Der Kauf einer Mietwohnung sollte für Arno Schäfer (Name geändert) ein tolles Geschäft werden. Am 9. Juli 2004 wurde der Kaufvertrag vor dem Notar abgeschlossen und der 34-Jährige als neuer Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Laut Schäfer schien alles reibungslos zu klappen: «Die Wohnung sollte mir als Altersvorsorge dienen.» Die Zinsen für die Hypotheken über 326'000 Franken würden durch die Mietzinseinnahmen mehr als gedeckt werden. Und zwar ab sofort. Schäfer: «Man hat mir versprochen, dass ich von Anfang an Einnahmen hätte, die die Auslagen übersteigen.» Laut dem frisch gebackenen Eigentümer sicherte dies die Verkäuferin IIG Immobilien Investment Group GmbH vor Vertragsschluss ausdrücklich zu.

Die Beurkundung des Kaufvertrags war von einem freiberuflichen Luzerner Notar vorgenommen worden. Dass dabei nicht alles plangemäss gelaufen war, bemerkte Schäfer einige Wochen nach der Vertragsunterzeichnung, als ihm die ersten Rechnungen für die Eigentumsübertragung ins Haus flatterten. Im überstürzt unterzeichneten Kaufvertrag fand er die Klausel, wonach er die Hälfte dieser Überschreibungskosten tragen muss. Noch viel bitterer: Der Vertrag sieht den «Übergang von Nutzen und Schaden» erst per 1. April 2005 vor. Im Klartext: Bis dann gehen die Mietzinseinnahmen an die Verkäuferin IIG statt an Arno Schäfer, obschon er bis dahin für fast neun Monate Hypothekarzinsen trägt. Wie konnte es dazu kommen?

Vor der notariellen Beurkundung erhielt Schäfer trotz mehrfacher Nachfrage keinen Vertragsentwurf. Zudem kam er wegen eines Staus verspätet an, worauf der Notar zu einem «Schnellverfahren» griff: Er las den Kaufvertrag im Eiltempo vor und betonte, dass ihn Schäfer bedenkenlos unterschreiben könne. Was dieser dann auch tat – ein verhängnisvoller Fehler.

20'000 Franken Mehrkosten
Schäfer war angesichts des Beiseins der Urkundsperson zu gutgläubig. Der Beizug eines Notars soll zwar die nötige Sicherheit vor Fallen in Urkunden bieten. Der Notar ist deshalb auch verpflichtet, die Vertragspartner neutral über den Inhalt des Geschäfts aufzuklären (siehe Nebenartikel «Notariatsdienste: So sichern Sie sich ab»). Aber der Notar bietet keine Garantie dafür, dass eine Vertragspartei nicht übervorteilt wird.

Laut Oskar Vidal, Geschäftsführer und Inhaber von IIG, hat es in Arno Schäfers Fall keine Übervorteilung gegeben. Für Vidal macht der Übergang von Nutzen und Schaden per 1. April 2005 Sinn: «Im Frühling wird die Wohnung fertig saniert sein. Diese Regelung ist absolut üblich. Ich habe Herrn Schäfer nie versprochen, dass er bereits ab Antritt des Eigentums die Mieteinnahmen zur Verfügung haben wird.» Ganz allgemein bestreitet Vidal, dass der Vertrag vom Käufer überstürzt unterzeichnet worden sei. Tatsache ist aber, dass dieser nun etwa 20000 Franken mehr als geplant in die Hand nehmen muss.

«Misstrauen wäre unberechtigt»
Schäfer hat also höchstwahrscheinlich Pech gehabt – oder einen falschen Wohnsitz. Denn auch im Notariatswesen treibt der Föderalismus Blüten. Lediglich in sechs von 26 Ständen gibt es ausschliesslich staatliche Notare. Die übrigen Kantone kennen das freiberufliche Notariat – teils ausschliesslich, teils neben dem Amtsnotariat. Im Fall Schäfer ist der freiberufliche Notar auch als Rechtsanwalt tätig. In dieser Funktion hat er schon diverse Liegenschaftenübertragungen für die IIG vorgenommen, weitere sollen folgen.

Er stehe nicht in den Diensten der Verkäuferin, «ein allfälliges Misstrauen wäre unberechtigt», betont der Notar, der nicht genannt werden will. Beim Geschäft Schäfer sei alles korrekt abgelaufen: «Ich hatte keine Anhaltspunkte, dass dem Käufer die Urkundenentwürfe nicht bekannt wären.» Und die kreditgebende Bank habe den Vertrag ja erhalten.

Doch wie steht es grundsätzlich um die Unabhängigkeit der freiberuflichen Notare? Hans Beat Diriwächter, Präsident der Aargauischen Notariatsgesellschaft, räumt ein: «Gerade bei einem Freiberuflichen, der von einer Vertragspartei regelmässig beauftragt wird, besteht ein höheres Risiko als bei einem Amtsnotar; dieser verdient schliesslich nicht an den einzelnen abgewickelten Geschäften. Menschliches Versagen gibt es jedoch auch bei Beamten.» In jedem Fall müsse ein Notar aber sicherstellen, dass die Parteien schon vor der Beurkundung im Besitz des Vertrags sind. «Es reicht nicht, den Vertrag nur an die Bank zuzustellen, diese also quasi als Vertreterin des Käufers zu behandeln.»

Wie sehr notarielle Fehler ins Geld gehen können, musste auch Tilka Andres feststellen. Bei ihrem Hauskauf unterliess es der beurkundende Notar, die übliche Sicherstellung der Grundstückgewinnsteuer in den Kaufvertrag aufzunehmen. Da die Verkäuferin die sie treffende Steuer in der Höhe von 30'000 Franken nicht bezahlte, wurde die Wohnung mit einem gesetzlichen Grundpfandrecht belastet. Die Folge: Um die Zwangsverwertung der Liegenschaft zu verhindern, muss die Käuferin die Grundstückgewinnsteuer bezahlen. Immerhin: Der Notar war gezwungen, rund die Hälfte beizusteuern.