Ein unscheinbares Dörfchen unweit des Sempachersees. Ländlich geprägt mit über 80 Bauernhöfen. Ein Industriequartier. So lässt sich Buttisholz LU beschreiben. Doch just dieses 3400-Seelen-Dorf erprobt, wie eine nachhaltige Zukunft aussehen könnte. Denn weltweite Probleme wie die Klimaerwärmung lassen sich am besten im Dorf lösen, davon ist René Ziswiler überzeugt.

Er hat in Buttisholz die Plattform «Zukunftsgemeinde» aufgebaut und erarbeitet gemeinsam mit deren Mitgliedern Modelle für eine kommunale nachhaltige Entwicklung. «Unser Dorf soll ein Prototyp für andere Gemeinden werden», sagt Ziswiler. Wie das funktionieren soll, erzählt der Ur-Buttisholzer in der Ideenschmiede und Planungszentrale der Zukunftsgemeinde – einem schlichten Raum im ehemaligen Schulhäuschen von «Budishouz», wie es auf Luzerndeutsch heisst.

Man kennt und unterstützt sich

Bei der nachhaltigen Entwicklung bleibe man oft im Denken stecken und komme nicht ins Handeln, sagt der ehemalige Leiter der Messe Luzern. Durch sein Mitwirken in der Ortsplanungskommission und der Zentrumsentwicklung von Buttisholz hat er gemerkt, dass sich Nachhaltigkeit auf Gemeindeebene besser umsetzen lässt als auf kantonaler oder nationaler. «Im Dorf kennt man sich und kann den Leuten einen direkten Nutzen aufzeigen.»

Der Plan der Zukunftsgemeinde: In sieben sogenannten Reallabors arbeiten Akteurinnen und Akteure aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft eng zusammen. Geht es im Reallabor Energie darum, die Energiewende bis 2035 zu schaffen, fördert man im Bereich Ernährung gesunde, lokal produzierte Lebensmittel. Das Reallabor Wirtschaft setzt sich für mehr attraktive Arbeitsplätze in der Gemeinde ein. Jenes für Bildung organisiert Projekte wie den Schulgarten oder Energiemanagementkurse für Eigenheimbesitzer. Die Labors Gesundheit und Soziales sollen unter anderem Menschen – auch ältere und solche mit Beeinträchtigungen – vernetzen, so dass sie sich gegenseitig unterstützen können. Das Kultur-Reallabor hilft Kulturschaffenden und vereinen, ihre Ressourcen zu bündeln, um grössere Projekte zu ermöglichen.

In Buttisholz wird nicht das Rad neu erfunden. Man schneidet auf die Gemeinde zu, was sich andernorts bewährt hat. Etwa beim Reallabor, das am weitesten fortgeschritten ist: dem Energie-Hub Buttisholz, der seit 2021 die Energiewende im Dorf managt. Dabei werden unter anderem die Elektrizitäts- und die Wärmeproduktion effizient kombiniert. Auf dem Bauernhof von Georg Hodel zeigt sich, was gemeint ist. Im ehemaligen Kuhstall steht ein Holzgas-Blockheizkraftwerk, das regionale Holzabfälle zu Strom, Wärme und Pflanzenkohle verarbeitet. Es liefert Strom für rund 670 Haushalte – etwa die Hälfte der Haushalte im Dorf. Mit der Abwärme werden aktuell 200 Haushalte beheizt.

Unabhängig werden

Hodel will vor allem eins: «Wegkommen von Öl und Gas, denn mit diesen fossilen Energieträgern unterstützen wir autoritäre Regime finanziell und machen uns von ihnen abhängig», sagt er und nennt als Beispiel Russland und den Ukrainekrieg. «Wir haben eine Mitverantwortung gegenüber den Menschen, die von solchen Kriegen betroffen sind.» Der Landwirt hat nicht zuletzt deshalb schon vor einiger Zeit eine Solarinstallationsfirma gegründet. Von seiner Erfahrung profitiert wiederum der Energie-Hub, der Liegenschaftsbesitzer auf lohnenswerte Solar-standorte aufmerksam macht und bei der Umsetzung hilft.

