Alles im Griff – kein Grund zur Sorge. «Die Meldestelle für Geldwäscherei war nie führungslos und immer voll funktionsfähig», besänftigte Bundesrätin Ruth Metzler Anfang Jahr. Wirklich? «Gerade mal drei Personen» seien dort noch im Einsatz, sagte kurz darauf Exleiter Daniel Thelesklaf. Der Rest? Gekündigt, ausgeflogen.

Kurz darauf nahmen vier von sechs Juristen einer andern Geldwäscherei-Kontrollstelle den Hut. Hauptgrund: «Bessere Lohnangebote in der Privatwirtschaft.» Dennoch hält der Bundesrat hartnäckig daran fest, die Schweiz bekämpfe «die Geldwäscherei mit aller Entschlossenheit».

Schummeln und Schönreden nützen nichts: Dem Staat laufen momentan zu viele gute Leute davon. Besonders gefragt sind Spezialisten aus dem Finanz- oder Wirtschaftsbereich. Ob Steuerexperten, Buchprüfer, Ökonomen oder Juristen – sie werden gezielt abgeworben und landen dann bei Banken, Versicherungen oder Treuhand- und Beratungsfirmen.

Mehr Stress für weniger Geld
Allein in der Steuerverwaltung des Bundes sind inzwischen rund 100 Stellen unbesetzt – ein gewaltiges Verlustgeschäft. Ein guter Inspektor, der als Kontrollreisender die Bücher von Firmen prüft, sichert dem Bund jährlich zwei Millionen Steuerfranken. Fehlen diese Leute, fliesst weniger Geld in die Staatskasse.

Massiv Personal verlieren auch die Kantone und Gemeinden. «Wir investieren viel Zeit in die Ausbildung dieser Leute – und dann werden sie abgeworben», klagt ein Personalchef. Inzwischen platzierte der Zentralverband des Staats- und Gemeindepersonals im Mitgliederheft einen Fragebogen: «Weshalb verlassen Sie Ihren Arbeitsplatz?», werden die Abtrünnigen gefragt. Das ist gut zu wissen – auch wenn es wenig hilft.

Derweil gehen jene, die nicht aktiv von der Privatwirtschaft umworben werden, selber auf Stellensuche. Viele von ihnen arbeiten in exponierten Frustjobs – also Lehrerinnen und Lehrer, Krankenschwestern, Polizisten. Ihnen wurden in den mageren Jahren der Rezession neue Aufgaben aufgehalst; Stellen wurden gestrichen, Löhne eingefroren und Zulagen gekürzt. Das Resultat: mehr Stress für weniger Geld.

«Wir haben 15 Prozent an Kaufkraft verloren», sagt Jean-Pierre Monti, Sekretär des Polizeibeamten-Verbands. «Uns laufen die Lehrer davon», klagt das Kollegium einer Berner Landschule in einem Leserbrief. Die Treulosen werden Informatiker, Journalisten, Personalexperten. Allein im Zürcher Schulblatt sind derzeit 440 Lehrerstellen ausgeschrieben. Gute Chancen auf einen Job in der Privatwirtschaft haben auch Polizisten. Sie gelten laut Monti als «zuverlässig, selbstständig und belastbar».

Genug vom Druck haben ebenfalls zahllose Krankenschwestern. «Viele ziehen sich in die Familienrolle zurück oder machen sich selbstständig», erklärt Urs Weyermann, Geschäftsleiter des Berufsverbands.

Abgänge auch bei Post und SBB: «Der Frust beim Postpersonal ist gross – vor allem in den Städten und im Zustelldienst», sagt Hans Ueli Ruchti, Sekretär der Gewerkschaft Kommunikation. Er weiss von jungen Pöstlern, die kurz nach der Ausbildung gleich gruppenweise gekündigt haben. Bei den SBB ist die Wechselrate zwar nicht höher als früher – dennoch schlägt die Basis Alarm: «Seit der Reorganisation sind wir stärker auf eine bestimmte Arbeit fixiert», so Gewerkschafter Marcel Ruoss. «Deshalb sehen viele Junge keine Zukunft und gehen.» Das Gezänk um die Cheflöhne hat die Stimmung an der Basis zusätzlich verschlechtert.

Nun wird versucht, die Lücken gezielt mit ausländischem Personal zu stopfen. So ergatterten sich die SBB bei der Deutschen Bahn 15 Lokomotivführer für den Güterverkehr. Ausserdem suchen sie in Spanien 50 Angestellte für den Sicherheitsdienst auf Bahnhöfen.

Was den SBB recht ist, ist den Kantonen billig: Aargau und Luzern holen sich ihre Lehrkräfte neuerdings aus Deutschland, Österreich und Frankreich. Und auch bei der Polizei fallen die Schranken: Das neue Dienstreglement im Kanton Schwyz öffnet das Polizeikorps für Personen mit ausländischem Pass.

