Für das Prädikat «Stadt» dürfte es auch dieses Jahr nicht reichen: Romanshorn wird mit seinen rund 9500 Einwohnern wohl wieder knapp an der 10'000er-Hürde vorbeischrammen. Das Herz der Thurgauer Bodenseegemeinde schlägt allenfalls gemächlich. Selbst an einem Montag kurz vor Mittag sind die Strassen weitgehend bevölkerungsfrei. Parkplätze, sogar beim Bahnhof, sind in dieser Siedlungsstätte nie Mangelware. Immer wieder trifft man auf geschlossene Laden- und Restaurationslokale. Der Hafen ist von einem Fracht- zu einem Freizeit- und Fährhafen mutiert, das Traditionshotel «Schloss» schloss letztes Jahr seine Pforten.

Kein Wunder, mag man das Attribut «aufstrebend» im Zusammenhang mit Romanshorn allenfalls widerstrebend benutzen, auch wenn Gemeindeschreiber Thomas Niederberger andere Träume hat und sein Fleckchen Erde wie sauer Bier anpreist: «Das Stellenangebot ist steigend, die Immobilienpreise sind verlockend.»

Eine solche Immobilie ist der mittlerweile leerstehende Polizeiposten an der Neustrasse. Ihm droht allerdings eine ungewisse und nach Meinung vieler unwürdige Zukunft. Die beiden in der Bevölkerung äusserst umstrittenen, aber nicht unwahrscheinlichen Lösungen für die Lokalität, die bis vor kurzem noch ganz im Zeichen von Recht und Ordnung stand: ein Rotlicht-Etablissement oder eine Moschee. Ersteres würde sich nahtlos in die Riege der rund 15 bereits bestehenden Bordelle einreihen. Romanshorn, die Rotlicht-Hochburg am Bodensee.

Keine monetären und schon gar keine fleischlichen Beweggründe hat die albanisch-islamische Gemeinschaft, die den Polizeiposten zu einem Gebetshaus umnutzen will. Immerhin über 500 Einwohner von Romanshorn gehören der mazedonisch-albanischen Bevölkerungsgruppe an und bilden damit die grösste ethnische Gemeinde.

Massiver Männerüberschuss
Wenigstens in Sachen Multikulti mutet Romanshorn durchaus städtisch an: Menschen aus 28 Nationen leben hier und stellen über einen Viertel der Bevölkerung. Der Fischhändler ist Portugiese, die Mishtore-Metzgerei albanisch. Sechs Kebabstände allein wollen ihre gefüllten Brottaschen an den Hungrigen bringen. Etliche der alten «Pöstli», «Hörnli» und wie sie alle heissen sind heute Thai-Restaurants. Selbst ein Karibik-Imbiss buhlt um Kunden - vorab mit dem verlockenden Angebot: die Stange Bier für nur Fr. 2.80.

Dem Heimweh begegnen die Ausländer mit eigenen Begegnungszentren: Gleich sechs Klubs finden sich in der kleinen Dorfmitte von Romanshorn, die sich zwischen Hafenbecken, Bahnhof und Alleestrasse erstreckt und eigentlich kaum als solche wahrgenommen wird. Sie sind Treffpunkt, erweiterte Stube, kurz: Heimatersatz. Ihnen gemein sind eine eher spärliche Innendekoration, riesige Fernsehgeräte, Neonlicht und - ausser bei den Thais - ein massiver Männerüberschuss.

Der Albaner-Treff «Klubi Bashkimi» (siehe unten) liegt an bester Lage an der Alleestrasse, Romanshorns «Flaniermeile». Das ehemalige Ladenlokal Stockmatt ist seit über 20 Jahren fest in albanischer Hand. Rund 35 Männer haben sich an diesem Sonntagabend eingefunden. Frauen sind nicht nur Mangelware, sondern schlichtweg inexistent. «Die sehen all die Männer und denken: ‹Was soll ich hier?›», erklärt Klubchef Iseni Dzevit.