Ihre Arbeit zahlt sich aus: Buttisholz hat Ende 2022 im Vergleich zum Kantonsdurchschnitt weit über das Doppelte an Solarleistung pro Person installiert. «Das ist natürlich nicht nur unser Verdienst, aber wir haben bestmöglich dazu beigetragen», sagt Manuel Hebler vom Energie-Hub.

Fernwärmenetz ausbauen

Aktuell entwickeln die Mitglieder des Energie-Hubs gemeinsam mit Sympheny, einem Spin-off der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa), eine optimale Energieversorgung für die Gemeinde. Biogas zur Strom- und Wärmeproduktion bietet sich dank den vielen Bauernbetrieben besonders an. Probebohrungen auf Georg Hodels Hof sollen zeigen, ob mit einem Erdsondenfeld im Untergrund die Abwärme des Blockheizkraftwerks im Sommer für den Winter gespeichert werden kann. Das Fernwärmenetz soll ausgebaut werden, wo es sich aufgrund der Gebäudedichte lohnt. Abgelegene Liegenschaften könnten künftig auch mit einer Wärmepumpe beheizt werden. Für die Vereinsmitglieder ist klar: Das Resultat muss sich rechnen. «Was wir hier machen, ist lokale, nachhaltige Wertschöpfung. Wir nutzen eine finanzielle Chance», sagt Manuel Hebler.

Auch mit der Hochschule Luzern (HSLU) stehen Ziswiler, Hebler und ihre Verbündeten im Austausch. Ulrike Sturm ist Leiterin des Instituts für Soziokulturelle Entwicklung an der HSLU und beschäftigt sich mit der Frage, wie man die Energiewende in der Gemeinde breit abstützen kann. Sie ist überzeugt, dass der umfassende Ansatz der Zukunftsgemeinde ein Modell für andere werden kann. «Oft fehlen den Behörden kleiner und mittlerer Gemeinden die Ressourcen, um eine umfangreiche, nachhaltige Entwicklung rasch voranzutreiben», sagt sie. Dadurch bleibe die Energiewende häufig bei den Projekten stecken, die ohne grösseren Aufwand umsetzbar seien. Warum das in Buttisholz nicht passiert ist? Ziswiler und seine Mitstreiter stehen in engem Kontakt mit Bund und Kanton, beantragen Fördergelder und bauen sich ein Netzwerk und Know-how auf.

Das klingt alles gut – aber was halten die Leute im Dorf davon? «Solche Entwicklungen stossen am Anfang naturgemäss auf viel Skepsis», sagt der Buttisholzer Gemeindepräsident Franz Zemp. So schimpft manch einer die Reallabors eine Spinnerei, und es kommt vor, dass sich Ziswiler und Hebler bei Dorffesten dem einen oder anderen lange erklären müssen. Zemp spricht von einem Prozess. Der Gemeinderat trage, wo immer möglich, mit guten Rahmenbedingungen zum Gelingen bei. Und: «Die Projekte werden je länger, je mehr von der Bevölkerung befürwortet – besonders da, wo konkrete Resultate sichtbar werden.»

Lob und Kritik

Wenn man sich auf der Strasse umhört, gehen die Meinungen auseinander. Ein junger Arbeiter findet es gut, dass das Dorf mit erneuerbaren Energien vorwärtsmacht. «Wegen der Klimaerwärmung kommt das bei den Jungen auf jeden Fall gut an.» Eine Seniorin lobt, dass in Buttisholz viel in Bewegung sei. «Man merkt, dass die Menschen hier eine positive Entwicklung vorantreiben.» Kritik äussert ein älterer Einwohner: «Es wird wahnsinnig viel erzählt und geplant, aber wer soll das alles machen, und verhebets am Schluss?»