Besonders aktiv sind die Spitäler. In einem Berliner Luxushotel umgarnte das Universitätsspital Zürich Pflegepersonal – mit Hochglanzbroschüren und Schweizer Schoggi. Auch kleinere Spitäler inserieren längst in Deutschland, Holland oder Belgien. Noch weiter weg wurde das Unispital Lausanne fündig: Es beschäftigt viele französischsprachige Kanadier.

Note 4,3 für den Arbeitsplatz
Pech, dass inzwischen auch in Kanada akuter Mangel an Pflegepersonal herrscht. Deshalb kam es an einem Pariser Kongress unlängst zu grotesken Szenen: Die Lausanner umwarben weitere Kanadier – und die kanadischen Spitäler versuchten alles, um ihre Landsleute aus Lausanne nach Hause zu locken.

Zwar mischt das Wirtschaftshoch den ganzen Stellenmarkt auf – auch private Arbeitgeber müssen sich jetzt um ihre guten Leute bemühen. Doch der Staat muss sich ganz besondere Sorgen machen: «61 Prozent der Mitarbeitenden beim Bund sind mit ihrer Arbeitssituation echt zufrieden», analysiert das Personalamt.

Vor vier Jahren lag die Quote aber noch bei 70 Prozent. Die «generelle Arbeitszufriedenheit» des Bundespersonals ist ebenfalls gesunken: auf Note 4,3. Die Privatwirtschaft kommt auf die Note 4,5 – Tendenz steigend.

Gedrückte Stimmung herrscht auch bei den SBB. Ihre Zufriedenheit taxieren die Bähnler mit 59 von 100 möglichen Punkten. «Knapp genügend», diagnostiziert die SBB-Leitung. Selbst Konzernchef Benedikt Weibel räumt ein: «Das Gesamtresultat ist nicht gut».

Und das Personal der Kantone und der Städte? Es dokumentiert seine Stimmung laufend mit Demonstrationen in Bern, Zürich, Lausanne oder zuletzt lautstark in Aarau. «Jetzt rauf mit den Löhnen», tönt es überall.

Die Gründe für Frust und Abwanderungslust sind fast so zahlreich wie die Kündigungen – jeder Fall ist ein Einzelfall. Dennoch gibt es einige Konstanten.

Erster Punkt ist der Lohn: Gefragte Leute verdienen in der Privatwirtschaft wesentlich mehr. So kommt ein Netzwerk- oder Sicherheitsinformatiker beim Bund auf maximal 120'000 Franken Jahreslohn. «In der Privatwirtschaft gibt es 10'000 bis 20'000 Franken mehr», sagt Marius Redli, Direktor des Bundesamts für Informatik und Telekommunikation. Noch krasser ist die Differenz bei den Steuerexperten. Urs Ursprung, Chef der eidgenössischen Steuerverwaltung, macht die Rechnung: «Maximal 130'000 Franken beim Bund – 150'000 bis 250'000 bei einer Treuhandfirma.»

Cracks gehen – Bremser bleiben
Ein Wettkampf mit einem klaren Verlierer. «Der Staat wird bei den Toplöhnen nie ganz mithalten können», weiss Bundes-Personalchef Peter Hablützel, «dafür zahlt er am unteren Rand mehr als die Privatindustrie.» Dennoch muss die öffentliche Hand aufpassen: Wenn sich beim Thema Lohn weiterhin nur schleppend etwas tut, laufen bald noch mehr qualifizierte Leute davon. Denn die Privaten haben es einfacher. «Eine Sitzung des Verwaltungsrats – und die Löhne gehen hoch», sagt Alois Steiner, Leiter des Zürcher Personalamts.

Aber Geld ist nicht alles. Die ständigen Veränderungen sind der zweite wichtige Punkt, weshalb dem Staat die Leute davonlaufen. Der Bund hat in den letzten Jahren zahllose Amtsstellen abgebaut, umgebaut und verpflanzt. «Das hat viel Unruhe, Verunsicherung und Ängste ausgelöst», sagt Beatrice Furer von der Personal- und Sozialberatung der Bundesverwaltung. «Viele aktive und innovative Leute gehen deshalb auf Stellensuche.» Von «enormen Veränderungen in jüngster Zeit» spricht auch SBB-Chef Benedikt Weibel: «Diese hinterlassen zwangsläufig Spuren.» Auch am Schulsystem wird laufend herumgebastelt: «Zu viele Projekte in zu grossen Schritten, unkoordiniert und mit zu wenig Geld», bemängelt Urs Schildknecht, Zentralsekretär beim Lehrer-Dachverband. Reformen müssten «die Situation verbessern und nicht nur belasten».

Der dritte Grund: zu viele Bremser. Der relativ gute Beamtenlohn in tieferen Chargen hat nicht nur Vorteile. Das stattliche Salär, der sichere Staatsjob und die Aussicht auf eine nette Pension haben viele Staatsangestellte träg gemacht. Ein Kenner vermutet, «dass die Hälfte des Bundespersonals zurzeit weder die Stelle wechseln will noch wechseln könnte». Diese Leute haben Angst vor Veränderung und blockieren jede neue Idee. Mit dem Resultat, dass sie die innovativen Kollegen vertreiben.