«Wir sind eher laut»
Seit eineinhalb Jahren betreibt er das Lokal. Die kalte, ungewöhnlich kräftige blaue Farbe, in der sämtliche Wände und Decken gestrichen sind, geht auf sein Konto. «Die Winter sind schlecht», sagt er mit einem schiefen Grinsen, «aber die Sommer sind noch schlechter.» Trotzdem sei es gut, ein eigenes Lokal zu haben: «Wir sind eher laut und deshalb auch schon mal aus Restaurants rausgeflogen. Zudem kann man in den meisten Kneipen nicht stundenlang vor einem einzigen Getränk sitzen, ohne dass der Wirt sich daran stört.»

Lange am gleichen Drink nippen kann man auch bei Taner Askoy im Türkenklub, dem «Perkeo». Den gibt es sogar schon seit 30 Jahren, er galt zeitweise als gutes Speiselokal. Seit einiger Zeit bleibt die Küche aber meist kalt: «Seit rund zehn Jahren geht es mit der Gastronomie bergab, es lohnt sich einfach nicht mehr.» Seinen Gästen ist das egal, solange sie hier rauchen, trinken, Karten spielen, Fussball schauen, diskutieren und Darts werfen können. Und im Notfall doch ein Sandwich kriegen.

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Portugiesenklub «Europa»: Er befindet sich rund 40 Meter hinter der Romanshorner Gemeindegrenze in Salmsach - der zweite Portugiesenklub im Umkreis von 1,8 Kilometern.

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Italienertreff «Club Campania»: Der Treff an der Hirschhalde 10 ist weniger ein Klub von Heimweh-Italienern denn ein Speiserestaurant. Der Renner: Pizza. Ein Wirtepatent hat die Betreiberfamilie Vincenzo aus dem süditalienischen Salerno nicht, nur eine Klublizenz; die Öffnungszeiten sind denn auch eingeschränkt. Trotzdem: Das Geschäft läuft so gut, dass Chef Pasquale, 23, erweitern will. Das Baugesuch ist eingereicht.

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Portugiesischer Moto-Klub «Os Latinos»: Seit drei Jahren trifft man sich an der Alleestrasse 9, im ehemaligen Restaurant Dufour. Jetzt, abends um zehn, riecht es im «Os Latinos» nach Javelwasser. Grossputz. Denn morgen wird dem Gilb vergangener Jahre mit frischer Farbe der Garaus gemacht.

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Multikulti-Wohnstube «Club Español»: Auf dem Schild draussen steht «Club Español», drinnen findet sich was anderes. Der Schweizer Max Stingelin, 37, schmeisst den Laden an der Bankstrasse 4, gehören tut er drei Italienern, frequentiert wird er unter anderem von Udo, einem Ostfriesen. Die meisten Besucher dieser erweiterten Wohnstube sind tätowiert. Aus den Boxen quäken die Texas Tornados, Darts-Urkunden gilben vor sich hin. «Es müsste mehr solcher Orte geben, wo alle möglichen Leute zusammenkommen», sagt Max und nippt an seinem Veterano, «das würde der Schweiz guttun.»

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Albanerklub «Klubi Bashkimi»: Kühles Blau und dicke Rauchschwaden umfangen den Besucher des Albanertreffs an der Alleestrasse 24. An der Wand hängt ein Bild des kosovarischen UÇK-Kämpfers Adem Jashari, im Nebenzimmer werden Haare geschnitten und Schnauzer getrimmt.

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Thailändertreff «Rüan Thai»: Die Thais aus der Region treffen sich in einem winzigen Laden mit Restaurationsbetrieb an der Bankstrasse 2. Vor zwei Jahren brannte das Lokal aus, doch Besitzer und Koch Seri Pruktayanont nahm einen neuen Anlauf. Er unterrichtete früher in Zürich Kung Fu und Thaiboxen. Noch heute trauert er seinem besten Schüler nach, den er mit einem Foto an seinem Hausaltärchen verewigt hat.

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Türkenklub im «Perkeo»: Seit über 30 Jahren logiert der Klub im Restaurant Perkeo an der Bahnhofstrasse 67. Drinnen wird bei Lokalchef Taner Aksoy, 37, Karten gespielt, Fussball geschaut, Bier getrunken, geraucht. Taners Onkel Ylmaz spielte 1978 im Fussballverein ihres Heimatdorfs Evciner. Er ist auf dem Teamfoto der Zweite von rechts in der unteren Reihe. Heute betreibt er 200 Meter die Strasse runter den «Class Imbiss», einen der sechs Romanshorner Kebabstände.