Erst in der Gegendarstellung folgt das Geständnis: Der Otelfinger Gemüsebauer und SVP-Nationalrat Ernst Schibli gibt zu, die AHV-Beiträge für zwei seiner Erntehelfer während mehrerer Jahre nicht weitergeleitet zu haben (siehe Artikel zum Thema «Ernst Schibli: Beim Zahlen keine Eile»). Gleichzeitig versucht er sich aus der Verantwortung zu ziehen, indem er den schwarzen Peter der Zürcher Ausgleichskasse zuschiebt: Er habe von ihr weder Rechnungen noch Mahnungen erhalten.

Die Kasse will sich zu Schiblis Vorwürfen nicht äussern. Aus früheren Telefonaten mit der Behörde weiss der Beobachter jedoch, dass Schibli seine zwei Angestellten erst am 12. Oktober 2006 bei der Kasse anmeldete - nachdem er durch Anfragen des Beobachters unter Druck geraten war. Sein Reinwasch-Versuch ist Augenwischerei: Keine Kasse kann Rechnungen oder Mahnungen für AHV-Beiträge von Angestellten verschicken, solange sie von deren Existenz nichts weiss.
Die AHV-Stelle Zürich muss nun prüfen, ob Schibli tatsächlich «zu keinem Zeitpunkt eine strafbare Handlung begangen» hat, wie er in seiner Gegendarstellung schreibt. So eindeutig, wie der SVP-Politiker behauptet, ist die Rechtslage nicht. Aurel Ritz, Jurist beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV): «Der Arbeitgeber macht sich strafbar, wenn er bewusst falsche oder unvollständige Angaben abgibt - also etwa eine AHV-Abrechnung ausstellt, die nicht alle Arbeitnehmer aufführt.»

«Nicht Detektiv spielen»
Das letzte Wort im Fall Schibli ist also noch nicht gesprochen. Oder doch? In der Praxis ist es fast unmöglich zu beweisen, dass ein Arbeitgeber vorsätzlich gehandelt, also bewusst falsche Angaben gemacht hat, so die Erfahrung der kantonalen AHV-Stellen. «Unsere Hauptaufgabe ist es auch nicht, Detektiv zu spielen. Wir müssen uns vor allem um die säumigen Arbeitgeber kümmern und die fehlenden Beiträge kassieren», erklärt Robert Gygax, Leiter der Abteilung Beiträge und Zulagen bei der Ausgleichskasse Bern.

Die Statistiken widerspiegeln diese Haltung: Die kantonalen Ausgleichskassen melden, dass bei jeder zweiten Arbeitgeberkontrolle Unregelmässigkeiten festgestellt werden. Zu Strafanzeigen kommt es kaum. So erstattete die Berner Kasse, die 25'000 Arbeitgeber verwaltet, 2005 in gerade mal rund 100 Fällen Strafanzeige.

Der Grund für diese - laut Gygax - «minime Anzahl Strafanzeigen» liegt in der Rechtsprechung der Gerichte. Der Versuch, AHV-Beiträge zu hinterziehen, wird oft als Kavaliersdelikt behandelt. Ein Geschäftseigentümer, der Angestellte während Jahren nicht bei der Ausgleichskasse anmeldet oder abgezogene Arbeitnehmerbeiträge zurückhält, hat nichts zu befürchten - ausser dass er nachzahlen muss, wenn er ertappt wird. Den Aufwand hat die Kasse: Sie muss den Unternehmer veranlagen, vormahnen, mahnen. Allein im Kanton Bern komme es jährlich zu über 9000 Mahnungen, sagt Robert Gygax.

Erst wer die Mahnung ignoriert, läuft Gefahr, sich strafbar zu machen. Doch dies auch nur dann, wenn er das Geld «zweckentfremdet» hat - das heisst nicht liquid genug ist, um jederzeit seine Schuld bei der Ausgleichskasse begleichen zu können. Oft behaupten die Betroffenen, sie hätten zum Zeitpunkt der Lohnauszahlung schlicht das Geld nicht gehabt, um die AHV-Beiträge zu entrichten − und entkommen so der Strafverfolgung. «Es ist schwer, dem Arbeitgeber im Nachhinein das Gegenteil nachzuweisen», erklärt Aurel Ritz vom BSV.

Firmenbesitzer können sich fast alles erlauben - und sich dann die reine Weste überziehen. Das Strafrecht wird in der Regel erst bemüht, wenn den Ausgleichskassen ein Verlust droht. «Unsere Verluste sind klein. Die Kontrollen sind gut - jeder grössere Betrieb wird periodisch untersucht. Wir setzen lieber auf die präventive Wirkung der Kontrollen als aufs Strafrecht», so Robert Gygax. Diese Haltung kann als Einladung verstanden werden, die gesetzlichen Pflichten zu umgehen: Wer es versucht, hat zumindest nichts zu verlieren.

Verbesserung lässt auf sich warten
Der Bundesrat will nun die Schlupflöcher im Gesetz stopfen. Er hält es für «unannehmbar, dass Arbeitgeber folgenlos den Lohn ihrer Angestellten um die AHV-Beiträge kürzen und diese für eigene Zwecke verwenden dürfen», schreibt er in seiner Botschaft zur 11. AHV-Revision. Es wird allerdings noch Jahre dauern, bis das revidierte Gesetz in Kraft tritt. Dann jedoch sollen Liquiditätsschwierigkeiten nicht mehr automatisch als Blankocheck gelten: Wenn sich zeigt, dass der Arbeitgeber mit den abgezogenen Lohnbeiträgen andere Schulden beglichen hat, statt sie der AHV weiterzuleiten, macht er sich strafbar.