. Wenn mir ein wildes Büsi erstmals Vertrauen geschenkt hat, ist das eine riesige Freude.

«Wenn mir ein wildes Büsi Vertrauen schenkt, ist das eine riesige Freude.»

Margot Willimann

Ich weiss, man könnte meinen: Die kann nur mit Tieren und weniger mit Menschen. Das stimmt nicht. Ich turne mit Leuten aus dem Dorf und kuschle auch gern mit meinem Mann. Nur: Tiere brauchen unsere besondere Zuwendung. Bis vor 13 Jahren galten sie gesetzlich nicht einmal als Lebewesen. Zum Glück erhöht man jetzt allmählich die Strafen für Missbräuche an ihnen.

Ich lerne immer wieder Neues über Tiere, auch im abonnierten Katzenmagazin und in der Fachliteratur. In unserem Garten in Remigen im Kanton Aargau hängt ein Bienenhotel, Schmetterlinge schlüpfen im Fenchelkraut, und Vögel finden bei uns Nahrung. Kitti und Shinga, unsere beiden Büsi, räkeln sich am liebsten in der Katzenminze.

Mein Sohn hat nun auch ein Büsi

Früher, da haben wir drei Schwestern unseren Katzen Bäbikleider angezogen – was die alles mitgemacht haben! Mein Sohn Jürg hat sich auch ein Büsi zugelegt. «Als ich das Tierli sah, wusste ich, dass Jürg ein Guter ist», hat meine Schwiegertochter mal gesagt. Es stimmt schon: Katzen sind ein Hinweis auf Einfühlsamkeit. Natürlich verliebe ich mich immer wieder in ein Heimbüsi. Aber noch eins könnte ich mit 75 nicht aufnehmen. Ich habe im Tierheim gelernt loszulassen. Mein Mann mag ohnehin lieber Hunde. Doch inzwischen hat er auch gemerkt, dass Büsi einem viel geben.

Aber was wirklich in Katzen vorgeht, das weiss ich bis heute nicht.