«Wie stehe ich denn nun vor meinem Gast da?» Thomas M. ist sauer. Er wollte sich bei seinem tunesischen Freund für die Gastfreundschaft revanchieren, die er in dessen Heimatland geniessen durfte. Aus diesem Grund lud er den Tunesier zu sich ein, um ihm einmal die Schweiz zu zeigen.

Doch es kam alles ganz anders. Thomas M.s Gast wurde beim Treffpunkt in der Halle des Zürcher Hauptbahnhofs von Bahnpolizisten aufgegriffen, festgenommen und umgehend der Kantonspolizei übergeben.

Der Vorwurf der Bahnpolizei: Der Ausländer habe keinen Pass und kein Visum auf sich getragen. Zudem sei er auf dem Bahnhof «herumgelungert». Erst nachdem Thomas M. Pass und Visum beim Polizeiposten zur Kontrolle vorbeibrachte, wurde sein tunesischer Freund wieder auf freien Fuss gesetzt.

Völlig veraltetes Gesetz
Es mag sein, dass Ausländer in der Schweiz Pass und Visum auf sich tragen sollten, aber ist es wirklich Sache der Bahnpolizei, das zu überprüfen? «Für eine Personenkontrolle braucht es einen wichtigen Grund», sagt Helen Stähelin, Leiterin der Zürcher Bahnpolizei. «Herumhängen allein genügt nicht.» Nur Leute, die sich während längerer Zeit im Bahnhof aufhalten, würden unter Umständen von Bahnpolizisten angesprochen, so Stähelin. «Zudem stehen wir bei Personenkontrollen immer in engem Kontakt mit der Kantonspolizei.»

Wer allerdings nach der gesetzlichen Grundlage für solche Aktionen sucht, entdeckt Erstaunliches: Die Bahnpolizei stützt ihr Tun nämlich auf ein Bundesgesetz aus dem Jahr 1878! Darin geht es unter anderem darum, dass Treibvieh, Fuhrwerke und Reiter den Bahnverkehr nicht gefährden sollen. So schreibt das Gesetz zum Beispiel vor, dass zehn Minuten vor dem Eintreffen eines Bahnzugs keine Herde mehr über die Gleise getrieben werden dürfe. Und: «Nur in diesem Zusammenhang werden die Beamten der Bahn den kantonalen Polizeibediensteten gleichgestellt.» Mit anderen Worten: Personenkontrollen wie im Fall des Freundes von Thomas M. stehen auf wackligen Beinen.

Auch Helen Stähelin räumt ein, dass dieses Gesetz eine etwas «schwammige» Grundlage für die heutige Arbeit der Bahnpolizei darstelle. «Immerhin sind darin aber ein Teil unserer Massnahmen abgedeckt.»

Dass das Bahnpolizeigesetz nicht mehr zeitgemäss ist, stellte der Bundesrat bereits im Jahr 1956 in seiner Botschaft zum Eisenbahngesetz fest. Doch dann tat sich lange nichts.

Erst 1987 wurde die Rolle der Bahnpolizei durch den Bundesrat klar definiert: «Die Bahnpolizei sorgt vorab im Bahnbereich für die Sicherheit des Bahnbetriebs und den Komfort der Bahnkunden.» Laut Bundesrat dürfen Bahnpolizisten lediglich Rapporte erstellen und diese an die Polizeibehörden weiterleiten.

Neues Gesetz kommt – bald
Die Revision des Bahnpolizeirechts wurde jedoch bis heute aufgeschoben. Immerhin: Laut Heinz Schöni vom Bundesamt für Verkehr wird sich bald etwas tun: «Die Bahnpolizeireform ist Gegenstand eines laufenden Projekts. Bis ein neuer Gesetzesentwurf vorliegt, kann es allerdings noch etwas dauern.»

Bis dahin kontrolliert die Bahnpolizei munter weiter – egal, ob das erlaubt ist oder nicht.