Die Chefs kommen schlecht weg
Viertens – schlechte Chefs: Zu viele Beamte mit mässigen Chefqualitäten machen Karriere – und blockieren die Hierarchie auf Jahre hinaus. Die Umfrage des Staats- und Gemeindepersonal-Verbands bei den Abwanderern zeigt dies deutlich. Mehr als die Hälfte verlässt den Staatsdienst wegen «fehlender Aufstiegsmöglichkeiten». Und fast 90 Prozent bemängeln «die schlechte Amtsführung» und «das schlechte Arbeitsklima». Ein bedenkliches Resultat, meint Verbandspräsident Rudolf Brosi. «Wenn jemand Fachwissen besitzt, dann sagt dies überhaupt noch nichts über die Fähigkeit aus, Personal zu führen.»

Die Abgänge und die Probleme beim Stopfen der Lücken haben Folgen:

  • Steuerverluste:
    Je weniger Inspektoren bei den Firmen unterwegs sind, desto grösser sind die Steuerverluste. Folgen hat der Personalengpass auch bei den kantonalen Veranlagungsbehörden. Um den Pendenzenberg abzutragen, müssen die Steuererklärungen im Akkord geprüft werden – viele Schlupflöcher bleiben unentdeckt.

  • Schlechtere Krankenpflege:
    «Für Gespräche mit den kranken Menschen bleibt keine Zeit mehr», heisst es beim Berufsverband des Pflegepersonals, «das Personal hetzt praktisch nur noch von Zimmer zu Zimmer.» Die Situation spitzt sich monatlich zu. Von «sicher mehr als 2000 offenen Stellen» spricht Geschäftsleiter Urs Weyermann. Das jüngste Verbandsheft zählt rekordverdächtige 70 bezahlte Inserateseiten – vorwiegend Stellenanzeigen.

  • Weniger Sicherheit:
    Das Grenzwachtkorps und viele Polizeistellen sind unterdotiert – darunter leidet die öffentliche Sicherheit. Rund 200 Beamte fehlen an der Grenze. «Das Korps kann seine Aufgabe nicht mehr ordnungsgemäss erfüllen», kritisiert die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats. Unterbestände auch bei den Polizeikorps – in Genf und Basel etwa fehlen je rund 100 Beamte. «Die Polizeikorps müssen sehr darauf achten, dass sie am Ball bleiben. Es darf nicht sein, dass man bei einem Einbruch in der Nacht fast ein halbe Stunde auf die Polizei warten muss», sagte der ehemalige Bundessicherheitschef Rolf Schatzmann, kurz bevor er selber in die Privatwirtschaft absprang.

  • Unruhe an den Schulen:
    Die Reformitis und der Verlust von Lehrkräften lässt die Schulen nicht zur Ruhe kommen. «Immer mehr Stellen werden temporär oder durch nicht genügend ausgebildetes Personal besetzt», klagt Lehrergewerkschafter Urs Schildknecht, «zu leiden haben vor allem die Kinder.» So hat etwa der Kanton Aargau im letzten Jahr Lehrerinnen und Lehrer aus Deutschland angeheuert – einige quittierten den Schuldienst nach wenigen Wochen. Der Grund: Probleme mit dem Schulstoff und mangelnde Disziplin in den Klassen.

Prämien für Hobby-Headhunter
Die Personalverantwortlichen beim Staat versuchen, den Laden mit Notnägeln zusammenzuhalten. So bekommen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamts für Informatik und Telekommunikation eine Vermittlungsprämie von 1000 Franken, wenn sie einen Bekannten in eine der derzeit 30 offenen Stellen hieven. «Für das Jahr 2001 sind bereits sechs Prämien absehbar», sagt Amtschef Marius Redli. In Fachkreisen diskutiert werden auch Modelle, bei denen der Staat gefragten Spezialisten mehr Lohn zahlt und sie im Gegenzug für ein paar Jahre verpflichtet. Zudem kommt ab 2003 der Leistungslohn – auch wenn vom ursprünglich geplanten Leistungsanteil von bis zu 40 Prozent nur noch deren zwölf übrig geblieben sind.

Einen andern Weg plant Paul Imhof, Präsident der Zürcher Gemeindeschreiber und Verwaltungsfachleute: «Wir müssen den Beamten ihren Berufsstolz zurückgeben.» Imhof will Kanton und Gemeinden für eine breit angelegte Imagekampagne gewinnen. So wie Ende der achtziger Jahre, bei der letzten Personalnot. «Im Dienste aller», lautete damals der Titel.

An griffigen Slogans fehlt es Paul Imhof nicht: «Die Verwaltung braucht kreative und schlaue Köpfe – und sie bietet spannende Jobs», sagt er. Und sollte das Projekt mit der Imagekampagne nicht klappen, so hat Imhof noch einen andern Verbündeten: «Bei der nächsten Rezession werden viele Leute wieder verstärkt den Schutz der Verwaltung suchen.»