Lob und Kritik ernten die Mitglieder der Zukunftsgemeinde auch für ein weiteres Projekt: Der Local-Food-Hub will lokale gesunde Ernährung fördern und bis 2030 unter dem Markennamen «Landparade» 15 bis 20 Selbstbedienungsläden mit lokalen Produkten in der Region eröffnen. Die Läden sollen über eine Smartphone-App jederzeit zugänglich sein. Wem das zu umständlich ist, der nutzt die Zeitfenster mit Bedienung. Vorgesehen ist auch eine Grossküche, in der frische Lebensmittel verarbeitet werden. Mitten in Buttisholz, auf dem Areal Gass 1911, das ursprünglich für Neubauten vorgesehen war, sind bereits der Schulgarten und ein Kräuterfeld entstanden, bald soll auch der erste Landparade-Dorfladen folgen.

Zwar wollen bereits 14 Bauernbetriebe die Landparade-Läden mit Produkten beliefern, doch längst nicht bei allen Landwirten kommt das Vorhaben gut an. «Es gibt schon Hofläden in der Region und Geschäfte mit hiesigen Lebensmitteln im Sortiment», sagt Bauer Alois Bühler. «Aber die Kundschaft, die bereit ist, für lokale nachhaltige Produkte mehr zu zahlen, hält sich arg in Grenzen.» Die Landparade-Geschäfte würden Konkurrenz in einem bereits schmalen Kundensegment schaffen. Gerade bei tierischen Produkten sei der Preiskampf ohnehin schon enorm. Jungbäuerin Aline Purtschert-Portmann sieht die Landparade-Läden dagegen durchaus als Chance. «Wenn die Kundschaft an einem zentralen Ort eine grosse Auswahl regionaler Produkte findet, kauft sie da eher auch öfter und bewusster ein.» Denn das sei wesentlich attraktiver, als zu vier verschiedenen Hofläden oder Geschäften fahren zu müssen. «Zudem denke ich, dass die lokale Bevölkerung gern die Produzenten aus der Umgebung unterstützt, die sie vielleicht sogar persönlich kennt.»

Auch Schweden zeigt Interesse

Mögen die Projekte in Buttisholz selbst noch umstritten sein – in anderen Gemeinden hat man längst gemerkt, dass in diesem Luzerner Dorf etwas Besonderes vor sich geht. Geuensee LU, Vaduz (FL) und die oberbayerische Gemeinde Buch stehen bereits im Austausch mit Ziswiler. Sogar einer schwedischen Delegation durfte er das Konzept des Energie-Hubs vorstellen. Auch der Gemeinderat von Münchwilen AG war im vergangenen Jahr auf Erkundungstour vor Ort. Noch diesen Sommer wollen die Aargauer Gemeinden Münchwilen, Stein, Eiken und Sisseln den Verein Reallabor Sisslerfeld gründen, ganz nach der Vorlage des Energie-Hubs Buttisholz. «Wenn es hier funktioniert, kann es auch in anderen Gemeinden funktionieren», ist René Ziswiler überzeugt. «Vielleicht gelingt es uns, einen Dominoeffekt zu erzeugen.»

So startet man eine ­Zukunftsgemeinde

Für den Start braucht es vier, fünf Personen, die sich fünf bis acht Stunden pro Woche ehrenamtlich engagieren und den Prozess in engem Kontakt mit Gemeinderat und weiteren Beteiligten vorantreiben. Es ist von Vorteil, wenn jemand die Gemeindestrategie oder die kommunalen und regionalen Richtpläne kennt und die Arbeit darauf abgestimmt ist. Es hilft, wenn das Projekt politisch abgestützt ist. Holen Sie sich Hilfe und Know-how bei Hochschulen sowie Kantons- und Bundesbehörden und fragen Sie nach möglichen Förderbeiträgen. Vertrauen und persönlicher Kontakt sind enorm wichtig. Bürgerinnen und Bürger, Quartiervereine, Gewerbe und Landwirtschaft sollten deshalb früh involviert und regelmässig informiert werden. Eine Website, ein Newsletter oder Veranstaltungen wie ein Energie-Apéro helfen dabei.