«Es ist schlicht eine Schweinerei. Wir sind alle auf das Geld angewiesen», empört sich Enzo Gagliani*. Der Tunnelarbeiter kommt eben von der Nachtschicht im Albula-Tunnel der Rhätischen Bahn. Sieben Tage die Woche wird die Röhre rund um die Uhr vorangetrieben. Bis zum Durchstich in der zweiten Jahreshälfte sind noch gut 2400 Meter Granit zu überwinden.

Doch bei zwei Dutzend Mineuren ist die Motivation im Eimer. Kein Wunder: Sie warten immer noch auf den Dezemberlohn. Auch der Dreizehnte und die Ferienentschädigungen fürs letzte Jahr wurden ihnen nicht ausbezahlt. «Wenn man zwei Monatslöhne nicht erhält, ist das hart. Vor allem wer Familie hat, muss den Gürtel enger schnallen», sagt Gagliani.

Der säumige Arbeitgeber heisst Società italiana per condotte d’acqua. Die Condotte realisiert auf der ganzen Welt Grossprojekte. Sie steckt in der Krise. Anfang Jahr musste sie die Bilanz deponieren. Im März der nächste Paukenschlag: Der Staatsanwalt von Messina auf Sizilien ordnete die Verhaftung von Condotte-Chef Duccio Astaldi und fünf weiteren Mitgliedern des obersten Managements an. Astaldi soll für den Ausbau eines Autobahnteilstücks auf Sizilien die öffentliche Ausschreibung umgangen und Verantwortliche bestochen haben – mit Schmiergeldern von umgerechnet 1,6 Millionen Franken. Für Astaldi gilt die Unschuldsvermutung.

Die Konkurrenz unterboten

Der Albula-Tunnel ist nicht das erste Grossprojekt der Condotte in der Schweiz. 2009 erhielt sie als Partner im Baukonsortium den Zuschlag für den Monte-Ceneri-Basistunnel von Camorino nach Vezia. Knapp eine Milliarde Franken war der Auftrag schwer, fünf internationale Arbeitsgemeinschaften hatten sich beworben. Die Condotte-Cossi habe unter Berücksichtigung aller Vergabekriterien das wirtschaftlich günstigste Angebot eingereicht, begründete die Bauherrin Alptransit Gotthard den Entscheid. 70 Millionen Franken günstiger als die Konkurrenz hatte die Condotte offeriert. 

Was die Alptransit Gotthard nicht sagte: Nur gerade ein Jahr vor der Vergabe hat die Condotte-Cossi das Anti-Mafia-Zertifikat verloren. Es ist in Italien Voraussetzung für die Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen. Ohne Zertifikat erhält keine Firma einen Auftrag vom italienischen Staat.

Ginge es nach dem Tessiner CVP-Nationalrat Fabio Regazzi, hätte die Condotte weder den Auftrag für den Albula- noch für den Monte-Ceneri-Tunnel erhalten dürfen. «Führungskräfte der Condotte sind in mehrere Anti-Mafia-Verfahren verwickelt. Wir Schweizer sind in dieser Hinsicht etwas blauäugig.» Vor allem auf der Nordseite des Gotthards fehle oft das Bewusstsein dafür, dass die Mafia eine real existierende Verbrecherorganisation ist, die mit ihren Aktivitäten nicht an Landesgrenzen haltmacht .

«Diese dubiosen italienischen Firmen können zu Dumpingpreisen offerieren, weil es oft um Geldwäsche geht. Sie arbeiten mit falschen Rechnungen oder kaufen minderwertiges Baumaterial ein», sagt Regazzi. Den ehrlichen Unternehmen entstehe so ein enormer Schaden.

Bei der Planung gepfuscht

Oft werde das Argument vorgebracht, man könne den Auftrag ohnehin nicht an einen teureren Anbieter vergeben – weil die Gerichte das als wettbewerbswidrig kassieren. Doch Fabio Regazzi verweist auf ein aktuelles Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Für die Renovation eines Autobahnabschnitts der A 2 zwischen Airolo und Quinto bewarb sich die Condotte mit der günstigsten Offerte. Den Zuschlag erhielt aber ein anderes Konsortium mit mehr Erfahrung. Das Bundesverwaltungsgericht stützte diesen Entscheid.

Brisant: Als Referenz hatte die Condotte den Bau eines Autobahnabschnitts bei Reggio Calabria angegeben. Dazu gehörte auch ein Tunnel. Planungsfehler gefährden dort die Autofahrer, schloss die Staatsanwaltschaft von Vibo Valentia und verfügte im April 2016 die Schliessung.

Dem Bundesrat scheint die Problematik bewusst zu sein. Die Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen verlangt neu, dass ein Auftraggeber Massnahmen gegen Korruption treffen muss. Ausserdem können Firmen, die rechtskräftig wegen eines Verbrechens verurteilt wurden, vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.

Auf der Albula-Baustelle ist die Condotte mittlerweile nicht mehr operativ tätig. Ihre Arbeiter wurden von den zwei anderen Firmen der Arbeitsgemeinschaft unter Vertrag genommen, der österreichischen Porr und der Walo. Diese haften aber nicht für die Verbindlichkeiten der italienischen Baufirma. Die Condotte verweist auf ihre besondere juristische Situation: «Wir dürfen im Augenblick keine Zahlungen vornehmen», sagt Sprecher Francesco Tancredi.

Mineur Gagliani will die Condotte nicht davonkommen lassen: «Ich werde für meinen Lohn kämpfen. Notfalls vor Gericht.

 

* Name geändert

Verdacht gegen Bauriese Condotte

Der italienische Konzern Condotte war bereits zweimal in der Schweiz am Werk: Beim Albula- und beim Monte-Ceneri-Tunnel unterbot die Società italiana per condotte d’acqua (Condotte Spa) die Konkurrenz. Und erhielt den Auftrag – trotz Hinweisen auf Korruption.

Oktober 2007: Der Bericht «SOS Unternehmen» des italienischen Gewerbeverbands prangert die engen Verbindungen grosser Konzerne mit mafiösen Kreisen an. Die Condotte Spa wird erwähnt.

April 2008: Die Condotte verliert vorübergehend das Anti-Mafia-Zertifikat.

Januar 2012: Drei Führungskräfte der Condotte werden festgenommen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Verbindungen zur ’Ndrangheta vor, der kalabrischen Mafia.

März 2018: Die Staatsanwaltschaft von Messina verhaftet den Condotte-Chef Duccio Astaldi und den Verwaltungsratspräsidenten Antonio D’Andrea. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Bestechung vor.

Duccio Astaldi

Unter Hausarrest: Duccio Astaldi, Chef des Baukonzerns Condotte Spa.

Quelle: Karl Mathis/Keystone
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